Die schwarze Spinne

Die schwarze Spinne

Von Shamway

Es gibt den klassischen Horror in der Schweiz. Nicht in Hülle und Fülle, sondern in Einzelwerken. Vor allem aus der Schweizer Bergwelt, die nicht nur Auswärtige das Fürchten gelehrt hat – von Büchners „Lenz“ bis Argentos PHENOMENA – , sondern auch die Einheimischen jahrhundertelang in Atem hielt. Schaurige Bergsagen über Teufelsbrücken, Schlangenplagen, seltsame Eisbewohner (Rollibock) und nicht zuletzt eine der überraschendsten und perversesten Sagen, das Sennentuntschi: Ein paar Sennen auf der Alp basteln sich eine weibliche Strohpuppe, um sich während der langen Tage und Nächte auf der Alp zu amüsieren. Mehrfach verfilmt, zuletzt vom Schweizer Regie-As und -Enfant-Terrible Michael Steiner (SENNENTUNTSCHI, 2011), begleitet von einem großen Finanzierungs- und Drogenskandal.

Neben den Sagen gibt es aber auch „Die schwarze Spinne“, eine Novelle des Schweizer Schriftstellers Jeremias Gotthelf aus dem Jahr 1842, einem durchaus unterschätzten deutschsprachigen Autor. In der Schweiz Schulliteratur, ist „Die schwarze Spinne“ allerdings Gotthelfs einzige Geschichte mit Schauerelementen. Bekannt ist er neben diesem Buch vor allem für gnadenlos realistische Stories aus dem Bauernleben des 19. Jahrhunderts („Uli der Knecht“, „Uli der Pächter“).

Nun hat Regisseur Markus Fischer den Stoff verfilmt (zum zweiten Mal, nach Mark M. Rissis Verfilmung von 1983), und es ist ihm ein mäßig guter Horrorfilm gelungen. In dieser Neuverfilmung fällt eine Rahmenhandlung zur Zeit Gotthelfs weg und – wichtiger – die allzu religiöse Komponente wird auch geskipped. Protagonistin Christine (sehr gut: Lilith Stangenberg) wird dann geholt, wenn die christlichen Dorfbewohner Ratio über Religion stellen (müssen), bei schwierigen Geburten. Christine, die agnostische Geburtshelferin, hat dadurch auch die Voraussetzungen, den zweifelhaften Deal mit dem Teufel (Anatole Taubmann) einzugehen. Als sie aber den Deal eingeht, dem Teufel ein Neugeborenes zu schenken, spürt sie einen brennenden Schmerz auf der Wange, auf die sie der Teufel geküsst hatte. Eine schwarze Spinne wächst unter der Gesichtshaut und als diese Wunde aufplatzt, schlüpfen viele kleine Spinnen…

Aber keine Spoiler mehr und zurück zum Anfang: Die Schweizer sind auch hier – wie so oft in ihren Geschichten – unter der Knute „fremder Vögte“. In diesem Fall ein wilder Ritter und sein ebenso langhaariger und brutaler Bediensteter. Von der Sonne geblendet, kommt dem Ritter sein Trauma hoch: die Kreuzzüge, während denen sein König von Mongolen geköpft wurde. Die heiße Sonne der Erinnerung muss weg. Er verlangt von den Bauern, dass sie in kürzester Frist eine Schattenallee vor dem Schloss aufbauen.

Der Ritter rechtfertigt sein Tun also über etwas, das noch böser ist. Etwas, das noch weiter weg ist als er selbst. Ganz böse Asiaten eben, die den (kolonialistischen und moralbesessenen) Kreuzzug der Europäer grausam abgewehrt haben. Dabei sind der Ritter und sein willfähriger Geselle übrigens verdammt deutsch: Sie sprechen in der schweizerdeutschen Originalversion deutsche Hochsprache (während Lilith Stangenberg in Schweizer Dialekt synchronisiert wurde). Damit zeigt uns Markus Fischers Film – ob bewusst oder unbewusst – die geopolitische und emotionale Situation auf, in der sich die Schweiz heute befindet. Es gibt die Ablehnung, sich der EU anzuschließen (represented by: Deutschland), gekoppelt mit der Möglichkeit, sich der EU unterwerfen zu müssen, weil es im Osten noch schlimmere Feinde gibt (jedenfalls verklickert uns die EU das). Damit hat es sich aber noch nicht. Denn weil es für unser gutes Bauerndorf eigentlich unmöglich ist, die Herkulesaufgabe einer langen Schattenallee überhaupt hinzuzaubern, braucht es einen Pakt mit dem Teufel. Also der ganz böse Bösewicht. Über den zu spekulieren wäre zu einfach… aber registrieren wir den Film der Einfachheit halber unter a) Schweizer Kulturgut, b) fünf (von zehn) Punkten auf imdb und c) gibt‘s für Lilith Stangenberg-Fans zwei Punkte dazu.

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Die schwarze Spinne, Schweiz 2022 | Regie: Markus Fischer | Drehbuch: Plinio Bachmann, Barbara Sommer | Kamera: Brian D. Goff | Musik: Christian Zehnder | Darsteller: Lilith Stangenberg, Marcus Signer, Ronald Zehrfeld, Anatole Taubmann, Andreas Matti, Der Maria u.a. | Laufzeit: 116 min.