Eine Tankstelle bei Nacht. Ein Auto fährt vor. Ein Mann in Schwarz steigt aus, geht in den Tankstellenshop, schießt, verschwindet. Sieht aus wie eine Abrechnung, nur leider wird der Falsche schwer angeschossen. Als Jon (Raul Arevalo) das Drama realisiert hat und in den Shop eilt, findet er seinen Freund Pablo (Aitor Luna) am Kopf blutend auf dem Boden, daneben einen Mann („sah russisch aus“) mit Pistole, der aber nicht schießt, sondern abhaut. Vermutlich war er die Zielscheibe für die Abrechnung.
Zehn Jahre später führt uns Regisseur Daniel Calparsoro gemächlich in die Welt des zehnjährigen Jungen Nico (Hugo Arbues) ein. Ein Schüler, der von drei Mitschülern gequält wird. Er frisst die Demütigungen in sich hinein. Beispielsweise muss er den Jungs ein Pornoheft an eben jener Tankstelle stehlen, „an der vor 10 Jahren ein Mann erschossen wurde“ – und wird prompt dabei erwischt. Als daraufhin Mutter Lucia (Auroa Garrido) mit der Schulleiterin spricht, werden die Jungs natürlich noch aggressiver: Nico muss sich nackt ausziehen und wird fotografiert. Außerdem erhält er einen Zettel mit der Drohung, am 12. April, seinem Geburtstag, keinesfalls die Tankstelle aufzusuchen. „Sonst wirst du sterben.“ Dass es damit noch mehr auf sich hat als das peinigende Mobbing von Mitschülern, erfahren wir über die clevere Parallelmontage der beiden Handlungsstränge. Immer wieder wechselt die Geschichte von Jon auf Nico und umgekehrt.
Jon ist zwar ein cleverer Bursche, doch auch ein schizophrener Pillenschlucker mit einer Leidenschaft für Mathematik. Während sein Freund Pablo im Koma liegt, entdeckt Jon seltsame numerische Auffälligkeiten und entdeckt, dass an diesem Ort bereits früher Menschen ermordet wurden. Immer am 12. April. Immer mit einer altersmäßig identischen Zusammensetzung von Menschen: ein 10jähriger, ein 21jähriger, ein 32jähriger, ein 43jähriger und ein 54jähriger. Die Abstände der Jahreszahlen zu einer etwas unklareren Reihe: 1913, 1955, 1976, 2008, 2018. Und die Vorfälle haben kaum eine innere Beziehung. Sie reichen von einem Banküberfall über ein ETA-Attentat bis hin zum Pornomagazinklau.
Das führt Jon zur Annahme, dass es bei dieser gespenstischen Koinzidenz nur um Zahlen geht. Um nichts mehr. Leider führt die Geschichte da nicht weiter. Weder enthüllt sie einen numerologisch tiefer gehenden Sinn (die Zahl 11 hätte doch ein paar Tricks auf Lager), noch öffnet sie die Trickkiste der Mathematik auf faszinierende Art (wie wäre es zum Beispiel mit einer abwärts führenden Fibonacci-Folge gewesen?).
Die durchaus sorgfältig aufgebaute Story bietet zwar noch ein paar überraschende Twists, kann aber den geheimnisvollen Zusammenhang weder mystisch noch rational erklären. Das ist durchaus symptomatisch z.B. für den heutigen Umgang mit Verschwörungstheorien. Oft reicht es schon, seltsame Dinge in Beziehung zu setzen, um Verschwörungstheorien aufzustellen. Doch die Gründe dazu, das Why oder das How, bleiben im Dunkeln (oder sind völlig durchgeknallt, wie z.B. die Flatearthers). Für einen richtig guten Film jedoch reicht das nicht.
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El Aviso, Spanien 2018 | Regie: Daniel Calparsoro | Drehbuch: Patxi Amezcua, Chris Sparling | Kamera: Sergi Vilanova | Darsteller: Raul Arevalo, Aura Garrido, Hugo Arbues, Aitor Luna, Belen Cuesta | 92min.