„Filme sind so ähnlich wie Feuerwerke. Alles, was sie machen müssen, ist für die Leute im Gedächtnis zu bleiben, die sie gesehen haben. Meine Filme sind keine Meisterwerke, zumindest dachte ich das nie. Dass sie zehn, zwanzig Jahre später noch angesehen werden, hätte ich mir nie gedacht.“ (Norifumi Suzuki, 26.11.1933 – 15.5.2014)
War er so unwichtig? Norifumi Suzuki a.k.a. Suzuki Noribumi ist jetzt eine knappe Woche tot und ich habe keinen wirklichen Nachruf entdecken können, nicht einmal auf japanischen Internetseiten. Die üblichen zehn Zeilen und drei Fotos aus Pressearchiven, das war’s anscheinend.
Er war eben nicht so politisch wie Nagisa Oshima oder Koji Wakamatsu. Und international stand er immer im Schatten von Teruo Ishii, seinem Zeitgenossen des sog. Pinky Violence.
Dass sein letzter Kinofilm BE-IN BULLY HIGHSCHOOL (1990), der übrigens von Herrn Wakamatsu produziert wurde, fast 25 Jahre her ist, ließ seine exakt 25-jährige Karriere (1965-1990) als Regisseur wohl in Vergessenheit geraten. Und dabei hat er mehr geleistet als 55 Kinofilme und an die 100 Drehbücher, und definitiv mehr als TRUCK RASCALS, jene Familienserie, die ihn sogar noch in die Zehnzeiler zu seinem Tod verfolgt.
Hier also ein paar Buchstaben mehr, die ich mal eben aus meinem eigenen Artikeln aus den Splatting Image Nr.78/79 übernehme, in gekürzter und aktualisierter Form. Denn ich finde, dass er ein bisschen mehr als zehn Zeilen verdient hat. Alle Zitate stammen von Norifumi Suzuki selbst, d.h. aus Interviews mit Kiichiro Yanashita von November 2007 in Tokio.
„Ich musste nicht wirklich hart arbeiten. Ich war einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“
Norifumi Suzuki wurde am 26.11.1933 in der Präfektur Shizuoka geboren. 1956 begann seine Karriere bei den Toei Studios, Kyoto. Von 1959 bis 1964 war er Regieassistent u.a. bei Tai Kato, Tomu Ochida und Kosaku Yamashita. Ab 1963 schrieb er zusätzlich Drehbücher für zweitklassige Samurai- und Yakuza-Vehikel (“Ich war nicht wirklich besser als die anderen, einfach nur schneller. Viele Drehbuchschreiber gingen nach Tokio. Wenn die Regisseure etwas zu ändern oder zu besprechen hatten, wollten sie, dass die Autoren mal eben vorbei kamen, ich glaube, dass ich, genau wie Sadao Nakajima, bequemer war für Toei als die anderen.”)
1965 durfte er dann endlich seinen ersten Autorenfilm TRUE OSAKA GRIT (OSAKA DOKONJO MONOGATARI DOERAI YATSU) inszenieren: Eigentlich wollte sich Suzuki schon in seinem ersten Film mit seinen Lieblingsthemen Sex und Macht beschäftigen, doch da ihm die Hauptdarstellerin absprang und zudem Toei-Chef Shigeru Okada das Toei-Universum mit der Produktion von Komödien erweitern wollte, wurde Suzukis Debüt leider nur ein typischer Erstlingsfilm ohne besondere Note.
TRUE OSAKA GRIT macht seinem altbackenen Titel auch inhaltlich alle Ehre: Der tolle Typ Yuzo verliebt sich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise in Mitsu, die Tochter seines Chefs, einem Bestattungsunternehmer. Weil die Särge von Toten auf dem Beerdigungszug auf Karren zur Einäscherung begleitet werden, hat Yuzo nun die Bombenidee, die Zeremonie mit Autos zu erleichtern. Er wird deshalb jedoch wegen Traditionsbeleidigung vom Chef gefeuert, was für diesen die Abkehr seiner Tochter (Junko Fuji) zur Folge hat. Das frisch vermählte Pärchen zeigt nun allen den wahren Geist von Osaka und kann sich nach anfänglichen Schwierigkeiten mit Yuzos Idee auf dem Markt (und auch bei Papa) durchsetzen.
Ein großer Erfolg war dem Film zwar nicht beschieden, aber immerhin konnte Suzuki eine der ersten Toei-Komödien auf seinem Regiekonto verbuchen.
In den folgenden zwei Jahren schrieb er weiterhin Drehbücher und verbesserte sein Regie-Handwerk mit studiokonformen Fingerübungen im Yakuza- und Comedy-Sektor, von denen allerdings SECRET OF THE FYLFOT (SHINOBI NO MANJI) eine besondere Erwähnung verdient: Die Vorlage, eine erotische Ninja-Kurzgeschichte von Futaro Yamada, war sein Wendepunkt vom reinen Handwerker zum eigenständigen Künstler. Die vorgegebene Mischung aus Schund und Anspruch sowie aus Sex und Action war ideal für den Eklektiker Suzuki, der alles von der japanischen Gala bis Dostojewskij in sich aufsaugte.
Ebenfalls 1968 bekam er die Entwicklung der achtteiligen Jidaigeki-Reihe RED PEONY GAMBLER (HIBOTAN BAKUTO) übertragen, für die er die ersten sieben Drehbücher schrieb und den zweiten Teil auch selbst inszenierte. Die Reihe (1968-71) wurde ein Riesenerfolg, was nicht zuletzt an ihrer Heldin lag, Norifumis Nichte Junko Fuji als „Oryu, die rote Pfingstrose.“ Mit ihren 22 Jahren hatte Fuji u.a. schon in Suzukis Debüt sowie über 50 anderen Filmen (und das nach ihrem 18. Geburtstag) meistens als Objekt der Begierde geglänzt.
