Airport

Airport

Von Michael Hille

Am 17. Februar 1970 starb mit Alfred Newman einer der einflussreichsten Komponisten in der Geschichte der modernen Filmmusik. Er komponierte nicht nur die Musik für Dutzende Klassiker wie SCHLAGENDE WETTER, ALLES ÜBER EVA oder DAS WAR DER WILDE WESTEN, sondern gewann für seine Arbeiten insgesamt neun Oscars, war mehr als zwei Jahrzehnte Chef der Musikgestaltung bei 20th Century Fox, komponierte für dieses Studio die bis heute berühmte Eröffnungsfanfare und ermöglichte anderen legendären Komponisten wie Bernard Herrmann, Alex North oder David Raskin ihre Hollywood-Karriere. Nur zwei Wochen nach Newmans Tod wurde der letzte Film veröffentlicht, für den er die Musik vollständig komponierte. Sie brachte ihm posthum eine weitere Oscar-Nominierung und einen Grammy ein. Die Rede ist von AIRPORT.

Es dauert nur wenige Sekunden, bis man Newmans Genie ein letztes Mal zu hören bekommt. Regisseur und Drehbuchautor George Seaton, bekannt für den Weihnachtsklassiker DAS WUNDER VON MANHATTAN, beginnt seinen Film mit diesem titelgebenden AIRPORT, dem fiktiven Lincoln International Airport in Chicago. Es schneit heftig, also schieben riesige Fahrzeuge den Schnee weg von den Start- und Landebahnen. Dazu laufen die Titeleinblendungen – und es spielt Newmans letzte Ouvertüre. Seine brillante Arbeit überrascht: Die schwunghafte und mitreißende Orchester-Musik, die das Publikum zu hören bekommt, würde man eher in einem episch geratenen Abenteuerfilm erwarten als in einem Figurendrama rund um Angestellte eines Flughafens. Aber damit nimmt Newman in den ersten Minuten schon vorweg, was diesen Klassiker von 1970 auszeichnet.

Die Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Roman des britisch-kanadischen Schriftstellers Arthur Hailey, dem damit 1968 ein Welterfolg gelang. Das handlungsauslösende Ereignis seines Plots ist simpel: Mitten in einem Schneesturm bleibt eine Boeing 707 nach der Landung auf besagtem Lincoln International Airport im Schnee stecken und blockiert damit eine ganze Landebahn. Jetzt müssen die Flieger auf eine andere Bahn umgeleitet werden, die bei Nacht wegen den Beschwerden der umliegenden Anwohner eigentlich geschlossen bleiben soll. Flughafendirektor Mel Bakersfeld muss nicht nur diese Probleme lösen, sondern sieht sich auch mit seinem Schwager, dem erfolgreichen Piloten Vernon Demerest, konfrontiert, da dieser die Sicherheit der landenden Flugzeuge nicht länger gewährleistet sieht.

Von dieser Konstellation aus wird AIRPORT zu einem Drama, das aus Sicht verschiedener Figuren diese chaotische Nacht am Flughafen beleuchtet. So hat Bakersfeld nicht nur am Arbeitsplatz Probleme, sondern bekommt auch einen Anruf seiner Ehefrau, die für seine vielen Überstunden kein Verständnis mehr aufbringt. Bakersfelds standfeste Kollegin Tanya Livingstone wiederum hegt selbst Gefühle für ihn, erkennt längst, dass dessen Ehe gescheitert ist, und ist trotzdem drauf und dran, sich nach San Francisco versetzen zu lassen. Demerest erfährt derweil, dass seine heimliche Geliebte, die Stewardess Gwen Meighen, schwanger von ihm ist und in Erwägung zieht, das Kind zu bekommen – was die Ehe des Flugkapitäns beenden würde.

