Mika Flanagan ließ vor drei Jahren mit der No-Budget-Mystery ABSENTIA aufhorchen, dessen rohen Look er nun gegen ein geschliffenes Design eintauscht. Er baut seinen eigenen Kurzfilm auf Spielfilmlänge aus und verlegt sich dabei von mehreren geplanten Episoden auf nur eine. Diese nimmt Anleihen bei INTO THE MIRROR und dessen US-Remake MIRROR in einem psychologischen Kammerspiel mit unheimlicher Atmosphäre.
Anders als Alexandre Ajas Spiegel-Splatter verzichtet Flanagan auf Blutrünstigkeit und setzt ganz auf einen gemächlichen, sorgfältigen Aufbau und ein Setting der Bedrohlichkeit. THE WALKING DEAD-Kameramann Michael Fimognari liefert dunkelsamtige Nachtfarben, aber das Vexierspiel um einen unzerstörbaren Fluchspiegel aus dem 18. Jahrhundert mit leichenreicher Vergangenheit löst das Versprechen seiner Prämisse nie richtig ein.
Vor elf Jahren ermordete Tims Vater seine Frau, wofür der Junge ihn in Notwehr erschoss. Nun wird der 21-jährige aus der Psychiatrie entlassen, wo ihn seine 2 Jahre ältere Schwester Kaylie erwartet. Sie hält einen alten Spiegel für die Ursache der Verbrechen und will Tim im leerstehenden Elternhaus ihre Theorie beweisen, indem sie vor laufenden Kameras und mit reichlich Sicherheitsvorkehrungen den Spiegel zerstört.
Trotz aufgedrehter Bassfrequenzen und tief dröhnenden Resonanzen wird OCULUS nie so intensiv und furchterregend, wie der Trailer suggeriert. Extremschrecken, wie in THE CONJURING, INSIDIOUS oder SINISTER zu erleben, bleiben aus, weshalb das erstaunlich vorhersehbare und formelhafte Werk deutlich weniger im Gedächtnis bleibt, weil es weder sonderlich spannend noch nennenswert Angst einflößend ausfällt.
Obwohl Flanagan in der Mitte beginnt und dann mit einer Rückblendenstruktur aus permanenten Perspektiv- und Zeitwechseln gekonnt oszilliert, fesseln in dem Geflecht weder Charaktere, noch die sorgfältig errichtete Story, die kunstvoll die Wahrheit der Familientragödie entblättert und viel Zeit darauf verwendet, das Übernatürliche zu beweisen, sowie Kinder in Gefahr zu inszenieren (mit unnötigen Flasche-Alarm-Schocks).
Die Grundidee, dass der Spiegel mit Illusionen und Täuschungen die Figuren derart verwirrt, bis sie nicht mehr wissen, was real ist und sich gegenseitig umbringen – BATTLESTAR GALACTICA-Starbuck Katee Sackhoff und Rory Cochrane (ARGO) als Eltern gehen sich unter dem bösartigen Einfluss des Spiegels in SHINING-Art an die Gurgel und werden Dämonen mit reflektierenden Augen -, klingt innovativer, als sie umgesetzt wird.
Das gilt auch für das unbefriedigende Ende und die viel zu rasch durchlaufene Historie. Nicht nur die Geschichte hätte wirklich elaborierter ausfallen dürfen, auch fehlen Figuren, mit denen man fühlen und leiden kann. Und fiese Details wie der Biss in eine Glühbirne sind viel zu rar gesät. Somit bleibt ein technisch und handwerklich überdurchschnittlicher Spuk-und-Wahn(sinn)-Horror, der viel besser hätte sein können.
Erschienen auf Komm & Sieh
Oculus
USA 2013
Regie: Mike Flanagan
Buch: Mike Flanagan, Jeff Howard
Mit: Karen Gillan, Brenton Thwaites, Katee Sackhoff, u.a.
Laufzeit: 104 Minuten, noch ohne deutschen Verleih.