NIFFF 2024: Handling the Undead

NIFFF 2024: Handling the Undead

Von Michael Kathe

Würde Jonathan Glazer einen Zombiefilm drehen, dann würde er so aussehen wie der Debut-Spielfilm der Norwegerin Thea Hvistendahl. Absurderweise wird ihm auf imdb zur Zeit ein überaus tiefes Rating von 5,5 Punkten (von 10) zuteil. Vielleicht den langen und langsamen Einstellungen geschuldet oder der unendlichen Traurigkeit des Films? Jedenfalls erhielt der Film am Neuchatel International Fantasy Film Festival zurecht den Hauptpreis, den H.R. Giger „Narcisse“ Award.

Dieser Zombiefilm ist kein Zombiefilm, der irgendwas mit zerfetzten Menschenkörpern zu tun hat, das Thema sind allerdings Untote. HANDLING THE UNDEAD folgt dem Wunsch, den Tod der Menschen rückgängig zu machen, die uns nahestanden. Dahinter verbirgt sich die Sehnsucht, einer geliebten Person mehr Zuneigung entgegenzubringen als man es zu Lebzeiten getan hat (also Schuldgefühle überwinden), Dinge in Ordnung zu bringen, für die es keine Zeit gab und nicht zuletzt die Sterblichkeit als ungelöstes und finales Problem zu besiegen, mit dem man eigentlich nur hadern kann. In Hvistendahls Film geschieht eines Tages durch nicht näher erklärte, vermutlich elektromagnetische Interferenzen, Absonderliches. Autoalarmanlagen gehen an, Stromausfälle und aufgescheuchte Vogelschwärme überziehen Oslo. Und Tote erwachen plötzlich zum Leben, was uns an drei Familien gezeigt wird.

In einer wunderbaren Kameraeinstellung vom Dach eines Hochhauses sehen wir, wie Großvater Mahler (Björn Sundquist) das Haus wechselnd von seiner Wohnung in die Wohnung seiner Tochter Anna (Renate Reinsve) geht. Eine lange, beiläufige und sehr transformative Plansequenz aus der „Gottes-Perspektive“. Mahler und Anna haben sich nie vom Tod ihres kleinen Sohnes erholt, der vor kurzem verstorben ist – die Trauer schwebt zentimeterdick über den beiden. Sie vergräbt ihre Schmerzen in der Arbeit, er weint fassungslos am Grab. Bis er bemerkt, dass er das Grab ausheben sollte. Das Kind lebt, er bringt es schnell zu Anna nach Hause, und nach dem ersten Schock wollen sie es einfach behalten und ziehen sich auf eine Insel mit ihrem (kleinen) Wochenendhaus zurück.

Aber es geht nicht nur um verstorbene Kinder. Ebenso ergreifend ist es, wie Rentnerin Tora (Bente Borsum) um ihre Lebensgefährtin Elisabet (Olga Damani) trauert. Und wie die Familie um den jungen, sympathischen Comedian David (Anders Danielsen Lie) um die geliebte Ehefrau und Mutter Eva (Bahar Pars) trauert. Hvistendahls Film nimmt sich Zeit, um die Toten wieder auferstehen zu lassen, doch der Film lässt immer mehr eine flirrende, leicht körnige und matte Bildwelt auferstehen. Und das mit einer Fotografie, die jedem Fotografen die Freudentränen in die Augen treibt – die nämlich gern mal einen Baumstamm im Bildvordergrund scharf stellt und die Menschen im Hintergrund unscharf. Die Arbeit von Kameramann Pal Ulvik Rokseth ist seine beste bisher. Bekannt ist er von Kameraarbeiten wie der norwegischen Netflix-Produktion 22. JULI (2018) und der Jo-Nesbo-Verfilmung SCHNEEMANN (2017).

Flirrende Welt, flirrende Regeln. Wir befinden uns mit einem Mal in einer Zwischenwelt, als vom Spital plötzlich die Meldung kommt, dass die eben verstorbene Eva wieder lebt, der kleine Junge vom Großvater ausgegraben wird und Elisabet sich wieder meldet. Was folgt, sind empfindsame Momente der Zuneigung, aber auch das Kennenlernen von „neuen Umgangsregeln“ (z.B. sprechen die Untoten nicht), aber auch schreckliche Momente (besonders schauderhaft die Szene, in der Eva mit dem Geburtstagsgeschenk ihres kleinen Jungen konfrontiert wird).

Darauf spielt nicht zuletzt der Filmtitel an. Wie geht man mit den Toten um, die zum Leben erweckt wurden? Werden sie nicht plötzlich störend und bedrohlich? Bedrohlicher als zu Lebzeiten?

Geschrieben hat Hvistendahl das Script übrigens mit dem schwedischen Schriftsteller John Ajvide Linqvist, der mit dem Roman „So finster die Nacht“ (2004) und der gleichnamigen Verfilmung SO FINSTER DIE NACHT (2008) bekannt wurde. Der Vampirfilm von 2008 hat übrigens von der Tonalität her nichts mit HANDLING THE UNDEAD gemein, ist aber ebenfalls überaus empfehlenswert und originell – und sehr brutal.

___________________________________________________________________

Håndtering av udøde, Norwegen 2024 | Regie: Thea Hvistendahl | Drehbuch: Thea Hvistendahl, John Ajvide Linqvist | Kamera: Pal Ulvik Rokseth | Musik: Peter Raeburn | Darsteller Renate Reinsve, Anders Danielsen, Björn Sundqvist, Bente Borsum, Bahars Pars u.a. | Laufzeit: 97 min.

Foto: Neon / Filmcoopi