Keine Frage: AIRPORT steht in bester Tradition zum klassischen Hollywood-Melodram. Vor allem der Über-Klassiker MENSCHEN IM HOTEL von 1932 mit Greta Garbo und John Barrymore kann als direkter Vorläufer angesehen werden. Mit ruhiger Ausführlichkeit folgt Seaton seinen Charakteren durch ihren turbulenten Arbeitsalltag, inszeniert gemäß der damaligen Mode in auffallend vielen Halbtotalen, und filmt konsequent jedes Telefonat zwischen verschiedenen Charakteren in der Split-Screen-Technik, teilt also den Bildschirm in der Mitte, um beide Enden der Leitung zu zeigen.

1970 war eine Zeit, in der das Studiosystem Hollywoods mächtig strauchelte. Genrefilme, die zuvor typische Kassenerfolge waren, floppten. Stattdessen dominierte ein radikaleres Kino abseits abgesteckter Grenzen. Unkonventionelle und riskante Produktionen mit einer klaren Anti-Establishment-Haltung wie BONNIE UND CLYDE, DIE REIFEPRÜFUNG, ASPHALT-COWBOY und EASY RIDER standen sinnbildend für den neuen Geschmack einer Generation. In diesem Zuge war es keine Selbstverständlichkeit, dass sich Produzent Ross Hunter bei Universal Pictures dazu entschloss, die schon damals altmodisch angehauchte Romanadaption für 10 Millionen Dollar in Auftrag zu geben und ein großes Star-Ensemble dafür zu verpflichten.

Die beiden Streithähne Bakersfeld und Demerest wurden mit Burt Lancaster und Dean Martin besetzt – zwei der damals allergrößten Filmstars. Als die schwangere Gwen holte man sich die aus BULLITT bekannte Jacqueline Bisset an Bord, und für die resolute PR-Managerin Tanya wurde Jean Seberg verpflichtet. Die hübsche Amerikanerin pendelte seit ihrer Rolle im revolutionären Gangsterfilm AUSSER ATEM von Jean-Luc Godard 1960 mit Erfolg zwischen europäischem und US-amerikanischem Kino. Alle vier Weltklasse-Darsteller spielen in AIRPORT auf höchstem Niveau, überzeugen durch ihr zweifellos großes Talent und ihr immenses Charisma. Besonders Lancaster ruft eine Bestleistung seiner Karriere ab, auch wenn er sich später abfällig äußerte. Er hatte den Film nur eines äußerst lukrativen Vertrags wegen angenommen und bezeichnete ihn nach der Veröffentlichung als „den schlimmsten Mist, der je gemacht wurde“.

Während Hailey in der 690 Seiten langen Vorlage die Arbeitsabläufe so detailliert beschrieb, dass Stephen King ihm später vorwarf, er schreibe eigentlich „Betriebsanleitungen“, versteht Seaton seine Protagonisten als die schwer arbeitenden ‚Herrscher des Himmels‘, lässt seine männlichen Helden als die sprichwörtlichen harten Kerle des Industriezeitalters auftreten. In keiner Figur wird das so sichtbar wie beim erfahrenen Cheftechniker Joe Patroni, der die steckengebliebene Boeing von der Landebahn wegschaffen soll. Der begnadete George Kennedy spielt diesen Part mit einer der lässigsten Darbietungen von Hemdsärmeligkeit, die das Kino je gesehen hat. Als er beim Schäferstündchen telefonisch abkommandiert wird, erklärt er seiner Herzensdame flott, er werde die Maschine notfalls auch mit seinen Zähnen aus dem Schnee ziehen.

Einen Großteil der 137 Filmminuten investiert Seatons Meisterwerk in die verschiedenen miteinander verwobenen Handlungsbögen und bezieht seinen enormen Spaß vor allem aus einer ganzen Riege illustrer Nebenfiguren. Zu nennen wäre da neben Patroni noch Barry Nelson als lässiger Co-Pilot, James Nolan als Ohrfeigen-verteilender Pfarrer und die sensationelle Helen Hayes in der Rolle der Seniorin Ada Quonsett, die es faustdick hinter den Ohren hat. Als permanenter blinder Passagier trickst sie sich von einer Maschine zur anderen. Hayes spielt diese gewitzte alte Frau als komödiantischen Nebenpart so großartig, dass sie als einzige für AIRPORT mit einem Oscar ausgezeichnet wurde.

