Als François Truffaut 1981 während eines Interviews gefragt wurde, wer der gegenwärtig von ihm favorisierte amerikanische Regisseur sei, hatte er keinen Namen parat. Aber er erwiderte, dass er vor kurzem THE STUNT MAN (1980) gesehen habe. Dass Richard Rushs DER LANGE TOD DES STUNTMAN CAMERON, so der deutsche Verleihtitel, einen solchen Eindruck bei Truffaut hinterlassen konnte, ist aufgrund der Komplexität des Films nicht verwunderlich. Fast ein Jahrzehnt hatte Rush an der Adaption der Romanvorlage von Paul Brodeur gearbeitet, um diese teils erbittert gefochten. Er übernahm dabei nicht nur die Regie, sondern erstellte gemeinsam mit Lawrence B. Marcus auch das Drehbuch. Dabei gelang es ihm kongenial, die labyrinthisch verschachtelten Einfälle der Vorlage zu übersetzen. Mit Preisen bedacht, unter anderem dem „Grand Prix des Amériques“ beim Montreal World Film Festival, fünf Golden Globes sowie Nominierungen in drei Oscar-Kategorien, läutete der Film dennoch das Karriereende des Regisseurs ein. Die Vorbereitungszeit für dessen nächstes Projekt COLOR OF NIGHT (1994) nahm wiederum über ein Jahrzehnt in Anspruch, mit dem künstlerischen wie auch kommerziellen Scheitern desselben verschwand der Querdenker und kreative Wilde Rush aus dem öffentlichen Bewusstsein.
Steve Railsback, unter anderem in Erinnerung geblieben durch einen Auftritt in Tobe Hoopers LIFEFORCE, gibt den Vietnamkriegsveteranen Cameron, der auf der Flucht vor der Staatsgewalt ist. Er findet Zuflucht am Filmset des exzentrischen Regisseurs Eli Cross, der vorgibt, ihn schützen zu wollen. Cameron wird kurzerhand zum Stuntman und muss die waghalsigsten Aktionen ausführen. Die sich anbahnende Liaison mit der Darstellerin Nina, wunderbar von der bezaubernden Barbara Hershey verkörpert, schlägt Cross allerdings auf den Magen. Dieser ist ebenfalls intim mit ihr verbunden… Im Laufe der Dreharbeiten soll Cameron immer gefährlichere Stunts ausführen. Hat Cross vor, ihn vor laufender Kamera umzubringen?
Dass THE STUNT MAN für heutige Sehgewohnheiten weniger anarchisch und avantgardistisch anmutet, als es für die Kinobesucher zu Beginn der 1980er Jahre gewesen sein mag, ist sicherlich auf die popkulturelle Erziehungsarbeit von Regisseuren wie Quentin Tarantino zurückzuführen. Das Mainstream-Publikum ist, in gewissen Grenzen, mittlerweile geneigt, unkonventionelle Plotwendungen und Regieeinfälle zu akzeptieren, weshalb die Geschichte des Aushilfsstuntmans Cameron bei heutiger Betrachtung mitunter sogar als konventionelle Genreerzählung durchginge… Wären da nicht die ineinander greifenden und verschmelzenden Genreebenen, und wäre da nicht ein kolossal aufspielender Peter O´Toole…
THE STUNT MAN ist Actionfilm, Thriller und Romanze in einem. Bereits das elegisch vorgetragene Titelthema „Bits & Pieces“ von Dusty Springfield weist in seiner milden Traurigkeit auf den inneren Konflikt des Kriegsheimkehrers hin… Darüber hinaus ist Rushs Werk eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit der filmischen Inszenierung und den Funktionsmechanismen der Filmindustrie. Während wir der prinzipiellen Erzählebene folgen, hier die Flucht, das Versteckspiel vor der Polizei und die zunehmend lebensbedrohlichen Forderungen von Eli Cross, erleben wir durch die Vielzahl an Film-im-Film-Sequenzen, wie eine künstlerische Produktion entsteht, aus welchen parzellierten Einstellungen und Sequenzen die Illusion des filmischen Raums konstruiert wird. Dabei erweisen Rush und seine Darsteller zeitgenössischen Filmen und Vorbildern Reverenzen, so etwa ließ sich Peter O´Toole für die Darstellung des Regisseurs von seinen Erfahrungen mit David Lean inspirieren. Erinnerungswürdig sind vor allem jene Szenen, in denen O´Toole gottgleich mit einem Kamerahubschrauber hernieder schwebt.
Mag der Film zuweilen etwas manieristisch sein, so ist er sowohl eine gewinnbringende Seherfahrung wie ein nach wie vor hochspannender Thriller. Dank Explosive Media liegt er nun endlich auf DVD und Blu-ray vor. Insbesondere die Blu-ray weist ein detailreiches und filmisches Bild auf, der Ton liegt wahlweise in Deutsch und in Englisch vor. Im beiliegenden Booklet ist ein informativer Essay von Jochen Werner enthalten, auf der Scheibe finden sich Deleted Scenes, Plakat- und Szenenphotogalerien sowie entsprechende Trailer. Die gelungene Edition ist unbedingt empfehlenswert, bietet sie doch nach Jahrzehnten endlich wieder die Möglichkeit, den Film in ansprechender Qualität zu erleben.
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The Stunt Man, USA 1980, Regie: Richard Rush, Mit: Peter O´Toole, Steve Railsback, Barbara Hershey, Allen Garfield u.a.
Anbieter: Explosive Media