Sintflut der Atome (1.& 2. Teil)

Sintflut der Atome (1.& 2. Teil)

Strukturen des klassischen Doomsday-Films

Von Bodo Traber

I. „Millions Flee From Cities! End Of The World!“
(Zeitungsschlagzeile aus THE WORLD, THE FLESH AND THE DEVIL)

„Wir stehen jetzt dort, wo die frühen Wilden einst standen, als sie damit aufhörten, vor dem Feuer davonzulaufen, und begannen, es zum Guten zu gebrauchen. Wenn diese Primitiven lernten, das Feuer zu gebrauchen, dann können wir in unserem aufgeklärten Jahrhundert lernen, die Atomenergie konstruktiv zu gebrauchen. Gott hat uns keinen neuen Weg gewiesen, uns selbst zu vernichten. Die Atomenergie ist die Hand, die Er uns reichte, um uns aus den Ruinen des Krieges zu heben und uns die Bürden des Friedens zu erleichtern.“
(THE BEGINNING OR THE END)

Es ist der letzte Brief des jungen Physikers Matt Cochran (Tom Drake) an seine schwangere Frau Anne, nachdem er beim Zusammenbau der für Hiroshima bestimmten Atombombe auf Tinian an den Folgen einer Strahlenvergiftung gestorben ist. In seinen letzten Worten sieht er voraus, wie die Atome in einem Glas Wasser dereinst ein Heim wärmen und erleuchten, die Atome in einer Zugfahrkarte Eisenbahnen über den Kontinent und die Energie eines Grashalms Flugzeuge über die Welt bewegen werden. Die Entdeckung der Atomenergie ist für ihn der endgültige Beweis dafür, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Verlesen wird der Brief vor der Kulisse des Lincoln Memorial, und der Film endet mit dem Hinweis an die Zuschauer des 25. Jahrhunderts, dass sie eben den Beginn des neuen Zeitalters des Lichts gesehen hätten, und dass nur sie und die Generationen, die dazwischen lagen, das Ende kennen können.

THE BEGINNING OR THE END, 1946 von Norman Taurog gedreht, wurde von der amerikanischen Regierung in Auftrag gegeben und gibt nicht nur deren offizielle Sicht der Entdeckung des „Geheimnisses der Kraft des Universums“, sondern auch den Blick Hollywoods auf das Mysterium der Kernspaltung wieder. Er versteht sich selbst als geschichtliches Dokument, als erste authentische Schilderung der Ereignisse, die dazu führten, dass der Mensch das Tor zum Atomzeitalter aufstoßen konnte. Das Begleitbuch zu diesem Film (es ist erhalten geblieben) gibt stolz kund, dass für seine Produktion zum ersten Mal die Washingtoner Archive geöffnet wurden und die Mitarbeiter des „Manhattan“-Projekts ihr langjähriges Schweigen brechen durften. Alles, was mit dem Bau der Atombombe zu tun hatte, war bis dahin streng geheim gewesen. Und nicht nur bis dahin – die Dokumentaraufnahmen, die die Kameraleute der Armee von den zerstörten Städten Hiroshima und Nagasaki gemacht hatten, blieben weitere fünfzig Jahre unter Verschluß. Der von der MGM mit großem Aufwand produzierte Film beginnt mit einem nachgestellten Wochenschaubericht, der die Beerdigung einer „Zeitkapsel“ unter den Mammutbäumen Kaliforniens zeigt. Mit versenkt in das Betongrab, das laut Inschrift nicht vor dem Jahr 2446 geöffnet werden soll, wird eine Kopie von THE BEGINNING OR THE END, komplett mit kleinem Projektor. Es folgt ein Insert, das uns darauf hinweist, dass wir jetzt den Film zu sehen bekommen werden, der für die Menschen des 25. Jahrhunderts gedreht wurde. Dann stellt sich der damals noch sehr junge Hume Cronyn, der direkt in die Kamera spricht, als „J. Robert Oppenheimer“ vor und adressiert direkt eben jene Menschen des 25. Jahrhunderts – in Englisch, wie er sagt, weil das „heute“ und sicher auch noch in deren Zeit eine der führenden Sprachen der Welt ist. Er hält das Zeitalter, in dem er lebt, für das aufgeklärteste, das es je gegeben hat, meint er und führt als Beispiele die Erfindung des Autos, des Radios und des Films an. Dann erinnert er an die Toten der letzten beiden Weltkriege und erklärt, dass die Menschen seiner Epoche nun eine Kraft entfesselt haben, die vielleicht die ganze Menschheit vernichten wird. Wir kennen den Beginn, sagt er weihevoll, nur Sie von morgen – wenn es ein Morgen gibt – kennen das Ende.