Doch obwohl das so ist, hat AIRPORT heute einen anderen Ruf: Er gilt als Begründer des Katastrophenfilmgenres der 70er, soll jenen Trend losgetreten haben, der später in DIE HÖLLENFAHRT DER POSEIDON, FLAMMENDES INFERNO und ERDBEBEN gipfelte. Das erklärt sich durch eine der Nebenhandlungen – nämlich durch jene, die im Finale alle Figurenstränge zusammenbringt. Verteilt zwischen die anderen Plots ist Van Heflin als verarmter Ex-Sprengstoffexperte der Armee zu sehen, der den Plan hegt, sich während eines Langstreckenfluges mit einer selbstgebastelten Bombe umzubringen, um seiner Frau so eine große Stange Geld über die Lebensversicherung zukommen zu lassen. Diese Frau, unglaublich tragisch von Maureen Stapleton verkörpert, kommt zwar dahinter, doch alle Warnungen sind zu spät. Ihr Mann setzt seinen Plan in die Tat um und natürlich muss kein geringerer als Demerest die Maschine sicher landen.

Dieses mit viel technischem Geschick und hoher Spannung umgesetzte Szenario eines in der Luft aufgesprengten Flugzeugs mag auf ein Publikum im Zeitalter nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in der Darstellung naiv wirken, verfehlte aber damals seine Wirkung nicht. Wenngleich einige Kritiker dem Blockbuster unterstellten, mit seinen Geschichten über Untreue, Eheprobleme und Flughafenpolitik eng verwandt mit der Seifenoper zu sein, löste AIRPORT überwiegend Begeisterung aus. Über Jahrzehnte gaben Piloten an Flugschulen auf der ganzen Welt an, durch diesen Film zu ihrem Berufswunsch gekommen zu sein. Kein Wunder also, dass AIRPORT nicht nur 128 Millionen einspielte und für zehn Oscars nominiert wurde, sondern auch drei Fortsetzungen erhielt, die dem Katastrophengenre dann noch eindeutiger zuzuordnen waren. George Kennedy war als Patroni übrigens der einzige Darsteller, der für alle weiteren Teile zurückkehrte.

Aber es ist das Original, das zum großen Klassiker wurde: Die Spezialeffekte sind erstklassig, die Besetzung exzellent, die Dialoge spritzig-gewitzt, die verschiedenen Geschichten erstaunlich offenherzig in Bezug auf Sexualpolitik – oszillieren sie doch zwischen Ehebruch, Abtreibung und Scheidung. Doch die Kirsche auf der Torte bleibt die Musik von Alfred Newman, die wie der perfekte Deckel auf diesen Topf passt. Der Großmeister verstand es perfekt, mit seinen ausgetüftelten Melodien sowohl den Figurendramen als auch dem Spektakel im letzten Drittel die gleiche Bedeutung beizumessen.

Genau diese Gleichwertigkeit der Erzählbausteine zeichnet AIRPORT aus, diesen Katastrophenfilm, in dem die Katastrophe erst nach 100 Minuten eintritt. Spätere Filme dieses Genres würden ihre Charaktere mit nachlässigeren, breiteren Strichen zeichnen, um schneller zu den Explosionen und dem Geschrei zu kommen, doch dieser wusste genau, dass es viel befriedigender ist, Dominosteine umzuwerfen, je mehr Zeit man damit verbringt, sie aufzustellen.

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USA 1970, Regie: George Seaton | Drehbuch: George Seaton, nach Arthur Hailey | Kamera: Ernest Laszlo | Musik: Alfred Newman | Darsteller: Burt Lancaster, Jacqueline Bisset, Dean Martin, Jean Seberg, George Kennedy u.v.a. | Laufzeit: 137 Min.

Fotos: Universal Pictures