Die Serie spielt um die Jahrhundertwende und handelt von Oryu, der roten Pfingstrose, so benannt nach einem Tattoo auf ihrer Schulter, das die Zerstörung der Reinheit einer weißen Pfingstrose durch eine Bluttat symbolisieren soll. Die überaus angesehene Einzelgängerin und Spielerin bewegt sich in Yakuzakreisen und wird dabei mit so ziemlich allem konfrontiert, was das Herz eines Jidaigeki-Fans höher schlagen lässt: Ehre, Verrat, Loyalität, Liebe, Betrug, Rache sowie Spielerduelle, Schwertkämpfe, Schändungen und Schießereien. All das wird zusätzlich gespickt mit zahlreichen Nebenhandlungen, wobei das Grundprinzip in jeder Folge gleich bleibt: Die reine Oryu rächt die Opfer unehrenhafter Yakuza. Technisch einwandfrei fotografiert und choreografiert, war RED PEONY GAMBLER nicht nur der Höhepunkt diverser Jidaigeki-Serien, sondern wohl die Hauptinspiration für das international bekanntere Destillat LADY SNOWBLOOD (SHURAYUKI HIME).
RED PEONY GAMBLER beinhaltete schon die meisten Zutaten eines typischen Norifumi-Films:
1. Eine starke und charismatische Heldin, die die Männer in ihre Schranken weist, und wenn ihre Anmut und ihr vorzügliches Benehmen nicht reichen, so werden sie notfalls im physischen Zweikampf bezwungen.
2. Der obligatorische männliche Nebendarsteller, der der Heldin mehr mit Tat als mit Rat zur Seite steht, bei RED PEONY GAMBLER noch ehrenhaft, im weiteren Oeuvre immer mehr als Karikatur eines Machos.
3. Grundsätzliche Zweifel an der Aufrichtigkeit sogenannter Autoritäten, im späteren Werk werden diese nicht nur missachtet, sondern auch noch geächtet und bekämpft.
4. Der Wermutstropfen, der mehr oder weniger ausgeprägt durch sein komplettes Filmschaffen durchkleckert: Das Rumklamauke eines Nebencharakters/ einer Nebenhandlung auf Klamottenkisten-Niveau.
Womit wir auch schon bei Suzukis weiteren Auftragsarbeiten wären, denn ausgerechnet der nervige Nebencharakter mit dem Hitlerbärtchen aus RED PEONY GAMBLER bekam 1970 mit SILK HAT BOSS (SHIRUKU HATTO) zwei eigene Spin-Offs, die allerdings ganz solide Jidaigeki lieferten. Außerdem inszenierte Suzuki 1969-71 die ersten vier Teile der fünfteiligen Gendaigeki-Reihe KANTO STREET PEDDLERS CLAN (KANTO TEKIYA IKKI). Die Kanto-Geschichten waren nicht sonderlich neu im Ninkyo-Eiga-Genre, lediglich die obligatorischen Schlussmassaker an den bösen Yakuza fielen aufgrund ihrer ausschweifenden Brutalität arg aus dem üblichen Rahmen.
Suzuki, der (allein schon wegen der Formbarkeit und Dankbarkeit junger Talente) immer ein Freund von Neuentdeckungen war, besetzte die Hauptrolle dieser Ninkyo Eiga-Serie mit einem Nebendarsteller, der nach Toho und Shochiku gerade bei Toei angekommen war, einem gewissen Bunta Sugawara.
„Ich habe viele männliche, aber keine weibliche Rebellen in amerikanischen Filmen gesehen. Solche Filme hatten ihren Ursprung vermutlich in Japan.“
Mitte 1971 begann die kreativste Phase Suzukis. In nur 20 Monaten drehte er zwölf Filme, wovon die meisten als Exploitation-Meisterwerke gelten.
Doch dafür musste mit HOT SPRINGS MIMIZU GEISHA (ONSEN MIMIZU GEISHA) erst mal die Basis geschaffen werden.
Teruo Ishii hatte 1968 einen Riesenerfolg mit HOT SPRINGS GEISHA (ONSEN ANMA GEISHA), einem banalen Pinkfilmchen (ohne Gewalt wohlgemerkt!) über die erotischen Abenteuer von Geishas in Badehäusern. Weil Ishii im Zuge des internationalen Erfolgs seiner Tokugawa-Reihe, der sogar vor Deutschland nicht haltmachte, jedoch immer neue Variationen seines Lieblingsthemas kreieren musste/wollte, übernahmen Misao Arai und Sadao Nakajima die Regie des zweiten und dritten Teils.
Für den vierten Onsen Geisha-Film war Suzuki an der Reihe. Das Drehbuch schrieb er mit Masahiro Kakefuda, einem langjährigen Freund und Kollegen, der mit der schwierigen „Zusammen“-Arbeit mit Teruo Ishii höchst unzufrieden war und ab jetzt Suzukis Stammautor werden sollte. Außerdem schleppte Norifumi noch zwei Gören an, die da hießen: Reiko Ike und Miki Sugimoto. Erstere wollte er zu der Sophia Loren Japans aufbauen.
Berüchtigt wurde HOT SPRINGS MIMIZU GEISHA, in dem diesmal Reiko mit ihrer Erdwurm-Muschi allen Männern den Kopf verdreht, später vor allem, als sie ausplauderte, dass sie während des Drehs noch 16 Jahre alt war („Nicht, dass ich zu dem Zeitpunkt die leiseste Ahnung davon hatte. Später fand ich’s heraus und war verblüfft. Ich sagte ihr: Erzähl das auf keinem Fall jemandem. Sag einfach, dass du 18 bist.“).
Ebenfalls 1971 lief bei Toei eine sehr erfolgreiche Serie über kriminelle Frauengangs namens DELINQUENT GIRL BOSS (ZUBEKO BANCHO) nach dem vierten Teil aus. Suzuki hielt die Nase in den Wind und antwortete mit GIRL BOSS BLUES – QUEEN BEE’S COUNTERATTACK (SUKEBAN BURUSU: MESUBACHI NO GYAKUSHU). Die Idee mit der Bienenkönigin (“Mesubachi”) war eigentlich nur saudummes Produzenten-Konkurrenzdenken bei Toei, denn bei Nikkatsu wurde kurz zuvor eine fünfteilige Jugendgang-Serie über „streunende Katzen“ (STRAY CAT ROCK / NORA-NEKO ROKKU) gedreht („Den Ausdruck sukeban schnappte mein Regie-Assistent auf der Straße auf. Er sagte, das sei zur Zeit ziemlich in Mode. Also fragte ich das Studio, ob ich ihn als Titel benutzen könnte, doch die beharrten auf mesubachi.“). Bis 1974 wurden insgesamt sieben Teile produziert, wovon Norifumi die ersten vier schrieb und inszenierte.
