MaXXXine

MaXXXine

Von Michael Kathe

MAXXXINE ist sowas wie der Sommerhit ‘24 der Horror-Kinofilme. Zurecht. Der dritte Teil von Ti Wests Trilogie ist sicher der bunteste, spaßigste und reflektierteste, obwohl die Schere der Urteile stark auseinandergeht. Von „crushing disappointment“ (Christy Lemire bei rogerebert.com) und „bleeds the franchise dry with a cynical giallo-esque 1980s styled thriller“ (Anton Bitel, Sight and Sound) auf der Minus-Seite – zu „ein herrlicher Prototyp des Vintage-Kinos“ (Vincent Malausa, Les Cahiers du Cinema) auf der Haben-Seite. Ich neige zu zweiterem: MAXXXINE begegnet uns mit der smoothen Oberfläche eines De Palma-Thrillers aus den 80er Jahren, um im gleichen Atemzug mit seiner Fragmentiertheit der Szenen und seiner Vielschichtigkeit der Details und Anspielungen ein komplexes Geflecht der Bedeutungen herzustellen.

Im Los Angeles des Jahres 1985 ist eben alles drin: Porno, Horror, schmutzige Videotheken, Serienmörder, unermesslicher Reichtum, Armut und Dreck auf den Straßen, wahnsinnige Sekten, Gender Bender (der Vorläuferbegriff von „nonbinär“), gefährliche VHS-Kassetten… you name it. Die 1980er waren eben anders. Ti West (*1980) und Mia Goth (*1993) können sie zwar nur im Rückblick wahrnehmen, und damit vielleicht gerade deshalb „echter“, weil sie vor allem das recherchierte Künstliche des Jahrzehnts spiegeln. Denn nur in den 1980er Jahren ist das Künstliche das Echte.

Im Los Angeles von 1985 spricht Porno-Superstar Maxxxine Minx (Mia Goth) für einen nichtpornografischen Film vor. Das Horror-Sequel „Puritan 2“ soll ihr Sprungbrett in die ganz große Welt des Mainstream-Startums werden, und es ist ihre unbedingte Motivation, berühmt zu werden, die die Regisseurin Elizabeth Bender (Elizabeth Debicki) davon überzeugt, sie zu casten. Sie soll alles dafür tun, ist Elizabeth Benders Doktrin. Sie wird alles dafür tun, ist Maxxxines Einstellung. Dieses Erfolgsstreben ohne Rücksicht auf Verluste ist kein Zufall. Am Anfang des Films sehen wir in kurzen TV-Ausschnitten Ronald Reagan, der seine damals neue neoliberale Politik verkündet, und die beiden Frauen verkörpern genau dies: Die sogennanten „Reagonomics“ werden mikropolitisch auf die Leben einzelner Menschen heruntergebrochen. Wie manifestiert sich der Reagan-Spirit in den Menschen? Maxxxine befindet, jede und jeder Mensch sei für sich selbst verantwortlich, für das eigene Wohlbefinden. Reflektiert in den Filmaufnahmen ihres Vaters, in denen sie als Kind sinngemäß sagt: Du hast „das Leben, das du verdienst“. Mit ihrer Fixierung auf den abwesenden Vater wird Maxxxine übrigens sehr bewusst auch dem weiblichen Über-Star der 1980er Jahr nachgezeichnet: Madonna. Die ja, neben ihrer Genderpolitik, ebenfalls als Inbegriff der sich selbst ermächtigenden Erfolgsfrau galt.

