Infinity Pool

Infinity Pool

Von Michael Kathe

„I could stand in the middle of Fifth Avenue and shoot somebody, and I wouldn’t lose any voters, OK?“ Donald Trumps berühmte Aussage könnte die thematische Vorlage für Brandon Cronenbergs dritten Film INFINITY POOL gewesen sein. Was geschieht mit jemandem, der grausame Verbrechen begehen kann, ohne zur Rechenschaft dafür gezogen zu werden?

Der Film beginnt absolut alptraumhaft, in berückend-düsteren Bildern in einem Ferienresort eines seltsamen, fremden Landes, La Tolqa, das offenbar von einer Militärdiktatur mit harter Hand und ohne soziales Bewusstsein geführt wird. Mit einer wunderschönen, bewaldeten Küstenregion am Meer. Superreiche aus dem „zivilisierten“ Westen lieben die Ferien im schwer abgeriegelten Luxusresort. „Where are we?“ fragt James Foster (Alexander Skarsgard) seine Frau Em (Cleopatra Coleman), und als sie durchs Resort Richtung Infinity Pool gehen, dreht die Kamera das ganze Filmbild langsam und zu Tim Heckers verstörendem Soundtrack auf den Kopf.

James ist Schriftsteller, doch sein Buch „The Variable Sheath“ (dt. „die variable Hülle“) erschien schon vor mehreren Jahren und war kein Erfolg. Nun sucht er nach Inspiration und ist sehr angetan von Gabi (Mia Goth), die ihn am Strand anquatscht, weil sie das Buch mehrmals gelesen habe. Bei einem gemeinsamen Essen mit Em und Mias Freund Alban (Jalil Lespert) wird auch klar, wovon er lebt. „What do you do for money then?” Em: “He married rich”. Denn Ems Vater ist ein erfolgreicher Verleger. Und James dementsprechend ein gutaussehender Taugenichts.

Obwohl immer wieder Proteste außerhalb des Resorts aufflammen und das Verlassen des Geländes nicht erwünscht ist, lockt Gabi das Paar zu einem Ausflug zu viert an einen abgelegenen Strand. James kann sich Gabis Erotik kaum entziehen (Mia Goth spielt faszinierend): Als eine Frau ihm von hinten einen Handjob gibt (bei dem wir explizit einen Penis und eine Ejakulation sehen), weiss er zwar nicht, welche Frau das tut – aber er weiss es doch. Mia, nicht Em. Neben dem Sperma entweiht auch Pisse den verlassenen Strand. Auf der Heimfahrt wird James gebeten zu fahren. Dunkelheit, James sieht nicht sonderlich gut, die Scheinwerfer funktionieren nur halbpatzig und das Unglück geschieht: Er überfährt einen Bauern. James, völlig verstört, will die Polizei holen, doch Gabi überzeugt ihn (und Em): „No police. This isn’t a civilised country.“

Es dauert allerdings keinen Tag, bis die Polizei alle vier verhaftet. Und in den dunklen, hohen Hallen des Polizeigebäudes dauert es noch weniger lang, bis James als Hauptschuldiger identifiziert ist. Er wird zum Tode verurteilt und kann es nicht fassen. Doch es gibt einen Ausweg: Für viel Geld kann er einen Doppelgänger von sich anfertigen lassen und soll zusehen, wie seine identische, lebende Doublette getötet wird.

Nach dem Grauen das Vergnügen: James kommt in eine ganze Gruppe rund um Gabi und lässt sich auf deren dekadenten Spiele ein. Nicht Sex und Drogen stehen im Vordergrund, sondern Überfälle und Morde an Einheimischen und anderen Ferienbewohnern. Entspannt lassen sie sich immer wieder verhaften und kaufen sich aus, indem sie den Hinrichtungen ihrer Doppelgänger beiwohnen.
Lediglich Em hat sich ausgeklinkt. Nicht zufällig scheint Em als einzige Nicht-Weiße der Truppe dem Reiz des rücksichtslosen Lebens zu widerstehen. Auch wenn ihre Hautfarbe nicht thematisiert wird (schließlich ist sie Tochter eines reichen Verlegers), so mag es doch sein, dass sie als Nicht-Weiße das mordlüsterne Verhalten in den fremden Landen intuitiv als kolonialistisches Gebaren ablehnt.

Nicht zuletzt war Em auch völlig abgestoßen, als sie der grausamen Ermordung von James’ Doppelgänger beiwohnte, während James dem Schauspiel auch mit Faszination zusah. Bei Ems Abreise provoziert er folglich auch seinen weiteren Aufenthalt im Resort, indem er seinen Pass als verloren ausgibt. Damit beginnt die Reise durch die dunklen Seiten des Menschseins. Sex wird in wunderbaren Farbverfremdungen wie ein Trip gefilmt, Gewalt wird schonungslos und roh gezeigt. James wird besonders „gefördert“ von Gabi; je grausamer er wird, desto mehr Applaus und Zuneigung werden ihm zuteil. Mia Goth liefert dabei (einmal mehr) eine brillante Darbietung – man darf sich also auf den letzten Teil von Ti Wests Trilogie um X und PEARL, MAXXXINE, freuen.

Ohne alles zu verraten (der Film wird mit zunehmendem Fortgang nicht freundlicher), und Cronenberg schlägt plötzlich viele Themen an: Die Sache mit den Klonen wird natürlich zur Frage nach der eigenen Identität. Und wie mit den Teilungen oder Häutungen der Persönlichkeit geht auch ein thematischer Fächer auf, der alle angetippten Themen auf einmal explizit darstellt. Ein pervertiertes Mutterproblem (bzw. eine Degeneration), die Lügen des dunklen Lebensstils (wenn die Gruppe das Resort in Richtung Heimat kurz verlässt, verlautet kein Wort über die Vorgänge in La Tolqa), die alljährliche Auswahl eines „Opfers“ durch die Gruppe inklusive Eignungstest (this years model: James). Nicht zuletzt stellt Bob, Arzt in der Gruppe, die Aussage in den Raum, dass eigentlich gar nicht klar sei, ob die Mitglieder der Gruppe ihre eigenen Klone seien oder nicht. Doch wen kümmerts. es scheint keinen Unterschied zu machen. Womit der Film die Metapher des Infinity Pools erklärt bzw. aufnimmt.

Infinity Pools sind die scheinbar kantenlosen Swimmingpools, die aussehen, als würde das Wasser des Pools mit der Unendlichkeit des Meeres verschmelzen. Sinnbild für die neue Komplexität des Genpools eines Menschen beim Klonen, für die unendliche Weiterführung des Lebens, aber auch die Beschränktheit – denn ein Pool ist kein Meer.

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Infinity Pool, Kanada 2023 | Regie und Drehbuch: Brandon Cronenberg | Kamera: Karim Hussain | Musik: Tim Hecker | Darsteller: Alexander Skarsgard, Mia Goth, Cleopatra Coleman, Jalil Lespert, Thomas Kretschmann, Jeff Ricketts, John Ralston u.a. | Laufzeit: 117 min.

Fotos: Universal Pictures International Germany GmbH