Henrietta – Portrait of a Serial Killer.

Takashi Ishii hat sich für seine neueste Sex+Gewaltorgie niemand Geringeren als den Idol-Shootingstar Mitsu Dan gekrallt. Die spielt in SWEET WHIP eine Ärztin, die als 17-Jährige von einem Psychopathen entführt und wochenlang als Sexsklavin gefoltert wurde, bevor sie sich befreien konnte und ihn abstach. Das traumatische Erlebnis treibt sie im Erwachsenenalter zur exzessiven Suche nach ähnlichen Grenzerfahrungen.

Die Geschichte von SWEET WHIP ist nicht neu, der Fokus von Takashi Ishiis Umsetzung allerdings schon. Drei Offensichtlichkeiten fallen nach Betrachtung des Director’s Cut seiner siebzehnten Regiearbeit (und seinem ca. 40. Drehbuch) sofort ins Auge.

Zum einen scheint es eine neue Tendenz im japanischen Mainstream-Sex-Kino zu geben, sobald Japans aktuelle Oberexhibitionistin Mitsu Dan die Hauptrolle spielt. Es werden eine relativ “zahme” Version und ein expliziterer DC veröffentlicht, wobei die DC’s ausschließlich verlängerte Sexszenen mit dem Super-Starlet enthalten.

Hauptdarstellerin Mitsu Dan spielt Masturbationsszenen mit einer derartigen Hingabe, dass sowohl Regisseur Toru Kamei mit BE MY SLAVE (2012) als auch Routinier Takashi Ishii mit SWEET WHIP davon so angetan sind, dass sie diese Szenen nahezu nicht unterschnitten und inklusive zensierter Genitalaufnahmen in ihren DC’s übernehmen. Ishii lässt es sich zusätzlich als Dirty Old Man, als der er ja schon immer galt und jetzt auch wirklich ist, nicht nehmen, solche Szenen mit denen der Vergewaltigung zu unterschneiden.

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Als Drittes leider der traurigste Punkt: Takashi Ishii war mal das filmische Sex-und-Gewalt-Pendant zur Musik von Bad Religion: Die haben auch nur einen Song gemacht, aber der ist gut. Allerdings muss Ishii im Zuge immer erbärmlicherer Budgets mehr und mehr auf aufwendige Außenaufnahmen verzichten und auf Innenszenen ausweichen. Die werden dann bei ihm mit der Essenz seines Marktwertes gefüllt: dem Ausschlachten von voyeuristischen Sexszenen, was sich schon in seinem NIGHT IN NUDE 2 (2010) andeutete. Dort ist die Zwei-Stunden-Version mit ihren Längen grenzwertig, der um 30 Minuten längere DC einfach nur noch lang und wenig weilig.

Mit seinem nur kurz vor SWEET WHIP entstandenen HELLO MY DOLLY GIRLFRIEND dürfte er den Tiefpunkt seiner Karriere erreicht haben: Ein überflüssiges, langweiliges Filmchen (Eine zum Leben erwachte Schaufensterpuppe poppt fleißig rum) nach einer Bierfilzvorlage, auf Ishiis übliche zwei Stunden gestreckt.

Strecken ist dann auch die beste Umschreibung für SWEET WHIP. Grenzüberschreitungen gepaart mit ästhetisch anspruchsvollen Bildkompositionen sind “Business as usual” in Ishiis Werk, tatsächlich setzt er aber in SWEET WHIP noch einen drauf. SWEET WHIP ist der HENRY des neuen Jahrtausends, die generelle Grundstimmung ist einfach zu politisch unkorrekt, zu 70er-Sleaze-nostalgisch, um heute noch eine Nische zu finden.

Niemals würde dieser Film in Deutschland veröffentlicht werden, nicht einmal geschnitten, denn kein Mensch würde den 45-minütigen Torso eines zweieinhalbstündigen Schinkens verleihen. Die Sexszenen (wenn davon überhaupt noch gesprochen werden kann), inklusive ausgiebigster Auspeitschungen, an deren Ende das Blut manchmal nur so trieft, nehmen unfassbare zwei Drittel des Films ein. Die voyeuristische Kombination von Sex und Gewalt wird somit sogar für Ishii-Verhältnisse dermaßen ausgeschlachtet, dass sein berüchtigter FLOWER AND SNAKE dagegen wie ein David-Hamilton-Filmchen wirkt.

Als Beispiele seien genannt: Mitsu Dan strippt fast in Zeitlupe neben dem Krankenhausbett einer Sterbenden. Eine zehnminütige Masturbationsszene wird unterschnitten mit der früheren Vergewaltigung der Masturbierenden. Eine brutale SM-Session mit anschließender Rückblende zur Vergewaltigung dauert über eine halbe Stunde und nach dem Showdown sieht Mitsu Dan aus wie Bruce Campbell am Ende von EVIL DEAD, nur in Reizwäsche.

Mit Sicherheit wird dieser Film in bestimmten Kreisen heiß begehrt sein, mit Sicherheit wird Mitsu Dan weiter für solche Rollen gecastet werden (ein aktueller Kaiju-Film macht ganz stolz Werbung mit dem Schlafzimmerblick des Superidols in Uniform) und mit Sicherheit kommt von Takashi Ishii nichts wirklich Neues mehr. Er erinnert mich etwas an Russ Meyer, der zugab, dass seine Sucht nach immer größeren Busen im Alter eher zunimmt als abnimmt. Allerdings mit einem kleinen Unterschied: Russ Meyer machte diese Filme ohne Finanzprobleme im Nacken, Takashi Ishii bedient nur seinen Ruf: Die Nachfrage bestimmt das Angebot.

Und auch wenn das nach dieser Ansammlung von Bedauerlichkeiten nicht den Anschein erweckt: Ich mag den Film mit Abstrichen, denn 67-Jährige, die immer noch auf politische Korrektheit kacken, muss man lieb haben.

Erschienen auf Der breite Grat

Amai Muchi (Sweet Whip)
Japan 2013
Regie, Buch: Takashi Ishii, Vorlage: Kei Oishi
Mit: Mitsu Dan, Yuki Mamiya, Naoto Takenaka, u.a.
Laufzeit (DC): 144 Minuten, noch ohne deutschen Verleih

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