Reiko bekam die Hauptrolle – sowie Miki eine größere Nebenrolle – und musste sich als Sukeban u.a. gegen eine zurückkehrende Rivalin via Catfight behaupten (ein Markenzeichen aller Sukeban-Filme). Sie verliebt sich in den Anführer einer Motorradgang, der, weil Sohn eines reichen Schnösels, von den Yakuza entführt wird. Nach Zahlung des Lösegelds wird er zwar wieder freigelassen, doch die Sukeban wollen sich die Kohle zurück holen…
Die Reihe begann relativ harmlos, beinhaltete noch wenig Gewalt, dafür aber schon ein ordentliches Quantum an Sexszenen. Berühmt wurde vor allem die Sex-auf-dem Motorrad-Szene, ein Wettrennen, bei dem gleichzeitig mit dem Bike gefahren und die Braut gevögelt wird. Der Grundton ist dabei irgendwo zwischen Comedy und Drama angesiedelt, fungiert aber als Start und Appetizer auf das, was noch kommen sollte.
(„Als wir anfingen, diese Filme zu machen, wollten wir die Zeit, in der wir lebten, persiflieren. Sie waren als Drama angedacht, deshalb brauchten wir eine Art Rebellion und für diese Rebellion brauchten wir einen Grund: Es gab da Männer, die Frauen für ihren Lebensunterhalt missbrauchten. Und meistens waren das Yakuza. Also zeigten wir immer mehr Leute, die sich gegen die Yakuza auflehnten. Später wurden wir immer expliziter. Sieh dir doch mal die heutigen Männer an; eigentlich sind sie schon ziemlich nutzlos, oder?“).
Dass auf den ziemlich simpel kalkulierten Erfolg von QUEEN BEE’S COUNTERATTACK zwei Monate später das Sexfilmchen MODERN PORN TALE – INHERITED SEX MANIA (GENDAI PORUNO-DEN: SENTEN-SEI INPU) folgte, mag auf den ersten Blick etwas seltsam erscheinen, war aber im Zeitalter der Double-Features durchaus üblich: „Da der Hauptfilm ein Yakuza-Film mit anti-sozialen oder besser gesagt amoralischen Untertönen sein sollte, musste der zweite auch etwas davon haben, also ebenfalls Anti-Helden, sozusagen als Zugabe. Und das konnte nicht einfach NOCH ein Yakuza-Film sein. Das Publikum hätte das nicht gemocht, es musste also ein erotischer Film oder eine erotische Komödie sein. Oder wir hätten uns vielen unzufriedenen Toei-Fans stellen müssen, und die repräsentierten nun mal die öffentliche Meinung.“
INHERITED SEX MANIA erklärt sich schon durch den Titel: Yuki (Reiko Ike), die Tochter einer Prostituierten, versucht in diesem ungewohnt ernsten erotischen Rache-Drama verzweifelt, einen anderen Weg als den ihrer Mutter einzuschlagen, scheitert jedoch aufgrund der Regeln des Milieus.
Miki Sugimoto hatte hier anfangs einen kurzen Auftritt als eine an Reiko rumleckende Freundin, verschwand aber schon von der Bildfläche während die Credits liefen.
Wegen einer weiteren Lesben-Szene mit Sandra Julien, die Suzuki aus Frankeich einfliegen ließ, gab’s dann richtig Ärger mit EIRIN: Nach drastischen Schnitten wurde der Film eine Woche vor Weihnachten 1971 gestartet. Das Wort poruno (= in diesem Zusammenhang: Soft-Sex-Film) wurde angeblich erst Ende der 60er von Suzuki in den japanischen Sprachgebrauch eingeführt.
„Das öffentliche Interesse sucht nach revolutionären Geschichten, weil es Katharsis sucht, eine Flucht aus der Unterdrückung. Der Grund, warum ich mich so stark für Massen-Unterhaltung interessiere, ist zum einen, weil uns die reale Welt keinen Spaß macht und zum anderen, weil ich Autoritäten Steine in den Weg legen will.“
1972 war nicht nur das goldene Jahr des Pinky Violence (u.a. starteten die SASORI- und RICA-Serien), sondern auch das arbeitswütigste Jahr Suzukis: Insgesamt sechs Filme kurbelte er runter.
Der erste startete schon im Februar, GIRL BOSS BLUES – QUEEN BEE’S CHALLENGE (SUKEBAN BURUSU: MESUBACH NO CHOSEN): Hier ging es dann auch gleich gröber zur Sache. Die Studiobosse von Toei, die ständig zu Nikkatsu rüberschielten, hatten erkannt, das sie mit deren Sexfilmen nicht gleichziehen konnten und wollten. Also lautete bei Toei fortan die Devise: Sex-Quantum gleichbleibend, aber gepaart mit viel mehr Gewalt; das Foltern konnte beginnen.
Diesmal liegen zwei Frauengangs im Clinch, was ein skrupelloser Yakuza ausnutzt, um seinen Callgirl-Ring auszuweiten. Schon hier wurde alles geboten, was einen Vollblut-Sukeban-Film ausmacht: Diverse Sex-, Folter- und Kampfszenen sowie leichte Comedy-Elemente und die unausweichliche Love-Story, dazu eine Krimi-Nebenhandlung inklusive Verfolgungsjagd, alles gut zusammengemischt zum typischen Para-Comic des Genre-Hoppers Norifumi Suzuki.
Auch ein fünftes wichtiges Norifumi-Element trat immer mehr in den Vordergrund: Die mit fortschreitendem Erfolg immer respektlosere Verunglimpfung von Religionen (Von allen Autoritäten wohl sein größtes – und fast schon pathologisches – Hassobjekt). Schon in INHERITED SEX MANIA spielte sich die erste Lesben-Szene in einem Kloster ab, in diesem Fall war das Comedy-Element ein notgeiler Mönch mit einer Vorliebe für Inzest-Sex.