Gleichzeitig treibt in LA auch ein Serienmörder sein Unwesen, der „Night Stalker“, und bringt vorzugsweise aufstrebende Starlets wie Maxxxine um, die alles für den Erfolg tun. Im Verlauf des Films kommen die Morde immer näher an Maxxxines soziales Umfeld heran. Geheimnisvolle VHS-Kassetten machen klar: Irgendwann wird sie mit dem Killer konfrontiert. Ihr (neoliberal geprägter) Karrierismus geht so weit, dass Maxxxine den Morden an ihren Bekannten relativ kühl gegenübersteht, und dass sie auch nicht unterstützend mithilft, um den Mörder aufzuspüren. Wenn sie gegenüber der Polizei ihr Credo „I can handle myself“ verkündet und als Antwort „So said every dead girl in Hollywood“ erhält, dann lässt sie selbst diese Aussage emotionslos. So viel aber sei verraten: Am Schluss braucht‘s trotzdem die „staatliche Intervention“ (um das mal bewusst unpräzise zu formulieren).

Nach der Texas-Chainsaw-Ästhetik von X, der Technicolor-Pracht von PEARL wird MAXXXINE zur maximalen Buntheitsorgie, in welcher der Southern-Gothic-Chic der beiden Vorläufer und dessen Inhalte im Delirium der Eighties-Künstlichkeit nicht mehr da zu sein scheint, aber eben doch noch als Geist der Vergangenheit sein Unwesen treibt. Am augenfälligsten, wenn Maxxxine durch die leeren Filmkulissen des Filmstudios geht und auf einmal vor der Kulisse des Bates-Hauses aus PSYCHO in eine bedrohliche Situation gerät. Erinnern wir uns: Der Geist von Hitchcocks PSYCHO wurde im sehenswerten PSYCHO 2, mit Anthony Perkins, im Jahr 1983 wiederbelebt. In gewisser Weise bringen Ti West und Mia Goth, die gemeinsam an MAXXXINE arbeiteten, den Begriff der Hauntologie aus der Denkschule des französischen Philosophen Jacques Derrida, in eine direkte Abbildung. „Hauntology“ ist ein Kofferwort aus „to haunt“ und „Ontologie“ und bezeichnet die Gegenwart von Ideen und Vorstellungen aus der Vergangenheit – in diesem Fall wird der gigantische Optimismus der Reaganomics heimgesucht von den Psychosen der Vergangenheit bzw. basiert auf dem Puritanismus der Amerikaner (darum der Film-im-Filmtitel „Puritan 2“). Diese unterliegenden Strukturen sind es denn auch, die das Leben im L.A..der 1980er Jahre zum Horror machen. Oder, wie es die „Cahiers du Cinema“ ausdrücken: „Ein fiebriger Großstadtslasher, der an die Wildheit von DIE FRAU MIT DER 45ER MAGNUM oder MANIAC erinnert.“

Es gibt immer ein Drunter unter der Oberfläche. Sind die 1980er Jahre mit ihrer glänzenden Oberfläche nicht oft der Beweis dafür, dass es eine reine Oberfläche eben gar nicht gibt? Gerade der Eighties-Signature-Song von Frankie goes to Hollywood, „Welcome to the Pleasure Dome“, den der Film verwendet, bezieht seine Kraft aus der Vergangenheit, als Direktzitat von Samuel Taylor Coleridges Gedicht „Kubla Khan“ und ebenjenem mongolischen Herrscher – und immer auch auf einen anderen Ort, haunting, der mit dem Jetzt verbunden ist: „We’re a long way from home / Welcome to the Pleasure Dome.“

In MAXXXINE ist alles drin: Vergangenheit und Gegenwart, Glamour und Schmutz, Reichtum und Armut, Engel und Psychopathen. MAXXXINE ist ein vielschichtiges Meisterwerk, das unglaublich Spaß macht.

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MaXXXine, USA 2024 | Regie & Drehbuch: Ti West | Kamera: Eliot Rockett | Musik: Tyler Bates | Darsteller: Mia Goth, Elizabeth Debicki, Kevin Bacon, Moses Sumney, Michelle Monaghan, Bobby Cannavale, Halsey u.a. | Laufzeit: 104 min.

Fotos: : Universal Pictures / Starmaker Studios LLC, Universal Pictures Germany GmbH