Alles andere als harmonisch… Von Matthias Ehrlicher

Von Matthias Ehrlicher

Die ersten Szenen geben die Richtung vor. Harms (Heiner Lauterbach) sitzt in seiner winzigen Gefängniszelle und packt. Er wird morgen entlassen. Seine Zelle ist aseptisch, leer und die wenigen Klamotten sind aufgereiht, wie man es aus Armeespinden kennt. Harms der Soldat, der Söldner, der nichts macht, weil er es muss, sondern nur, weil er es will. Er hat sechzehn Jahre gebrummt für einen Kumpel, dem er sein Wort gegeben hat. Schon hier wird klar: Dieser Mann ist auf das Leben, das ihn jetzt erwartet, nicht vorbereitet. Und das wird auch so bleiben.

Dann wird sein Zellengenosse Luik (Benedikt Blaskovic) herein getragen – schwer misshandelt. Zielstrebig passt Harms die beiden Täter in der Dusche ab. Er kämpft sie wie im Blutrausch nieder. Doch das ist nicht nur Rache, es hat System. Er tut es nicht trotz seiner Entlassung, sondern gerade deswegen. Wenn er weg ist, kann er seinen Freund nicht mehr beschützen. Also macht er den Peinigern unmissverständlich klar, dass sie die Finger von ihm zu lassen haben. Draußen gibt es nicht viel, das Harms eine Perspektive bieten könnte. Sein neues Zimmer ist so groß wie seine Zelle und genauso leer. Die Kumpels von damals sind wie er in die Jahre gekommen, leben immer noch am Rande der Gesellschaft, ohne Ziel, und geben Harms einen Ausblick auf seine Zukunft. Dann wird ihm der „Sechser im Lotto“ präsentiert. Ein Top-Banker im Ruhestand (Friedrich von Thun) bietet ihm einen Beutegang mit hundert Millionen Euro an. Je länger die Vorbereitungen dauern, um so mehr geht schief und immer skeptischer ist Harms der Aktion gegenüber. Er will die Sache sogar ganz abblasen, lässt sich von seinen Kumpels aber überreden dabei zu bleiben. In der Bank läuft zunächst alles glatt. Doch dann gerät die Sache außer Kontrolle…

harms.2013.cover Regisseur Nikolai Müllerschön und Hauptdarsteller Heiner Lauterbach haben den Film ohne öffentliche Gelder realisiert. Allein dafür, den Film und die Verantwortung für ihn gestemmt zu haben, gebührt ihnen Respekt. Dass sie keinen großen Etat hatten ist deutlich sichtbar und es kann gut sein, dass durch diesen Umstand viele gute Ideen zum Opfer gefallen sind. Die beiden wollten einen harten Gangsterfilm aus Tätersicht produzieren, deshalb ist es umso unverständlicher, dass diesem Film vor allem eines fehlt: Spannung. Müllerschön verzichtet fast gänzlich auf Tempo- oder Rhythmuswechsel. Selbst die Kampfszenen, brutal und gut choreographiert, bringen keine Dynamik. Doch schwerer wiegt, dass den beiden Drehbuchentwicklern entgangen ist, dass sie mit Harms zwar eine durchaus komplexe Figur geschaffen haben, aber eine ohne Handlung. Die Hauptfigur führt den Film nicht, sie wird geführt. Das ist im Plot so angelegt, nur fehlt das szenische Gegengewicht. Wenn der Protagonist passiv ist, sollte der Antagonist aktiv sein, oder die Umstände, die ihn umgeben, um die Handlung voranzutreiben. Doch davon ist nichts zu sehen. So plätschert der Film langsam vor sich hin. Jede Szene steht für sich, ist austauschbar und hat keine wirklichen Folgen oder Bezüge zu anderen. Es gibt keine Figurenentwicklung, die „entwickelt“ und damit nachvollziehbar wäre.

Die Dialoge sind selten pointiert oder mehrdeutig, oft über das Ende hinaus geschrieben: In einer Szene checkt Harms den Wachmann ab, der sie unterstützen soll. André Hennickes Spiel erzählt ausreichend, dass er der Killer und Harms „nur“ der Bankräuber ist. Dann aber muss Harms seine Zigaretten fallen lassen, die von Hennickes Figur mit schnellen Reflexen aufgefangen werden. Gebraucht hätte es die Sequenz für den Zuschauer nicht mehr. Aber noch weniger Hennickes Satz danach: „Rauchen kann tödlich sein.“

Hauptdarsteller Lauterbach stattet seine Figur durchaus mit verschieden Facetten aus. Aber er kommt hier schauspielerisch an seine Grenzen, oder er und die Regie haben keinen kritischen Austausch miteinander in Bezug auf sein Spiel gefunden, was Lauterbach hätte weiter bringen können. Das tut dem Film nicht gut, denn er ist nun mal auf den Hauptdarsteller zugeschnitten. Axel Prahl und Martin Brambach geben ihr Möglichstes, aber das Drehbuch hat für sie nichts in petto, womit sie glänzen oder dem ganzen eine eigene Richtung geben könnten.

Die DVD verfügt neben drei Trailern noch über die gängigen-„Behind-The-Scenes“-Schnipsel, diese sollten sich alle Filmförderer, Produzenten und Redakteure genau ansehen. Klar, das ist ein gewollter Zusammenschnitt, aber wenn einige der gefragtesten Schauspieler in Deutschland ihre Freiheit bei dieser Produktion, zu gestalten und zu improvisieren, so hervorheben und gegen andere Arbeiten abheben, sollte das allen zu denken geben. Dass in Deutschland zu viele Leute bei einer Produktion mitreden, wenn auch immer noch wesentlich weniger als in Amerika, und damit vieles zerstört wird, ist bekannt, aber wenn Schauspieler mangelnde Freiheit beklagen, sollte das alle aufhorchen lassen. Dass Heiner Lauterbach und Nikolai Müllerschön hier einen Film geschaffen haben, den nur sie zu verantworten haben, ist und bleibt bemerkenswert. Ebenso, dass diesem Film etwas externe Kontrolle gut getan hätte.

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Harms, Deutschland 2013, