Worauf der Titel anspielt, muss wohl niemandem erklärt werden. Dass es im neuen Tarantinofilm um Spaghetti und um Western geht, ist nur ein Teil des Ganzen. Und um Spaghettiwestern nur ein ganz kleiner. Dass es sich um ein Märchen handelt, verdeutlicht der Titel mindestens ebenso sehr. Es geht um Hollywood in den späten Sechzigern. Tarantino erzählt die Geschichte vom Massaker der Manson Family an Polanskis Frau Sharon Tate aus der Perspektive der Nachbarn. Und er erzählt sie so, dass sein Film nur von Leuten verstanden wird, die die Story bereits kennen. Und er ändert auch etwas Grundlegendes … doch dazu später.
Im Zentrum des Märchens steht der abtretende Western-Filmstar Rick Dalton (Leonardo Di Caprio). Obwohl ein cool agierender Mittvierziger, der ein Leben im Überfluss führt – hier ein Drink, dort ein flotter Spruch -, muss er damit klarkommen, dass er bald nicht mehr in der obersten Liga der Stars mitspielt. Er ist zwar überaus begabt und übt nachts im Pool fleißig seine Texte, doch schließlich muss er sich mit dem verachtenswertesten Job in seiner Situation abgeben: einer Reise nach Cinecitta, wo er Spaghettiwestern unter der Regie von Sergio Corbucci, Antonio Margheriti und anderen dreht.
Frisches Blut und großer Erfolg tauchen allerdings plötzlich in Ricks Nachbarschaft in Cielo Drive auf, ein europäischer Vorbote des New Hollywood: Roman Polanski, mit seiner Frau Sharon Tate und Mitbewohner, Exlover und Hairstylist Jay Sebring (Emile Hirsch).
Während Polanski (Rafal Zawierucha) eher gesichtslos bleibt, erhält seine Frau mehr Bedeutung in Tarantinos Universum. Nachbarin Sharon Tate (Margot Robbie) „has ist all“, wie der Amerikaner sagt: Sie ist ein semiprominentes Starlet mit bestem Aussehen, coolem Auto und dem heißesten Regisseur als Lover: Roman Polanski hat sie bei den Dreharbeiten zu TANZ DER VAMPIRE kennen gelernt – und in der Zwischenzeit hat er den wohl angesagtesten Streifen des Jahres abgedreht, ROSEMARYS BABY. In der Playboy Mansion tanzen und turteln sie mit der attraktiven Michelle Phillips der Band „Mamas & Papas“ herum (falls die jemand nicht kennt: „California Dreaming“ war deren Hippie-Hymne-goes-Welthit) und Steve McQueen, der unbedingt noch ein paar Sprüche gegen Hippies fallen lassen muss. (Dass vorher übrigens „Hush“ von Deep Purple läuft, ist einem der ersten Auftritte von Deep Purple 1968 in der Sendung „Playboy after dark“ geschuldet, in der Hugh Hefner vorab mit Ritchie Blackmore und John Lord herumalbert. Mit subtilen Bezügen wie diesem ist Tarantinos Film natürlich übervoll.)
Ein paar angenehme Schlenker versüßen den Weg zum unausweichlichen Ende der Geschichte. Cliff verprügelt den damaligen GREEN HORNET-Star Bruce Lee (der übrigens im echten Leben von Jay Sebring entdeckt wurde), Rick lässt sich bei einem Western von einer alles wissenden 8jährigen Göre die hohen Weihen der Schauspielkunst erklären, auf dem Italientrip heiratet er eine angesagte, schlechtgelaunte italienische Filmdiva.
Doch dann kommt es, das unausweichliche Ende (Vorsicht, Spoiler): Zusammen mit dem Mord der Hell‘s Angels an Meredith Hunter beim Altamont-Festival 1969 gelten die Morde der Manson-Family als düsterer Wendepunkt in der Geschichte der Hippiebewegung. Susan Atkins und drei weitere Mitglieder der Family ermordeten in der Nacht des 9. August 1969 die schwangere Sharon Tate, Jay Sebring, Drehbuchschreiber Wojciech Frykowski und dessen Freundin Abigail Folger auf grauenhafte Weise, nach Anweisungen von Charles Manson. Doch bei Tarantino ist das Ende nicht unausweichlich. Dank den alten Hollywoodrecken Rick und Cliff werden die Morde nicht begangen. Sie „erretten“ das New Hollywood vor seinem bösen Zwilling und mit diesem Showdown verändert Tarantino seine Story, die sich bis anhin durchaus an die Fakten gehalten hat. Weshalb macht er das?
Aber nicht nur das: Mehr oder weniger bewusst verarbeitet Tarantino auch die heutige Zeit, in der Moral und Unmoral massiv getrennt sind, in diesen so unglaublich polarisierten USA. Nicht nur wegen seiner Frauenfiguren geriet Tarantino etwas unter Verdacht des progressiven Hollywood, sondern weil er seiner damaligen Freundin Mira Sorvino zu wenig Glauben schenkte, als sie auf Tarantinos Hauptkarrieremacher Harvey Weinstein als Frauenjäger hinwies. Trotz keiner effektiven Fehlhandlung öffentlich angeprangert: kein Wunder, hat er mit dem aktuellen New Hollywood Mühe und sehnt sich nach den alten Filmzeiten zurück (als er mit Gewalt und Witz erfolgreiche Filme machte). Andererseits ist Tarantino viel zu aufgeklärt und modern, als dass er sich in irgendeiner Weise mit den mächtigen, regierenden, rückschrittlichen Kräften der USA identifizieren könnte. Daher die Ambiguität seiner Filmhandlung zwischen sexy Sexismus und politischer Korrektheit – und dem Wunsch, den Lauf der Geschichte ins eindeutig Gute zu wenden.
___________________________________________________________________
Once upon a time in Hollywood | USA 2019 | Regie: Quentin Tarantino | Darsteller: Brad Pitt, Leonardo di Caprio, Margot Robbie, Emile Hirsch, Bruce Dern, Dakota Fanning, Luke Perry, Kurt Russell u.a. | 161 min.