Gaspar Noé kann auch eine Liebesschmerzgeschichte nicht anders als skandalträchtig erzählen. In diesem Fall mit vielen Pornoszenen – was auch in Cannes anno 2015 immer noch ein (Ins-Kino-)Treiber ist, zumindest für die Filmkritiker.
Im Zentrum der Geschichte steht Murphy (Karl Glusman), ein junger Filmemacher mit Frau und Kind und dem Namen, der ebenjenem „Gesetz“ nachempfunden ist. Murphy ist in höchstem Maß unglücklich mit seiner Situation, seiner Ehe, seiner nörgelnden Frau Omi (Klara Kristin). Er träumt von seiner wahren Liebe Electra (Aomi Muyok), die ihn verließ, weil er mit Omi fremdging und Verantwortung für das ungewollte Kind übernahm.
Seine in der Gegenwart so unglaublich heroisierte Liebe hatte also immer schon ihre Bruchstellen. Er wachte eifersüchtig über Electra, sie hatte stets Probleme mit seinem Verhalten. Seine Filmposter von „Salo“ und „L’histoire d’O“ wirken wie ein ironischer Kommentar zu dieser komplizierten Abhängigkeit, die gezeichnet ist von impulsiven Handlungen und irrsinnigen Liebesbezeugungen.
Dabei wollen weder Regisseur Noé noch sein Protagonist Murphy klassische Pornografen sein. Noé lässt seinen Charakter Murphy das filmische Idealprogramm an einer Party ausplaudern: „Mein grösster Lebenstraum ist es, einen Film zu machen, in dem die sentimentale Sexualität anschaulich dargestellt wird.“ Diesen Anspruch versucht LOVE zu erfüllen, denn es gibt ja mehr als eine Liebes-Sexszene im Film. Wobei beim Betrachten der Szenen schnell die Frage auftaucht, ob sie wahrhaftig Sentimentalität darstellen können. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: der kalte, von oben gefilmte Sex benötigt 85% narrative Anteile, damit er mit den geeigneten Emotionen aufgeladen wird. Und manche der Szenen sind alles andere als sentimental, sondern einfach verstörend. Sex mit Musik à la Throbbing Gristle. Düsteres, beunruhigendes Früh-Achtziger Industrial Sounddesign. Er wird eifersüchtig, schlägt einem Partygast eine Champagnerflasche über den Kopf, wird eingebuchtet, schreit „Ich bin doch kein Muschi-Sklave.“ Auch der Besuch im Swingerclub endet nicht gerade positiv für Murphy. Electra sagt zu Murphy: „Du lebst in Angst.“ Und über all dem schwebt die Einsicht „Wenn du dich verliebst, so richtig, bist du der Verlierer.“ Murphy meint dazu ungläubig, und später wissend: „Ich bin der Verlierer?!“
Ah ja, Gaspar Noé hat sich einen persönlichen Witz erlaubt, beziehungsweise der Story eine sehr persönliche Perspektive gegeben: Protagonist „Murphy“ trägt den Namen von Noés Mutter, das Baby im Film heisst „Gaspar“ und nicht zuletzt spielt Gaspar Noé selbst einen Galerienbesitzer und Ex von Electra, auf den Murphy unendlich eifersüchtig ist.
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Love, Frankreich/Belgien 2015 | Regie: Gaspar Noé | Drehbuch: Gaspar Noé | Kamera: Benoit Debie | Mit: Aomi Muyok, Karl Glusman, Klara Kristin, Ugo Fox, Juan Saavedra, Gaspar Noé | Laufzeit: 141 Min. (Verleih: Alamode)