Noch während der Dreharbeiten verkündete Reiko Ike, dass sie keine Nacktszenen mehr für Toei drehen würde und unterschrieb einen Vertrag mit einer Plattenfirma, um Sängerin zu werden. Das war zu viel für Toei: Ike flog raus („Sugimoto hatte so gesehen wirklich Glück, denn als Ike Toei verließ, wurde sie zum Star. Sandra Julien kam aus Frankreich rüber, also gaben wir Sugimoto die Hauptrolle. Wir wussten, dass sie ihren Job gut machen würde.“).
Miki spielte ihre erste Hauptrolle schon im März in TOKUGAWA SEX BAN – LUSTFUL LORD (TOKUGAWA SEKKUSU KINSHI-REI: SHIKIJO DAIMYO), einer Mischung aus Kostümfilm und Sexkomödie mit einigen SM-Einlagen, die EIRIN abermals zensierte. Insgesamt acht Szenen (wieder einmal mit Sandra Julien) mussten umgeschnitten werden, bevor der Film freigegeben wurde.
Weil ein Shogun mit Sex nichts anfangen kann, verhängt der gleich im ganzen Land die Todesstrafe für Geschlechtsverkehr, d.h. wer fickt, muss sich den Wanst aufschlitzen. Erst als seine angetraute Miki von der französischen Sex-Sklavin Sandra in die Freuden der Fleischeslust eingeführt wird, wird das Verbot aufgehoben und alle, inklusive Shogun, kopulieren, bis die Schwarte kracht.
Trotz einiger durchaus gelungener Einfälle, wie z.B. die vielleicht vorsätzlich lächerlichste Harakiri-Szene der Filmgeschichte, der Pimmelstempel, den alle Bauern verpasst bekommen (ungefähr mit der Aufschrifft „Don’t touch this Wurst!“) und einer Vergewaltigung Sandras, während der Heiligenbilder auf sie projiziert werden, blieb das Filmchen nur ein Versuch, von Ishiis Tokugawa-Reihe zu profitieren, denn die eingefügten Folterszenen wirken im Gesamtzusammenhang hier eher deplatziert. Dennoch war TOKUGAWA SEX BAN Suzukis bisher erfolgreichster Film, der es u.a. sogar nach Italien und Spanien schaffte.
Direkt im Anschluss durfte sich Miki Sugimoto als die Geisha mit der „Schappschildkröten-Muschi“ in HOT SPRINGS SUPPON GEISHA (ONSEN SUPPON GEISHA) beweisen, dem vorletzten Film der Onsen Geisha-Reihe (der letzte wurde schließlich von Ryuichi Takamori realisiert): Neben den üblichen Sex-Szenen, in denen Miki mit der Supermuschi allen Männern den Garaus macht, gibts beispielsweise eine Nebenhandlung, in der ein Hippie-Chemiker mittels Vaginalsekreten eine Formel erfindet, mit der aus schüchternen Japanerinnen Black-Power-Schlampen inkl. Afro werden. Und zum Schluss bumst Miki noch den Sex-Guru ins Koma.
Es durften also wieder jene herzlich Lachen, die asiatischem Kasperle-Slapstick etwas abgewinnen konnten.
Mittlerweile plagte Reiko Ike das schlechte Gewissen und die Verkaufszahlen ihrer Platte, sodass sie reumütig bei Toei angekrochen kam und sich entschuldigte: „Als Ike sich entschloss, zurückzukommen, wäre es nicht fair gewesen Sugimoto für sie fallen zu lassen. Doch auch weil Ike zu einer „Bumerang“- Angestellten geworden war, bekam sie nur die Nebenrollen.“
Reiko kam gerade noch pünktlich zu Suzukis wildester Phase, die mit GIRL BOSS GUERILLA (SUKEBAN GERIRA) ihren Anfang nahm, und hier galt schon: HÖHER WILDER WEITER! Willkommen in der Exploitation-Wundertüte des Norifumi Suzuki! Selbstbewusste Weiber, trottelige Machos, übergroße 70er Brillen, tätowierte Titten, kahlgeschorene Nonnen auf Motorrädern, Piss-Fontänen, Cat-Fights inkl. Wet-T-Shirt, Sex mal herb mal lustig, plänkelnde Hippies, Lagerfeuerromantik, Klaviere statt Gitarren, lüsterne katholische Priester und buddhistische Mönche, brutale Yakuzas, gepeinigte Miki in Ketten, pubertäre Gags, Kidnapping, Verfolgungsjagd, rumms, bums, stöhn, schepper!
Da die Rebellion auf den Straßen beim Publikum sehr gut ankam, war es ein naheliegender Einfall Suzukis, diese auch in staatliche Institutionen wie Schulen zu tragen: So folgte direkt nach GIRL BOSS GUERILLA der erste Teil der vierteiligen TERRIFYING GIRLS’ HIGH SCHOOL (KYOFU JOSHIKOKO)-Reihe mit dem Untertitel WOMEN’S VIOLENT CLASSROOM, der einzige übrigens, bei dem Suzuki auch am Drehbuch beteiligt war. Und so bekamen die Japaner ihren Schulmädchen-Report, allerdings weitaus asozialer, wilder und antiautoritärer als seine deutschen Pendants.
Pünktlich zur Weihnachtszeit schenkte Suzuki dem Toei-Pöbel mit LUSTFUL SHOGUN AND HIS 21 CONCUBINES (ERO SHOGUN TO NIJUICHI-NIN NO AISHO) noch eine Kostüm-Sex-Komödie: Weil der angehende Shogun lieber Bücher liest, als Frauen zu begatten, wird ein Doppelgänger mit enormen sexuellen Gelüsten sein Stellvertreter und bumst neben seinem Harem auch sonst alles, was nicht bis Drei auf dem Baum ist. Im völligen Größenwahn befiehlt er schließlich allen Insassen seiner Kerker, seinen kompletten Harem zu vergewaltigen, bevor er nach 54 Kindern von 21 Konkubinen beim Kopulieren mit Ike einem Herzkaspar erliegt.
Die Sexszenen gingen in den zweistelligen Bereich, unter anderem wurden sogar Zwerge und Schoßhündchen als Sexspielzeuge missbraucht (und auch so genannt!). Ike und Sugimoto spielten nur Nebenrollen, wobei Ike als Robin-Hood-ähnliche Nezumikozo in einer der spärlichen Kampfszenen schon ihren Regenschirm mit integriertem Messer benutzen durfte (der ein halbes Jahr später von Ishii in FEMALE YAKUZA TALE – INQUISITION AND TORTURE, dem zweiten Teil von Suzukis SEX AND FURY, wieder aufgegriffen wurde).
