Wer sich hin und wieder dem populären Genre der Historienfilme hingibt (soll‘s ja geben, auch unter Fans des unterschlagenen Films), für den müsste als Splatting-Image-Fan die Filmbiografie von Mary Shelley grössere Pflicht sein als etwa COLETTE (die bestimmt sexier ist) oder MARIA STUART (vermutlich blutiger), um zwei andere aktuelle Filmbiografien zu erwähnen. Denn die historische Mary Shelley ist niemand geringeres als die Autorin von „Frankenstein“, einem der beiden berühmtesten Horrorromane in der Geschichte der Weltliteratur. Deshalb kam die Autorin auch in Filmen wie James Whales BRIDE OF FRANKENSTEIN (durch Elsa Lanchester), Ken Russells GOTHIC (durch Natasha Richardson) oder Roger Cormans FRANKENSTEIN UNBOUND (durch Bridget Fonda) bereits zu ihren Auftritten.
Legitim ist die feministische Perspektive trotzdem. Denn Mary Shelley (Elle Fanning), die ursprünglich Mary Godwin hieß, wuchs nicht nur als Tochter eines der Begründer des Anarchismus, William Godwin (Stephen Dillane), auf. Ihre gleich nach der Geburt verstorbene Mutter Mary Wollstonecraft übte posthum einen wohl ebenso bedeutenden Einfluss auf Mary aus. Denn als Autorin eines der grundlegenden Werke des Feminismus („Die Verteidigung der Rechte der Frau“, 1792) verbreitete Wollstonecraft freiheitliche Thesen gleicher Rechte, die von ihrer Tochter wie ein moralischer Kompass eingesogen wurden. Nicht zuletzt deshalb treibt sich Mary gerne bei Mutters Grab auf dem Friedhof herum.
Eher ein Zufall will es, dass die Shelleys das andere Dichtergenie Englands, Lord Byron (Tom Sturridge), kennen lernen und dass Marys Halbschwester Claire Clairemont (Bel Powley) ihn lieben lernt. Bei einer Variétéshow, in der die Wiederbelebung eines Frosches mit Elektrizität demonstriert wird. Damit sind die Ingredienzien angemischt, um das berühmte Schlüsselerlebnis in der Geschichte der drei großen Poeten auszubreiten: das Treffen am Genfer See, dass bereits einmal irrwitzig-schwungvoll von Ken Russell verfilmt wurde (GOTHIC, 1986).
Al-Mansour schildert uns die Genf-Episode, die oft als Initialzündung literarischen Horrors gesehen wird, auf völlig andere Art: gänzlich unheroisch. Byron und Percy Shelley suhlen sich auf erbärmliche Art in ihrem Geniekult, schlucken zu viele Drogen. Byron behandelt Claire abschätzig, macht sich über die Erzählung seines Leibarztes und Schriftstellers Giovanni Polidori (Ben Hardy) lustig. Die Resultate sind bekannt: Weder Byron noch Percy Shelley schreiben bedeutsame Schauerstories, sondern Polidoris „The Vampyre“ entpuppte sich als erste Vampirgeschichte und Mary Shelleys „Frankenstein or The Modern Prometheus“ (1818) wurde zu dem Horrorklassiker schlechthin, der neben Bram Stokers „Dracula“ (1897) als bedeutendstes Werk der Horrorliteratur zählen darf.
Auch insgesamt zeugt Al Mansours Film nicht von einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit Mary Shelley: Sie fokussiert fast ausschließlich die Schaffung des Frankenstein-Romans (1816 in Genf war Mary erst 19 Jahre alt) und verpasst es dabei, dem vielseitigen Leben der Schriftstellerin, die mit 54 Jahren starb, mehr abzugewinnen. Nämlich das Reife, Überlegte und wirklich Feministische.
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Mary Shelley | USA 2017 | Regie: Haifaa Al Mansour | Drehbuch: Haifaa Al Mansour, Emma Jensen, Conor McPherson | Musik: Amelia Warner | Darsteller: Elle Fanning, Maisie Williams, Bel Powley, Douglas Booth, Tom Sturridge, Stephen Dillane | Laufzeit: 120min.