Russland hält Norwegen weiter besetzt.

Ein halbes Jahr ist vergangen. Norwegen lebt weiterhin in enger Umschlingung mit Russland, die Untergrundorganisation „Fritte Norge“ existiert immer noch und macht mit Anschlägen gegen russische Einrichtungen von sich reden. Gleichzeitig gibt es im Militär Kräfte, die auf Konfrontation machen, aber auch mit dem Ziel, die sehr umstrittene russische Platzierung von Mittelstrecken-Raketen aufzudecken.

Gleichzeitig arrangieren sich viele Leute mit den russischen „Besatzern“. Bente (Ane Dahl Thorp) hat mit einer Russin ein elegantes Restaurant gekauft und bedient vor allem russische Gäste. Hans-Martins Frau setzt sich für die Gleichheit vor dem Gesetz ein, dass russische Bewohner die gleichen Rechte haben und nicht „politisch“ gegen sie der Prozess gemacht wird. All das weckt neue Gegenkräfte – eine anfangs pazifistische Bewegung, gegründet von der Ehefrau eines der zu Gefängnis verurteilten norwegischen Soldaten, radikalisiert sich. Der Untergrund in Norwegen wächst, Teile des norwegischen Militärs sympathisieren mit ihm.

Und – niemand in der Öffentlichkeit weiß es – Ex-Präsident im Exil Jesper Berg (Henrik Mestad) ist inzwischen Anführer der Untergrund-Terror (oder Befreiungs-) Organisation „Fritte Norge“, mit der er über ein Ego-Shooter-Game kommuniziert.

Regierungschefin ist nun Anita Rygh (Janne Heltberg), seine ehemalige Pressesprecherin und rechte Hand. Zusammen mit der russischen Botschafterin Irina Sidorova (Ingeborga Dapkünaité) sucht sie den vernünftigen Mittelweg, unter Einbezug vieler Missverständnisse allerdings. Denn die russische Botschafterin stellt sich als mehr als nur eine Übersetzerin der russischen Interessen heraus und versucht ebenfalls friedliche Lösungen der konfliktreichen Situation im Land. Das Auf und Ab von Gewalt, Missverständnissen, bewussten Umsturzplots, politischen Reaktionen ist atemberaubend in der zweiten Staffel von OCCUPIED und erinnert – mehr noch als die erste Staffel – an die rasanten Spannungsbögen der US-Serie „24“, hier allerdings mit stärkeren Grautönen (was die Serie letztendlich interessanter macht). Wir haben es mit einem Planspiel zu tun, in dem sich die Protagonisten mit ständig wechselnden politischen Situationen befassen müssen. Immer scheint es eine Unbekannte zuviel zu geben, die das ganzen „Haus Norwegen“ wieder zum Einstürzen bringen könnte. Angenehm an OCCUPIED ist jedenfalls, dass die Vernunftpersonen in den Machtpositionen sind. Fictional History at its best.

Dass Fictional History seit einigen Jahren ein Trend ist, mag kein Zufall sein, denn die 2010er Jahre waren für viele Menschen frustrierend. Die Entwicklung zu immer noch mehr Neoliberalismus, zu immer noch mehr Sozialabbau, zu immer noch weniger Lohnerhöhung bei gleichbleibend überhöhtem Arbeitsaufkommen zerrieb die Menschen – und führte schließlich zu diesen irren Brüchen in der Weltgeschichte, die sich niemand in der westlichen Welt vorher ausgemalt hätte: Brexit und Trump. Das sind einschneidende Ereignisse, die so niemand vermutet hätte und die beinahe etwas Fiktionales an sich hatten. Die gezeigt haben, dass wir längst nicht am „Ende der Geschichte“ angekommen sind. Und fünf Jahre später sind die Chancen groß, dass die USA sich selbst die Demokratie unter den Füßen wegziehen. Mit dem Sturm aufs Kapitol und dem Wissen über die Planung des Staatsstreichs von Trump und seinen Schergen sind die Fiktionen der US-Politkatastrophenfilme und -serien in der Realität angekommen: So wie Trumps Regentschaft die TV-Serie HOUSE OF CARDS plötzlich zu einer lahmen Ente gemacht hat, so haben die Ränke der Republikaner, der Sturm aufs Kapitol und die „Big Lie“ die Serie DESIGNATED SURVIVOR überflüssig gemacht.

OCCUPIED aus dem Jahr 2015 hat das nicht voraus gesehen, stand aber unter dem Einfluss des irrwitzigen Massenmords des rechtsradikalen Terroristen Anders Breivik, dessen Anschlag und Morde 2011 einen der wohlhabendsten, aber auch sozialsten und gemeinschaftlichsten Staaten der Welt in Schrecken versetzte. Norwegen ist auch mit seiner besonderen Stellung in Europa ein interessantes Feld in Bezug auf den Ukrainekrieg (obwohl die Situation der beiden Länder überhaupt nicht vergleichbar ist). Kein EU-Mitglied, aber Mitglied der NATO. Doch trotz NATO-Mitgliedschaft lässt Norwegen keine Stützpunkte anderer Nationen auf dem eigenen Gebiet zu, worauf immer wieder die Frage gestellt wird, ob Norwegen zu schwach sei. So meint Jesper Berg einmal: „Die Russen haben meinen sozialdemokratischen Hintergrund als Feigheit angesehen.“

Ob er wirklich recht hat damit, sei dahingestellt. Die Serie würde diese Aussage nicht einfach mit Ja beantworten (wie das eine US-Serie tun würde), und das ist gut so.

Okkupert, 2. Staffel
Norwegen / Schweden / Frankreich 2015 – 2019
Regie: Erik Skjoldbjærg, Erik Richter Strand, Pal Sletaune, Eva Sorhaug, John Andreas Andersen
Musik: Nicholas Sillitoe
Darsteller: Henrik Mestad, Eldar Skar, Janne Heltberg, Selome Emnetu, Ingeborga Dapkünaité, Ane Dahl Torp, Vegar Hoel u.a.
Laufzeit: 10x 46min.

Die Serie ist noch bis am 9.Dezember 2022 auf der arte Mediathek zu sehen.