Schon Mitte Januar erschien der vierte Sukeban-Film mit dem simplen Titel GIRL BOSS (SUKEBAN) und auch der Streifen selbst tut so, als hätte es die anderen drei Teile nicht gegeben. Das Over-the-Top-Niveau des Vorgängers wird trotz inszenatorischem Desinteresse gehalten, Miki Sugimoto und Reike Ike mimen auch hier wieder verfeindete Mädchengang-Anführerinnen, die sich gegen ultra-böse Yakuza zusammenschließen. Das Was wurde ja schon dreimal verarbeitet, es blieb jetzt nur noch die Frage des Wie. Suzuki jedenfalls hatte hiermit das Thema abgeschlossen.
Im Februar griff Suzuki das Grundthema seiner hauptsächlich von Tai Kato in Szene gesetzten RED PEONY GAMBLER-Saga wieder auf, mit dem Kostüm-Sex-Actioner SEX AND FURY (FURYO ANEGO DEN: INOSHIKA OCHO). Das Grundgerüst der Handlung ist schnell erzählt: Auf der Suche nach dem Mörder ihres Vaters gerät die Spielerin Ocho in ein Intrigenspiel von Politikern und Yakuza. Die Zeiten einer allzu edlen Junko Fuji waren vorbei, das Frühsiebziger-Publikum wollte Fleisch und Blut. Die alten Bumerang-Probleme schienen auch überwunden und Reike Ike durfte jetzt metzelnd und kopulierend zur etwas anderen Sophia Loren Japans werden. Nicht ohne Grund gilt SEX AND FURY vor allem bei Ike-Fans als ihr bester Film.
Ende März desselben Jahres wurde der zweite TERRIFYING GIRLS’ HIGH SCHOOL mit dem Untertitel LYNCH LAW CLASSROOM (BOKO RINCHI KYOSHITSU) veröffentlicht, der alle verstummen ließ, die da glaubten, Suzuki könnte an absurden Sex- und Gewaltspitzen nicht noch einen draufsetzen. Zwar stammte das Drehbuch diesmal nicht von ihm, doch das Sex-Gewalt-Tragödien-und-Komödien-Wechselspiel wird mühelos neunzig Minuten durchgehalten. Auch diesmal bekämpft eine Mädchen-Bande die Machenschaften an einer korrupten Schule. Und auch hier gab Suzuki danach sein Zepter an andere Regisseure für zwei Fortsetzungen ab.
Mittlerweile waren Suzukis Tage in Kyoto gezählt: Im Sommer schrieb und inszenierte er den sechsten Teil (von insgesamt acht) der Viper-Brüder-Serie EXTORTION PLOT FOR 3 MIO. YEN (MAMUSHI NO KYODAI: KYOKATSU SAN-OKU-EN) und schrieb noch ein Drehbuch für den Biker-Film WILD SEX GANG (BOSU SEKKUSU ZOKU), bevor er Ende des Jahres von Toei Kyoto zu Toei Tokio wechselte.
„Ein Produzent aus dem Ausland sah einen dieser Sexfilme mit Nonnen und er mochte so etwas ganz und gar nicht. Er fragte uns, ob wir es in Ordnung fänden, wie Nonnen und Krankenschwestern in solchen Filmen dargestellt würden, ob das nicht blasphemisch sei, ob Japan krank sei und ich antwortete nur: Japan ist völlig gesund, ich finde das in Ordnung…“
Die Glanzzeit des Pinky Violence währte nur zwei Jahre und 1974 wartete mit zwei Höhe-/Endpunkten dieser Welle auf. Gewiss, es gab noch einige Filme über Mädchengangs bis in die 80er, doch ab 1974/75 waren semi-realistische Yakuza-Biografien, die im Zuge des Riesenhypes um Kinji Fukasakus Serie BATTLES WITOUT HONOR AND HUMANITY (JINGI NAKI TATAKAI) gedreht wurden, sowie Karatefilme gefragt.
Ein Höhepunkt war ZERO WOMAN – RED HANDCUFFS (ZEROKA NO ONNA: AKAI WAPPA) , der dem Comic-Charakter der Pinky Violence-Filme noch das I-Tüpfelchen aufsetzte. Der andere war Norifumi Suzukis international bekanntestes Ero-Guro / Nunsploitation-Meisterstück SCHOOL OF THE HOLY BEAST (SEIJU GAKUEN), in dem ein als Nonne getarntes Lebemädchen in einem ganz und gar verdorbenen Kloster den Mord an ihrer Mutter aufklärt.
Japan? Christliche Nonnen? Das hat mit Suzukis künstlerischen Vorlieben zu tun: „Obwohl ich viele US-Filme gesehen habe, denn ich mag Hollywood-Filme, glaube ich, dass ich im Bezug auf die bloße Aussagekraft oder auf eine gemälde-ähnliche Bildgestaltung von der europäischen Kultur stark beeinflusst bin: Die Architektur, die Gemälde, die Kunst und die Musik. Die meisten Meisterwerke stammen aus Europa. So gesehen sieht man nur meinen persönlichen Geschmack.“
Und bezogen auf seine vom Christentum beeinflussten Bilder fügt er hinzu: „In Japan glauben wir, dass Gott ein Bewusstseinszustand ist. Und obwohl ich ein nicht-christlicher, östlicher Regisseur bin, habe ich trotzdem meine Vorstellung von Gott. Ich für meinen Teil bin sehr stark beeinflusst von der Musik und den Geschichten des Christentums. Ich glaube, es hat etwas mit heiligen Dingen zu tun. Die Idee, etwas Heiliges wie eine Nonne, eine Krankenschwester oder eine Lehrerin zu beschmutzen, ist sehr erotisch.“
Die Geschichte von SCHOOL OF THE HOLY BEAST entstammt dem von Suzuki geschriebenen und Sawada Ryuuji gezeichneten gleichnamigen Manga. Das heilige Tier (“Seiju”) taucht allerdings nur im Manga auf, eine Sodomie-Szene mit einem übergroßen Wolfshund war wohl fürs Kinopublikum doch zu derbe.