Dass es eines geben wird, ist die essentielle Botschaft der nachfolgenden, mit viel Geschichtsklittierung durchsetzten Schilderung der Entdeckung der Kernspaltung und des Baus der Atombombe. Der fiktive junge Wissenschaftler Cochran, der von Anfang an dabei ist, wird am Ende sein Leben für den Glauben einer friedlichen, allen zum Heil gereichenden Nutzung der Atomkraft geben. Es ist ein Propagandafilm, der nicht nur den Abwurf der Bomben über Japan rechtfertigen, sondern auch den Glauben an ein heranbrechendes goldenes Zeitalter in der Öffentlichkeit verwurzeln sollte. Und in der Tat blieb die Vorstellung, die Kernkraft werde zu einem gewaltigen Industrialisierungsschub führen, die Energieprobleme der ganzen Welt lösen und allen Menschen unermeßlichen Reichtum bescheren, noch lange bis in die fünfziger Jahre hinein ein offizielles Dogma westlicher Regierungen. Die Bombe selbst hingegen wurde im Verlauf der „Aufklärungsfilm“-Reihen der US-Regierung der nächsten Jahre immer harmloser: Aus dem Jahr 1950 stammt YOU CAN BEAT THE A-BOMB (Regie: Walter Colmes), in dem die Entdeckung der Kernspaltung ebenfalls als ein logischer Schritt der Entwicklung eingestuft wird, der auf die Entdeckung der Schwerkraft und des Elektromagnetismus folgen mußte. Der Film führt die „vielen“ Möglichkeiten vor, wie radioaktive Materialien in Medizin und Industrie zum Guten verwendet werden können. Natürlich gibt es da eine Schattenseite – die Bombe. Aber die Elektrizität kann man schließlich auch für den elektrischen Stuhl mißbrauchen. Dann räumt ein Nachfolger der Luftwarte des Zweiten Weltkriegs mit dem (wörtlich) „Altweibergewäsch“ auf, das man sich von der Bombe erzählt. Dass einen der Blitz erblinden lassen könne, sei Unsinn. Man könne im schlimmsten Fall vielleicht ein paar Minuten lang nichts sehen. Dass die Strahlung die Erbsubstanz der Menschen oder ihrer Kinder beeinflussen könne, käme in einem von einer Million Fällen vor, und das Gerücht mit den auf Dauer unbewohnbaren Regionen entbehre jeder Grundlage. In einer Spielhandlung führt uns ein umsichtiger Familienvater vor, wie man sich im Fall einer Atomexplosion über der Stadt zu verhalten hat: Er sichert die Fenster gegen umherfliegendes Glas und verbarrikadiert sich dann mit Frau und Kindern im Keller, wo ihnen nicht einmal etwas passieren könnte, wenn ihnen die Bombe direkt auf den Kopf fiele. Nach der Druckwelle, erfahren wir, darf man etwa eine Stunde lang nicht ins Freie. Dann hat sich die Radioaktivität verflüchtigt. Als er das Kellerfenster vernagelt, weht dem Familienvater eine Brise radioaktiven Staubs ins Gesicht. Aber das ist nichts, dem man mit einer ordentlichen Portion Seife nicht beikommen könne. Das Wichtigste in so einem Fall ist, die Ruhe zu bewahren.

