Psycho-Exorzismus.

Schön, dass das Neuchâtel International Fantastic Film Festival (NIFFF) auch den 16mm-Film eines jungen deutschen Regisseurs ins Wettbewerbsprogramm nahm. LUZ mochte zwar neben dem souveränen Gewinner, Gaspar Noës CLIMAX, keine Chance haben, besticht aber doch streckenweise durch einen eigenständigen Drive und eine faszinierende, irrwitzige Darstellung von Besessenheit(en).

Luz_2 Der Irrsinn beginnt bereits in einer Bar am Anfang des Films. Die Vollblutfrau Nora (Julia Riedler) mit üppigem Ausschnitt und weißer Lederjacke macht sich so unverfroren wie gefährlich – Vorsicht vor der selbstsicheren Frau! – an den Psychiater Rossini (Jan Bluthardt) heran; erst einmal nur, um ihm von ihrer alten Schulfreundin aus Chile, Luz (Luana Velis), zu erzählen. Kindheitserlebnisse … wie beide nackt in einer Kapelle erwischt wurden, Luz von der Schule flog, dazu ein oft repetiertes Vaterunser. „Our father / why art thou such a dick? / (…) / you see a girl and reveal your true self.“ Ein atemberaubendes Schlagzeugscore peitscht die Dramatik aus Sexlust, harten Drinks und verrückter Jugendstory in einen Zustand das Fast-Nicht-Aushaltbaren hoch. Als Nora schliesslich Rossini auf die Toilette der Bar bugsiert hat, so viel sei verraten, verkommt der erlösende Kuss zu einer dämonischen Übertragung.

Luz_Poster Nach dem Ausflug aus der Bar, die sehr nach Neonachtzigern roch, befinden wir uns vorwiegend in einer dunklen Halle zwischen Siebziger Spannteppich und Holzdesign. Zu einer seltsamen Versuchsanordnung in dieser Halle mit Tonstudio wird Luz in gewisse Bewusstseinsstadien zurückversetzt, um das Dämonische aus ihr herauszubringen und sie zu einer Zeugenaussage zu bewegen. Psychiater Rossini ist anwesend, ebenso eine Krankenhausaufseherin und ein Tontechniker. Nachgespielt wird eine Taxifahrt, in der Luz offenbar Nora in ein Spital fuhr. Oder Rossini? Die Realität gerät ins Wanken. Und tatsächlich, was hier statt einer Befragung stattfindet, ist eine Art Exorzismusversuch, mit Hypnose, Aggression, Manipulation und oft unter personell verkehrten Vorzeichen: Ist nun Luz besessen oder nicht eher Rossini, der Befrager, der phasenweise Noras weiße Lederjacke und Kleidung trägt und dessen Identität auch sonst immer brüchiger wirkt? Schließlich liegt der Raum in tiefstem Dunst. Luz steht auf. Aus dem Off hören wir die Stimme der Aufseherin: „Lassen Sie Luz nicht entkommen! Schießen Sie!“

Luz_4 So endet die 70-minütige, unterhaltsame Tour de Force durch das Okkulte und das Rationale, durch Begehren und Beschwörung, durch Gegenwartswahn und Vergangenheitsbewältigung. Die Story zu verstehen ist nicht immer einfach, was das eigentliche Manko des Films sein mag. Je länger er dauert, desto schwieriger wird es, die Geschehnisse zu verstehen. Da hilft Julia Riedlers Erklärung bei der Berlinale wenig, dass LUZ einfach die Geschichte erzähle, wie der Teufel sich in Luz verliebt und sie küssen möchte. Zumal Jan Bluthardt tags darauf meinte, dass auch diese Hilfestellung nicht in jeder Szene stimme.

Luz_1 Wer LUZ trotzdem in seiner Dynamik, seinem Erzähltempo und seiner filmischen Lust genießen kann, der sieht vor allem eine spannende Geschichte, in der katholische Vergangenheit – nach Chile verschifft wie einst die Nazis – mittels Vernunft und Psychologie erklärt und ausgetrieben werden soll. Doch die rationale Psychologie unterliegt. Inhaltlich wie filmisch. Die Dämonen sind wieder frei. „Schießen Sie!“

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Luz | Deutschland 2018 | Regie, Drehbuch: Tilman Singer | Kamera: Paul Faltz | Musik: Simon Waskow | Darsteller: Jan Bluthardt, Luana Velis, Julia Riedler, Johannes Benecke, Lilli Lorenz | 70 min.