Abgesehen von seinem gloriosen Einstand hatte Suzuki allerdings mit seinem Wechsel nach Tokio nicht viel Glück. Eine Woche vor SCHOOL OF THE HOLY BEAST war THE STREET FIGHTER (GEKITOTSU! SATSUJIN KEN) mit Sonny Chiba mit einigem Erfolg gestartet und Suzuki, auf starke Frauen abonniert, sollte nun eine Serie um eine weibliche Karatekämpferin konzipieren. Daraufhin schrieb er die ersten beiden Drehbücher für die vierteilige Serie SISTER STREET FIGHTER (ONNA HISSATSU KEN). Ursprünglich war Bruce Lees Film-Schwester Angela Mao für die Hauptrolle vorgesehen, doch weil von den Studio-Bossen befürchtet wurde, dass die Serie dann wohl eher in Hongkong als in Japan erfolgreich werden könnte, schlug Sonny Chiba seine 18-jährige Karateschülerin Etsuko Shihomi für die Hauptrolle vor. Für die Regie ging Suzuki kurz vor Drehbeginn dann leer aus. Das Studio wollte einen in Tokio etablierten Regisseur und so wurde die komplette Serie von Kazuhiko Yamaguchi (DELINQUENT GIRL BOSS) inszeniert.
Erst ein halbes Jahr später bekam Suzuki seine Chance, dann allerdings doppelt:
Im Februar 1975 erschien der in nur zwei Wochen abgedrehte THE KILLING MACHINE (SHORINJI KENPO), ein patriotischer Karate-Action-Film in der Tradition der Jitsuroku-Dramen. Der Streifen widmete sich sehr frei der Biografie von Doshin So (1911-1980), dem Begründer des „Shorinji Kenpo“, einer japanischen Abwandlung des chinesischen „Shao Lin“-Kampfstils. Sonny Chiba spielt Doshin So und im Gegensatz zu späteren Action-Arbeiten Suzukis sind hier die Kampfszenen so gut choreographiert, dass dieser Film zu Chibas besseren Filmen gezählt wird. Im April startete THE GREAT CHASE (KAREI-NARU TSUISEKI) mit Etsuko Shihomi, Suzukis letzter Film mit einer starken Frau in der Hauptrolle. Nachdem sich Shihomi erfolgreich fast nonstop durch ihre SISTER STREET FIGHTER-Filme geprügelt hatte, gab ihr Suzuki hier die Möglichkeit, als Superagentin in verschiedenen Kostümen (und Masken) einen Drogenring zu unterwandern.
THE GREAT CHASE ist Suzukis kleines Pop-Juwel: Shihomi in teilweise quietschbunten Kostümen; eine Prügelei mit als Nonnen verkleideten Männern in den Kulissen von SCHOOL OF THE HOLY BEAST; Drogen im Leichen-Wanst; Sex im Bärenkostüm, von einem Hitlerporträt beobachtet; sowie die üblichen Karate-Szenen mit Shihomi, u.a. gegen eine Ringerin und eine peitschenschwingende Nonne. Und Eiji Go, der Ober-Bösewicht aus ZERO WOMAN – RED HANDCUFFS steht ihr dabei zur Seite: Endlich mal ein Suzuki (fast) für die ganze Familie.
„TRUCK RASCALS war nicht wirklich ernst, aber es waren nicht die Filme, die man normalerweise sieht. Sie zeigten eine korrupte Welt, und diese korrupte Welt, die ich für TRUCK RASCALS kreierte, war die Inspiration für EXZESSE IM FOLTERKELLER.“
Fragt man einen cineastisch unbedarften Japaner nach einem Regisseur names Norifumi Suzuki, kommt als erste Antwort: TRUCK RASCALS (TORAKKU YARO)! Die Rede ist dann von einer 10-teiligen Truckerserie, die die Initialzündung für Dekotora in Japan war. Dieser Ausdruck bezeichnet „Decoration Trucks“ oder „Art Trucks“ oder einfach gesagt: LKWs, die dekoriert waren wie fahrende Weihnachtsbäume. Ursprünglich war dieses „Tuning“ nur bei Fischlastern im nordöstlichen Teil Japans verbreitet, doch der extreme Erfolg von Suzukis Serie (Alle Teile, bis auf den letzten, landeten in den Box Office Top Ten Japans) forcierte eine nationale Dekotora-Welle.
Von 1975 bis 1979 erschien jeweils im August und zu Weihnachten ein Teil dieser Reihe, immer inszeniert von Suzuki.
TRUCK RASCALS ist eine typische Buddy-Serie um die beiden befreundeten Trucker Momojiro (Bunta Sugawara) und Jonathan (Kinya Aikawa). Das Grundmuster ist in fast jeder Folge dasselbe: Der Haudegen Momojiro treibt sich in einem Badehaus rum, verliebt sich (meistens in eine Kellnerin), kriegt jedoch nie die Angebetete. Und sein eher bodenständiger Kumpel Jonathan vergisst jedes Mal die Namen seiner Kinderschar. Dazu gibt es die immer wiederkehrende Kneipenprügelei mit verfeindeten Truckern sowie ein LKW-Rennen.
Die Serie hat alles, was das Familienherz begehrt: Drama, Komödie, Romantik und Action. In fast jeder Folge war dabei eine andere Region Japans die Kulisse des Haupthandlungsbogens. Für den europäischen Betrachter ist die Serie anfangs gewöhnungsbedürftig, doch schon nach kurzer Zeit kann man ihrem Charme verfallen, wenn man bereit ist, sich auf den typisch japanischen Humor einzulassen.