Die Schärfung des „Gefahrenbewußtseins“, das Antrainieren des richtigen Verhaltens im Falle des Undenkbaren, war die wesentliche Zielsetzung sämtlicher in dieser Epoche produzierten Streifen der Federal Civil Defense Administration, die Kevin und Pierce Rafferty und Jayne Loader für ihren Kompilationsfilm THE ATOMIC CAFE (1982) aus der Vergessenheit holten. THE CITIES MUST FIGHT, WHAT YOU SHOULD KNOW ABOUT BIOLOGICAL WARFARE, THE CIVIL DEFENSE ADMINISTRATION IN ACTION und natürlich DUCK AND COVER (mit „Bert the Turtle“) versuchten zu vermitteln, dass man sich als Zivilbürger immer am Rand eines thermonuklearen Krieges bewegte und in jeder Sekunde jedes Tages dafür gewappnet sein mußte. In dem Mini-Spielfilm WARNING RED (Nicholas Webster, 1956) verkennt ein anderer Familienvater fast die drohende Gefahr, weil er im entscheidenden Moment sein Autoradio nicht angestellt hatte. Dann kommt der Blitz, und anstatt sich vorbildlich zu verhalten, irrt der hilflose Mann auf der Suche nach seiner Familie durch die rauchenden Trümmer der Stadt. Nur dank der Umsicht der anderen Einwohner, die am nationalen Zivilverteidigungs-Trainingsprogramm teilgenommen haben, kann er seine Angehörigen am Ende wieder in die Arme schließen. Der Film schließt mit der Aufforderung an den Zuschauer, rechtzeitig zu lernen, was im Fall eines Atomschlags oder einer Naturkatastrophe (!) zu tun ist, und appelliert dabei vor allen Dingen an die Kollektiv-Solidarität jedes einzelnen, dabei mitzuhelfen, die Gesellschaft am Laufen zu halten.

Tatsächlich zeichneten die seriöseren Beispiele der Gattung sogar ein pessimistischeres Bild der real existenten Bedrohung. Der von dem renommierten Journalisten Edward Murrow (er war der Mann, der den Sturz McCarthys einleitete) und seines „See it Now“-Teams für CBS produzierte ONE PLANE – ONE BOMB (1953(?)) schildert ein reales Planspiel der US-Luftwaffe: In Europa startet eine Staffel großer Bomber zum Flug über den Atlantik, um einen Überraschungsangriff gegen die Vereinigten Staaten durchzuführen. Ziel der Aktion ist es, die Frühwarnsysteme der Radargürtel und die Boden-Luftabwehr der USA zu testen. Ein Großteil dieser Arbeit hängt jedoch an zivilen Luftbeobachtern, die von bestimmten Stellungen an der Ostküste aus mit Ferngläsern den Himmel absuchen. Und obwohl die Luftabwehr eine Reihe der „feindlichen“ Maschinen simuliert herunterholen kann, kommt ein Flugzeug nach New York durch und klinkt seine simulierte Bombe über dem Empire State Building aus. Schätzungen zufolge werden in so einem Fall bis zu 70% Prozent der feindlichen Bomber bis zu ihren Zielen durchkommen, zieht Murrow traurig das Resümee und wirbt danach für mehr Freiwillige, die sich mit Ferngläsern an der Küste aufstellen sollen. Das war ein Resultat, das nicht gerade zur Entwarnung beitrug. Und die Angst vor einem atomaren Armageddon hatte sich inzwischen als gleichberechtigter Bruder zu der vor einer inneren kommunistischen Unterwanderung gesellt – und wurde zu einem festen Bestandteil der populären Kultur.

II. „He is Dead! Now You Are my Woman!“
(INVASION U.S.A.)

Der Atomkrieg hat viele Gesichter. Er kann ausbrechen, weil ein geistesgestörter General die Kommunistenbrut vernichten will wie in Stanley Kubricks DR. STRANGELOVE…(DR. SELTSAM…, 1964); weil ein Defekt den Angriffsapparat der USA in Gang setzt wie in Sidney Lumets FAIL SAFE (ANGRIFFSZIEL MOSKAU, 1964); weil die Zuspitzung internationaler Krisen zu einer Kurzschlußreaktion führt wie in Shue Matsubayashis SEKAI DAISENSO (TODESSTRAHLEN AUS DEM WELTALL, 1961) oder Peter Watkins‘ THE WAR GAME (THE WAR GAME – KRIEGSSPIEL, 1966); oder ganz einfach, weil die roten Ratten die USA überfallen wie in Alfred E. Greens INVASION U.S.A. (INVASION GEGEN USA, 1952). Diverse Autoren unterstreichen gern, dass dieser Film nicht anders aussehen würde, wenn er von Joseph McCarthy persönlich gedreht worden wäre. Aber in der Tat ist er vielleicht der hysterischste unter den selten subtilen anti-kommunistischen Filmen seiner Zeit. „Die Botschaft von INVASION U.S.A. ist nicht nur, dass wir die Möglichkeit eines weiteren Krieges (und speziell eines mit den kommunistischen Ländern) in Erwägung ziehen sollten,“ schreibt Bill Warren („Keep Watching the Skies!“), „sondern dass wir uns aktiv auf einen vorbereiten sollten, bis hin zur Bewaffnung und, im Fall von Journalisten, zur tatsächlichen Anheizung des ‚unausweichlichen‘ Konflikts.“

