Brecht – Schlöndorff – Fassbinder.

1500 vor Christus, 1918 und die Folgejahre, 1969, 1970, 2014! Das sind die Jahreszahlen, die sich mit diesem Kleinod der deutschen Filmgeschichte verbinden lassen. Gezeigt wurde es auf der diesjährigen Berlinale erstmals wieder ganz legal, pünktlich zum 75. Geburtstag des Regisseurs.

Die frühesten Belege eines Gottes Baal haben wir aus dem syrisch-ägyptischen Raum, etwa ab dem 15. Jahrhundert vor Christus. Wobei hier nicht ein einzelner Gott gemeint ist, sondern „Baal“ als Sammelbegriff für verschiedene Gottheiten zu verschiedenen Zeitpunkten zu verstehen ist. Da er aber unter anderem als Wettergott verehrt wurde, verbinden wir mit ihm häufig den Gott der Fruchtbarkeit. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass der junge Brecht, als er 1918 mit dem Schreiben seines „Baal“ begann, diesen Mythos vor Augen hatte. Sein gefeierter Dichter Baal frönt ungezügelt allen dionysischen Genüssen, ohne Rücksicht auf sich und andere. Brecht, noch ganz unter dem ästhetischen und sprachlichen Einfluss des Expressionismus, versucht sich mit dem nie vollendeten Drama thematisch von damaligen, kriegsbedingt pathosgeladenen, die Menschheit erneuern wollenden Stücken abzusetzen, und das „asoziale“ so zu zeigen wie es ist. Rückblickend erklärte er diesen Versuch für gescheitert. Ebenso wie seinem genialen, auch Fragment gebliebenen „Fatzer“, spricht er seinem „Baal“ die nötige „Weisheit“ ab. Es ist nicht sein einziger Irrtum, eben so wenig wie der seiner Erben.

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1970 kam es zu zur Ausstrahlung in der ARD und dem BR, zur besten Sendezeit. Helene Weigel, so wird kolportiert, habe diese Ausstrahlung gesehen und sei entsetzt gewesen. Als Rechteinhaberin schritt sie ein und verbot jede weitere Ausstrahlung oder Veröffentlichung. Es ist rückblickend verständlich, dass eine Schauspielerin, die durch Brechts Arbeit eine bis in die kleinste Geste artifiziell erarbeitete und geführte Spielform gewohnt war, mit dem puren Präsenzspiel eines Fassbinders nichts anzufangen wusste. Thomas Brasch hat Volker Schlöndorff Jahre später erzählt, die Weigel sei nach wenigen Minuten Film mit den Worten gegangen: „Sich einen Lederjacke anzuziehen und einen Zigarette in den Mund zu stecken, macht einen noch lange nicht zu Brecht!“ So lässt sich vermuten, dass sie durch diesen Film auch um das kulturelle Erbe ihres Mannes fürchtete, das sich endlich international durchgesetzt hatte. Dieses einseitige Denken über Kunst und ihre Interpretation sollte auch die nachfolgende Erbengeneration prägen und damit nicht nur Schlöndorffs Film über vierzig Jahre dem Publikum vorenthalten, sondern auch eine zeitgeschichtliche Neubewertung und -entdeckung von Brechts gesamtem dramatischen Werk nachhaltig verhindern.

1969 begann Volker Schlöndorff mit den Dreharbeiten. In dem über dreißigminütigen Interview, das sich im Bonusmaterial der jüngst erschienenen DVD-Edition befindet, spricht er von einem „tiefen Loch“ in dem er sich damals befand, und dem Wunsch, noch einmal neu anzufangen, wie ein „Amateur“ zu arbeiten. Schlöndorff erzählt nach Brechts Vorlage in 24 Bildern, die per Zifferneinblendung voneinander getrennt werden, linear vom unaufhaltsamen Abstieg des zuerst noch gefeierten Dichters Baal. Dieser wird von Rainer Werner Fassbinder verkörpert. Baals Lebensgier ist so groß, dass er die „schöpferische Kraft der Zerstörung“ auf seine Umwelt überträgt. Von Anfang an erkennt man in ihm den Todgeweihten. Körperverletzung mit Ansage, und das Opfer ist er selbst.

Die Reaktionen der Frauen auf diesen Baal lassen sich treffend mit dem Begriff „Wollust“ beschreiben. So ergeht es auch der Freundin seines bis dato besten Freundes. Von Baal verführt, gedemütigt und wieder ausgespuckt, nimmt sie sich das Leben. In einem Wirtshaus, nachdem Baal Gedichte vorgetragen hat, bejubelt wurde und darauf abermals alle in seiner Umgebung beleidigt hat, trifft er auf Ekart (Sigi Graue). Der fordert Baal auf, mit ihm zu kommen. Wie in Panik weicht Baal vor ihm zurück und wird von den eben noch gedemütigten Frauen festgehalten, als drohe er ins dunkle All hinaus gesogen zu werden. Trotz allem können sie nicht von ihm lassen und beschimpfen Ekart. Die Kamera filmt von oben nach unten, als blicke Ekart gottgleich auf seine Kreatur hinab, die von den Frauen zu Boden gezerrt wird.