Diese fünf „Trucker“-Jahre waren dann auch die geregeltsten in Suzukis Filmografie. Zusätzlich zu den beiden TRUCK RASCALS-Teilen inszenierte er jährlich noch einen weiteren Film. 1976 war dies die von ihm selbst geschriebene romantische Tragikomodie FESTIVAL CHAMP (OMATSURI YARO: UOGASHI NO KYODAI-BUN), in der ein ansonsten oberflächlicher Kerl einer todkranken Stripperin ihre letzten Wochen versüßt. 1977 folgte die ultra-alberne Baseball-Komödie DOKABEN und 1978 das Remake einer elfteiligen Serie aus den 40ern und 50ern um den Privatdetektiv und Verwandlungskünstler TARAO BANNAI, die mit ihren wirren Einfällen und einigen Italo-Hommagen ein wenig an THE GREAT CHASE erinnert (Kazuhiko Yamaguchi drehte im selben Jahr noch eine Fortsetzung). Da DOKABEN auf einem äußerst beliebten Manga und einer in Japan noch beliebteren Sportart beruhte und Remakes in Japan nicht so verpönt sind wie in anderen Ländern, war Suzuki, was das Box Office anbelangte, mit beiden Filmen auf der sicheren Seite.
Erst wieder im Jahr 1979 klopfte sein Rebellions-Trieb in Form des Nikkatsu-Produzenten Naoya Narita an die Tür zu seinem Hinterstübchen. Bei einem zufälligen Treffen fragte Narita im Verlauf des folgenden Gesprächs, ob Suzuki nicht etwas für Nikkatsu drehen wollte. Beide hatten gerade den Adult-Manga EXZESSE IM FOLTERKELLER (DABIDE NO HOSHI: BISHOUJO-GARI) von Masaaki Soto gelesen und waren begeistert von Sotos Radikalität.
Tatsuya, das Produkt einer Vergewaltigung, stellt darin das Paradebeispiel für den in Japan weitverbreiteten Glauben an eine Erbschuld dar. Er entwickelt schon in seiner Pubertät ein Faible für die Gräueltaten der Nazi-Ideologie und entführt, quält und tötet als adretter, junger Mann daraufhin junge Frauen in seinem selbst gebauten Folterkeller. Als er schließlich seinen leiblichen Vater kennenlernt, beteiligt sich dieser an den Quälereien.
Suzuki war schon immer fasziniert von der Schizophrenie der Nazi-Ideologie, und für ihn brachte dieser Manga seine Lieblingsthematik Sex und Machtmissbrauch sowie den damit verbundenen Kreislauf von Gewalt auf den Punkt. Mit Toei war allerdings eine Verfilmung nicht machbar, und anfangs waren auch die Nikkatsu-Bosse skeptisch, allerdings aus anderen Gründen: „Sie hatten TRUCK RASCALS gesehen und mochten mich deshalb nicht besonders. Sie glaubten nicht, dass ich der Richtige für so was sei, aber ich sagte: Nein, ich bin genau der Richtige dafür.“
Suzuki wurde daraufhin aufgrund seines Bekanntheitsgrades ein größeres Budget als sonst üblich für EXZESSE IM FOLTERKELLER zur Verfügung gestellt und er bewältigte das gesamte Projekt (inklusive Post-Production) in 19 Tagen. Das Drehbuch schrieb Atsushi Yamatoya, der allerdings anfangs wegen der Nazi-Thematik Skrupel hatte. Er fürchtete sich davor, von seinen linksextremen Freunden geächtet zu werden.
Das Resultat war einer der nihilistischsten, aber auch bildgestalterisch ästhetischsten Roman Porno überhaupt. Und vielleicht gerade, weil die Nikkatsu-Bosse glaubten, dass ein „Familien-Regisseur“ dem Thema nicht gewachsen sei, überschritt Suzuki neben den roman-porno-üblichen Fesselquälereien noch andere Grenzen, z. B. wurde der Geburtstag des Protagonisten von Suzuki auf den Hochzeitstag der Kaiserfamilie gesetzt. Des Weiteren spielte die ehemalige Miss Japan Hiromi Namino die weibliche Hauptrolle und zierte halb nackt in Reituniform mit Peitsche die Plakatwerbung. Doch der Hauptgrund für die Beschlagnahmung in Deutschland dürfte die vielleicht transgressivste Szene eines kommerziellen Films überhaupt sein: Um die absolute Verkommenheit seines Protagonisten zu unterstreichen, inszenierte Suzuki eine Szene, in der dieser sich beim Betrachten von Holocaust-Bildern selbst befriedigt und sein Sperma auf ein Hinrichtungsfoto spritzt: „Normalerweise werden in einem Film die guten Absichten eines Menschen gezeigt, im Glauben, dass wir alle gut seien, doch EXZESSE IM FOLTERKELLER behandelt die Freude am Bösen. Der Film unterstellt, dass wir alle böse sind. Er zeigt uns etwas über uns selbst, das wir nicht wahrhaben wollen.“
„Du musst dich immer fragen: Was heißt es, ein Mensch zu sein? Oder: Was lässt uns weiterleben? Ist das Leben etwas, für das es sich zu leben lohnt? Und die Antwort ist immer JA, egal wie kaputt dieses Leben sein mag.“
Die 80er waren schrecklich für die japanische Filmindustrie. Die Zeit der großen Studios war vorbei. Das bekam auch Suzuki zu spüren, obwohl alles zunächst ganz gut begann: Mit SHOGUN’S NINJA (NINJA BUGEICHO MOMOCHI SANDAYU) drehte er wieder mit Sonny Chiba, der hier nicht nur Stunt-Regisseur war, sondern endlich mal einen Bösewicht verkörperte. Die Story vereint erneut alle Suzuki-Klischees: Zwei Ninja-Clans liegen seit Generationen im Clinch um zwei Dolche und Jungspund Takamaru (Sonny-Chiba-Schüler Hiroyuki Sanada) hat noch eine Rechnung mit dem Mörder (Chiba-San selbst) seines Vaters offen.
Genre-Mischer Suzuki war hier wieder völlig vom Wahnsinn umzingelt: Das Einzige, was die Ninjas nicht können, ist um die Ecke fliegen, ansonsten klettern sie zum Beispiel auch schon mal einen Baum verkehrt herum hinunter. Ganz ernst zu nehmen ist das alles nicht, genauso wenig wie die völlig übertriebene Gewaltdarstellung und die unumgängliche Love-Story. Pop-Idol Sanada durfte dauernd seinen gestählten Oberkörper, aber peinlich wenig seiner heutigen Schauspielkunst zur Schau stellen. Immerhin war er der erste japanische Schauspieler, der 1999/2000 mit der altehrwürdigen Royal Shakespeare Company spielen durfte und darüber hinaus noch den Titel MBE (Honorary Member of the British Empire) verliehen bekam.