Eine Bar in New York: Fünf Gäste diskutieren über die allgemeine Wehrpflicht, für die sich der Reporter Vince (Gerald Mohr) stark macht. Aber seine Zuhörer, u.a. ein Rancher und ein Traktorenbauer, distanzieren sich von der Rüstung und finden, dass der Verteidungshaushalt ohnehin schon viel zu hoch ist. Da schaltet sich Mr. Ohman (= Omen) (Dan O’Herlihy) ein, der sich als Wahrsager vorstellt und meint, man sei selbst schuld, wie die eigene Zukunft aussehe. Und prompt läuft eine Sondermeldung über den Fernseher in der Bar: Unbekannte Truppen haben Alaska genommen und dringen nach Süden vor. Die Leute in der Bar eilen nach Hause, um zu ihren Familien zu kommen. Der Dritte Weltkrieg nimmt seinen Lauf. San Francisco und New York vergehen unter Atompilzen (nachdem sie bereits gestürmt wurden). Der Rancher nebst Weib und Kindern ertrinken, als der Hoover-Damm gesprengt wird. Nur noch der Cowboyhut des Ranchers schwimmt auf den Fluten davon. Der Traktorenbauer muss erleben, wie seine Fabrik von einem faulen Hilfsarbeiter übernommen wird, der sich als kommunistischer Funktionär entpuppt. Der Traktorenbauer wird erschossen. Vince‘ Freundin wirft sich aus einem Wolkenkratzer, als ein behaarter mongolischer Invasor mit eingangs erwähntem Zitat auf den Lippen auf sie zugeschritten kommt. Dann sitzen wir wieder in der Bar: Es war nur eine Suggestion, die Mr. Ohman seinen Zuhörern vor Augen geführt hat. Nun haben alle etwas dazugelernt.

Der von Albert Zugsmith produzierte Hetzfilm entstand auf dem Höhepunkt des Koreakrieges, der, wäre es nach dem Willen des Oberbefehlshabers General MacArthur gegangen, auch mit atomaren Waffen geführt worden wäre. Er plädiert tatsächlich nicht für eine Aufrüstung zur Abschreckung, sondern als Vorbereitung auf einen in absehbarer Zeit zu erwartenden Krieg zwischen den Machtblöcken. Noch steht in INVASION U.S.A. die Erhaltung der gesamten freien Welt auf dem Spiel; die Erhaltung der gesamten Welt spielt darin keine Rolle.

In Stanley Kramers ON THE BEACH (DAS LETZTE UFER, 1959), dem berühmtesten Film des Subgenres jener Ära, hat der Krieg dann auch wegen der nuklearen Aufrüstung die gesamte nördliche Hemisphäre der Erde in eine tödliche radioaktive Wüste verwandelt. Das amerikanische U-Boot „Sawfish“ unter dem Kommando von Captain Towers (Gregory Peck) ist auf dem Weg zum letzten Zufluchtsort der Menschheit, den die tödlichen Wolken noch nicht erreicht haben. In Australien haben sich die Überlebenden zusammengefunden; halten in der Hoffnung aus, dass die Wolken nicht bis hierher weiterwandern werden. Towers und seine Besatzung hoffen, hier eine neue Heimat zu finden, und der Captain findet in Moira (Ava Gardner) eine neue Liebe. Dann werden aus San Francisco unentschlüsselbare Funksignale aufgefangen, die alle in helle Erregung versetzen. Mit dem Auftrag, festzustellen, ob in Nordamerika wirklich noch jemand am Leben sein kann, fährt die „Sawfish“ mit dem Physiker Osborn (Fred Astaire) an Bord, der sich aus Schuldgefühlen der Flasche zugewandt hat, in die Vereinigten Staaten zurück. Auf der Suche nach der Quelle der Signale findet die Gruppe im entvölkerten San Francisco nur eine leere Colaflasche, die sich in einem Rollo verfangen hat und im Wind gegen einen Morsefunkgeber schlägt. Inzwischen ist klar, dass die radioaktiven Wolken auch vor Australien nicht haltmachen werden. Die Regierung gibt Giftampullen aus, die Bevölkerung begeht kollektiven Selbstmord. Darauf angesprochen, wer an alldem eigentlich die Schuld trage, verflucht Osborn Albert Einstein. Diesen Weltuntergang überlebt niemand mehr.

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