Von Alexander Karpisek
So kann es passieren. Die letzten gegenkulturellen Bewegungsstörungen werden durch Gleichgewichtstraining im Rollschuh abgefedert und in den Tanztempeln und privaten Licht- und Soundkammern findet eine hocheffektive Austreibung statt. Ende der 70er Jahre wird die Welt zur sich drehenden Discokugel. Angesichts des gebastelten Globus der tausend Spiegelsplitter erkennt sich bestenfalls noch der Einzelne in seiner Zerfetztheit. Also nicht hineinschauen! Duane Lewis, ein junger Kotelettenträger, riskiert den Blick gleich im Vorspann und wird wahnsinnig. Für alle anderen gilt, dass das Festkrallen an der ideologischen Bastelstunde Konsequenzen haben muss.
Anregend an DISCOPATH sind nicht nur die ersten Bilder, sondern eine ganz grundsätzliche Entscheidung: DISCOPATH unterdrückt das über dem Filmtitel und DVD-Cover polternde Klamaukgewitter glaubhaft, ist also nicht ungewollt unlustig und verführt als verwegen zielloser und ambitionierter Neo-Camp. Das in diesem Sinne zwischen atmosphärischer Opulenz und schauspielerischem Wahnwitz aufgespannte Strangler- und Giallo-Programm kann mit seinen herrlichen und fast immer rechtzeitig gesetzten Sensationen punkten. Man müsste dem inspirierten Regisseur Renaud Gauthier unbedingt vorhalten, dass er viel zu selten in seinen genau arrangierten Tanztempeln filmt. Andererseits ist klar, dass er damit recht hat, denn ´Disco´ meint eben immer schon mehr als nur den einen Ort.
Sein erstes großartiges Verbrechen verübt Lewis unter einer transparenten Tanzfläche, zwischen den Scheinwerfern der dort befestigten Lichtanlage. Das Messer geht ihm auf und das Stampfen der Boxen und das Treten der Plateau-Schuhe über ihm und seiner Auserwählten nimmt kein Ende. Lewis flüchtet als Lopez aus New York und landet in Montreal. Irgendwo dort jobbt er als schwerhörige Hilfskraft in einem katholischen Mädcheninternat, das von einem notgeilen Pfarrer inspiziert und von einer lesbischen Schwester geleitet wird. Im wenig überzeugenden und stilistisch grauslich zusammengeschusterten Mittelteil des Films verfangen sich Vinyl-Singles in Mädchenkörper, drehen sich im Keller des Internats abgetrennte Köpfe auf dem Plattenteller und beträufelt der nackte und impotente Killer sein noch lebendes Opfer mit Blut. Unterdessen haben sich die Ermittler aus New York und Montreal darauf verständigt, nach wem sie suchen müssen.
Freilich, der französisch-kanadische Filmemacher Gauthier und sein Team kommen mit ihrer Abrechnung um Jahrzehnte zu spät. Aber beharrlich auf Bava, Lustig oder Demme zu verweisen wird den Möglichkeiten des Regisseurs nicht gerecht. Vieles hier zeugt von echter Könnerschaft und Originalität, wobei die fulminante Inszenierung der TV-Show `Discomania´ und des im Takt von Licht und Sound vibrierenden Würgeaktes herausstechen. Gauthier nimmt sich außerdem die Freiheit und dehnt seine auffallend gewollt und dennoch filigran entworfene End-70-Jahre-Atmo bis auf den letzten der tausend Hintergrunddarsteller aus. Er lässt jede Person mit ins Bild und alle dürfen sich dem Thema angemessen in vollkommener Opferpose präsentieren. Das ist oft nah am Lächerlichen. Das ist aber vor allem sympathisch demokratisch.
Nachdem der Film den üblichen Horror- und Fantasyfilmfestivaldurchlauf bereits absolviert hat, liegt er jetzt als äußerst brauchbare und ungeschnittene DVD-Fassung vor. Die deutsche Synchro leistet, was sie leisten muss. Mehr gibt’s da nicht. Mehr hat und braucht Mad Dimension DISCOPATH auch nicht hinzuzufügen.
___________________________________________________________
Discopathe, Kanada 2013, Buch & Regie: Renaud Gauthier, Mit: Jérémie Earp Lavergne, Ingrid Falaise, Pierre Lenoir, Sandrine Bisson, Ivan Freud, Christian Paul u.a.
Anbieter: Mad Dimension