NIFFF 2024: Oddity

NIFFF 2024: Oddity

Von Michael Kathe

Eine der positivsten Überraschungen am diesjährigen Neuchâtel International Fantasy Film Festival war die hübsche kleine Perle ODDITY des irischen Regisseurs Damian McCarthy. Der Film kommt wie ein in sich schlüssiges, gut inszeniertes Theaterstück daher, clever gescriptet, etwas altertümlich und trotzdem spannend und fintenreich. Wie so oft in diesen Zeiten spielt der Hauptteil der Handlung in einem luxuriösen Haus mitten in einem Wald (zum Thema „Retreat reicher Leute im Wald“ s. CUCKOO-Review), allerdings steckt es am Anfang des Films noch im Umbau und der psychiatrische Arzt Ted (Gwilym Lee) und seine Frau Dani (Carolyn Bracken) übernachten im Innern des ehemaligen Gutshofs noch in einem Zelt.

In der gekonnt spannenden Anfangsszene, in der sich Dani nachts allein im neuen, noch leeren Zuhause befindet, steht ein einäugiger Mann an der Tür (Tadhg Murphy). Dani hat den Spion geöffnet, als der Fremde drängend klopft. Er behauptet, eine andere Person befinde sich im Haus, die Dani wehtun wolle – sie solle ihm die Tür öffnen, damit er die böse Person finde. Auf einmal fühlt sich das Innere des Hauses unheimlich an. Soll Dani einem psychotisch anmutenden, unbekannten Einäugigen glauben und ihn ins Haus lassen? Oder seine Geschichte als unglaubwürdig abtun, auf die Gefahr hin, dass sich im Haus tatsächlich ein Mörder befindet? Spannend, weil diese Situation Dani und uns Zuschauer in eine unlösbare Entscheidungssituation versetzt.

Ein Jahr später. Ted besucht ein skurril anmutendes Antiquitätengeschäft, das von einem blinden Medium geführt wird – von Danis Schwester Darcy (ebenfalls gespielt von Carolyn Bracken). Er bringt ihr das „andere“ Auge des Einäugigen vorbei, der Dani getötet hat: sein Glasauge. Darcy will das Auge haben, weil sie eine übersinnliche Begabung besitzt: Sie kann von jedem Objekt, das sie berührt, Geschichten über den Besitzer in Erfahrung bringen.

Als Darcy wenig später in Teds Haus auftaucht, das sich nun schön eingerichtet präsentiert, inklusive Teds neuer Freundin Yana (Caroline Menton), bringt sie eine große Truhe mit einer lebensgroßen hölzernen Figur mit – die aussieht wie ein Golem. Als sich Ted davon macht und Darcy und Yana allein lässt, sitzt der hölzerne Golem plötzlich am Tisch. „Why did you take him out of the box”, fragt Yana, und Darcy antwortet: “I didn’t.” Der hölzerne Mann ist ein seltsam Anwesender, den Mund zu einem stummen Aufschrei geöffnet. Er ist der Abwesende, von dem wir kaum etwas erfahren. Der Geist des Mörders, der immer noch durch das Haus spukt (Yana will jedenfalls nicht allein im Haus übernachten)? Eine Figur, die Darcy hilft, den Mord aufzuklären? Regisseur McCarthy macht aus der Holzfigur einen geheimnisvollen, seltsamen Akteur, dessen Rolle weitgehend im Dunkeln bleibt.

Die blinde Darcy, noch weitsichtiger als der Einäugige, scheint längst nicht alles zu durchschauen. Es braucht Zeitraffer-Fotos der Mordnacht, alte Filmaufnahmen, Zeichnungen aus der Psychiatrie und vieles (oft Visuelles) mehr, um die Geschichte zusammenzusetzen. Wobei ODDITY nicht eine Sherlock-Holmesige Puzzlegeschichte erzählt, sondern eine raffiniert konstruierte, spannende Nacht ins Zentrum des Films rückt. Indeed, very entertaining. And amusing.

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Oddity, Irland 2024 | Regie: Damian McCarthy | Drehbuch: Damian McCarthy | Kamera: Colm Hogan | Musik: Richard G. Mitchell | Darsteller: Gwilym Lee, Carolyn Bracken, Tadhg Murphy, Caroline Menton u.a. | Laufzeit: 98 min.

Fotos: : Keeper Pictures, IFC Films