SHOGUN’S NINJA war auch Suzukis letzter Cinemascope-Film, alle folgenden Filme wurden aufgrund des aufkommenden Video-Booms für die spätere Verwertung gleich in 1,85:1 gedreht.
Der 1981 entstandene DIAMANTENAUGE (HOERO! TEKKEN) war wieder mit Sanada, diesmal fast ohne Ninjas, aber als Ersatz wartete Suzuki mit Armeen von Widersachern auf. Sanada kehrt aus Texas (!) nach Japan zurück, um seinen toten Zwillingsbruder zu rächen. Leider war das Resultat nur ein schludriger Action-Film. In einer Swimmingpool-Szene sind sogar die Stunt-Stahlseile so deutlich zu sehen, dass man Suzuki in Anbetracht seines schmerzfreien Humors schon Absicht unterstellen könnte. Das Filmchen bleibt aber unter Schund-Aspekten trotz allem immer noch empfehlenswert.
Auch drehbuchtechnisch hat das Jahr 1981 zwei Abstrusitäten vorzuweisen. Ein Script schrieb Suzuki für OFFICE LADY ROPE SLAVE (DAN ONIROKU: OL NAWA DOREI), einer Bondage-Reihe um gefesselte Sekretärinnen nach einer Vorlage des bekanntesten SM-Autoren Japans, Dan Oniroku. Das andere Drehbuch war für den Sex-Thriler FALLEN ANGEL GANG (AKUJO GUNDAN), der immerhin vom Pink-Routinier Masaru Konuma ganz ordentlich in Szene gesetzt wurde. Auch hinsichtlich Konumas Oeuvre stellt dieser Film eine Ausnahme dar, da er der einzige Regisseur der Roman-Porno-Ära war, der von 1971 bis 1988 eigentlich fast ausschließlich SM-orientierte Pink-Filme drehte.
1982 war der Video-Boom in seiner Blüte und das japanische Kino am Boden. Suzuki bestritt seinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben und Verfilmen von schlechten, mit Popstars „aufgepeppten“ Teenie-Komödien. Auch wenn er qualitativ aus geringsten Budgets noch etwas Akzeptables herausholen konnte, waren die meisten seiner damaligen „Autorenfilme“ für ihn reine Auftragsarbeiten für kleinere Produktionsfirmen. Die Pendants hierzu sind deutsche Gegenstücke wie GIB GAS – ICH WILL SPASS oder PLEM! PLEM! DIE SCHULE BRENNT! Exemplarisch sei hier nur Suzukis künstlerischer Tiefpunkt 1984 mit HOLE IN MY PANTS (PANTSU NO ANA) genannt, einem japanischen EIS AM STIEL-Verschnitt, dem noch einige Fernsehteile anderer Regisseure (z.B. 1990 Koji Wakamatsu) folgten.
1986 arbeitete Suzuki mit DOLLS OF THE SHOGUN’S HAREM (OOKU JYUHAKKEI) noch einmal für die Toei Studios Kyoto. Ein Nostalgie-Projekt in jeder Hinsicht, sogar bei den Dreharbeiten herrschte eine Atmosphäre wie Anfang der 70er. Und wäre da nicht das Filmformat und die 80er Synthie-Rock-Musik, hätte der Film problemlos als Fortsetzung von LUSTFUL SHOGUN AND HIS 21 CONCUBINES durchgehen können.
Sein vorletzter Film lag dem zigfachen Drehbuchautoren Suzuki mit allen berufsbedingten Höhen und Tiefen sehr am Herzen: THE LITERARY PRIZE MUDERS (BUNGAKUSHO SATSUJIN JIKEN: OINARU JYOSO, 1989) nach der Vorlage des berühmten Schriftstellers Yasutaka Tsutsui thematisierte die Probleme eines angehenden Schriftstellers.
Sein unrühmlicher Abschied vom Kinofilm war 1990 BE-IN BULLY HIGHSCHOOL (jap. Originaltitel!) nach einer Mangavorlage von Mayumi Ishii, eine erbärmliche Reminiszenz an seine Mädchenschulen-Filme, u.a. mit der talentfreien 20-jährigen Wrestlerin Cutie Suzuki in der Hauptrolle und einer Inszenierung, die nichts mehr von Suzukis altem Glanz spüren ließ.
Vielleicht waren es die immer geringer werdenden Budgets oder einfach nur die Erkenntnis, dass 25 Jahre eine runde Zahl sind, auf jeden Fall arbeitete Suzuki danach nur noch als Drehbuchschreiber diverser Samurai-Serien fürs Fernsehen.
In seinen letzten zwei Lebens-Jahrzehnten war Norifumi Suzuki öffentlich nicht mehr sonderlich auffällig. 2010 erschienen seine Memoiren über seine TRUCK RASCALS-Jahre (“Torakku yaro fuun-roku”), denen noch ein Nachtrag im Januar 2014 folgte (“Shin Torakku yaro fuun-roku”). Dass zusätzlich im November 2013 auch noch seine Memoiren über seine wilden Sukeban-Jahre (“Toei gerira senki”) erschienen, ließ tief blicken.
Es ist alles gesagt. Jetzt ist gut. Ich bin dann mal weg. 80 Jahre reichen.
Bums. Mai 2014. Tot. Wieder einer weniger.
Feuerwerke hat Norifumi Suzuki einige inszeniert, auch wenn die farbenfrohsten in den 70ern waren. Ich finde, zumindest eine Rakete hätte er jenseits von zehn Zeilen auf irgendeiner Internetseite zu seinem Tod verdient.
Neben Nagisa Oshima (†15.1.12013) und Koji Wakamatsu (†17.10.2012) war Norifumi Suzuki (†15.5.2014) für mich der wichtigste japanische Regisseur. Eine etwas seltsame Reihung, mag da mancher denken. Doch so abwegig ist sie nicht: Der Demosprecher Oshima, der Autonome Wakamatsu und der Punker Suzuki. Jeder hat das Bild des braven, emsigen Japaners ganz schön in Verruf gebracht. Danke dafür.
R.I.P.
Reda, 20. Mai 2014
Erschienen auf Der breite Grat