Dann begegnet Baal der Schauspielerin Sophie, herausragend gespielt von Margarethe von Trotta, und für einen Moment keimt so etwas wie Hoffnung auf eine gemeinsame Liebe auf. Er versucht sogar regelmäßig Geld zu verdienen. Doch er kann das Glück nicht lange ertragen, flüchtet wie immer in den Suff. Er fühlt sich von ihr an den Boden gekettet und lässt sie schwanger am Straßenrand zurück. Schon länger ist Ekart nun doch sein ständiger Begleiter geworden. Mit ihm schlägt er sich in die Wälder. Zwischen den beiden deutet sich eine reine und unschuldige homoerotische Beziehung an, im Gegensatz zu Baals Frauenbeziehungen. Das hält er aber nicht lange aus. Er wird immer rasender, vergewaltigt eine sich Ekart nähernde Frau und ersticht diesen aus Eifersucht in einer Spelunke. Baal flüchtet sich mit dem Tode ringend, in den Wald zu einem Trupp Holzfäller, der ihn bereits zuvor widerwillig Unterschlupf gewährte. Diese Männer der Tat und der produktiven „Kraft der Zerstörung“, haben für ihn und seine Lebensweise nur Verachtung übrig: „Lass dir mit dem Stinken nicht zu viel Zeit!“ Den Gefallen tut er ihnen und schleppt sich alleine und einsam zum Sterben ins Unterholz.

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Fassbinder gibt seinem Baal eine pure, authentische Präsenz. Schlöndorff beschreibt es treffend, Fassbinder hätte sich den Baal einverleibt, um Fassbinder zu spielen. Die Grenzen zwischen Figur und Darsteller verschwimmen. Das ist anfangs fesselnd und beeindruckend, ermüdet aber nach einiger Zeit, da Fassbinders begrenzte schauspielerische Fähigkeiten es ihm nicht erlauben, mehrere Ebenen der Figur darzustellen. Dies versucht die Regie gestalterisch auszugleichen. Mal prägnant, mal plakativ… Schlöndorff und sein Kameramann Dietrich Lohmann arbeiten in diesem Film nur mit einer 16-mm-Kamera, „aus der Hand gedreht.“ Sie ist immer in Bewegung, umkreist die Spieler wie ein Beobachter, der ganz nah dran sein möchte, es dann aber nicht mehr erträgt und zurückweicht. Das Objektiv wurde mit einer dünnen Schicht Vaseline bestrichen, was den Effekt hat, dass das Bild am Rande unscharf ausfranst. Die Szenerie wird quasi einrahmt, wie man es von alten Schwarz-Weiß-Fotografien kennt, und gleichzeitig der Rand ins Unendliche ausgedehnt. Lohmanns Kamera und der Umgang mit den authentischen Drehorten sind mitverantwortlich, warum uns der Film in seiner brachialen Gewalt auch heute nicht kalt lässt.

Fassbinder hatte Lohmann mit ins Team gebracht, wie er auch fast das ganze Ensemble seines Münchener „Antitheaters“ bei Schlöndorff unterbringen konnte. Was dem Film nicht unbedingt zusätzliche schauspielerische Klasse verleiht… Viele der Laien stolpern sehr beim Bewältigen der brechtschen Textkaskaden. Aber so gelang Schlöndorff eine Besetzung mit authentischen Typen, wie man sie heute nicht mehr im Fernsehen findet. So lässt sich auch die Besetzung von Sigi Graue erklären. Diese ist die große Schwäche des ansonsten herausragenden und immer noch sehenswerten Films. Die Beziehung zwischen Baal und Ekart bleibt durch Graues amateurhaftes Spiel so spannungsarm, das vor allem im letzten Drittel des Films vieles, was möglich wäre, auf der Strecke bleibt.

Mit heutigen Augen gesehen, schiebt sich das homoerotische Element des Films wesentlich stärker in den Vordergrund, als es beim Dreh oder gar beim Verfassen der Vorlage angedacht gewesen sein kann. Heutzutage könnte man fast denken, Baals Raserei ist ein verzweifelter Versuch gegen seine Homosexualität anzukämpfen. So ist es mit der Neuauflage des Films nun möglich, einem Kunstwerk neue, andere Seiten abzugewinnen. Schlöndorff wählte überdies für sein Drehbuch nicht eine der vielen überlieferten Baal-Fragmente Brechts, sondern entscheidet sich für eine Mischung. Auch ließ er Brechts Lieder, neu vertont von Klaus Doldinger, bestehen, was dem Film einen theatralen und epischen Anstrich verleiht. So wurde erreicht was geplant war, nicht ein abgefilmtes Theaterstück zu produzieren, auch keinen Fernsehfilm nach Brecht, sondern einen wahren „Theater-Film“, der das Beste aus beiden Dimensionen in sich vereint. Das ermöglicht ein authentisches, theatrales Spiel und setzt die technischen Mittel so ein, dass der Zuschauer mit am Kneipentisch zu sitzen scheint.

BAAL liegt über Zweitausendeins nun auf DVD vor. Die DVD bietet unter anderem ein Interview mit Volker Schlöndorff, einen Auszug aus dem Drehbuch, zeitgenössische Fernsehbeiträge sowie die Pressehefte von 1969 und 2014.

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Baal, Deutschland 1970, Regie: Volker Schlöndorff, Mit: Rainer Werner Fassbinder, Margarethe von Trotta, Hanna Schygulla, Walter Sedlmayr, Sigi Graue u.a.

Anbieter: Zweitausendeins

 

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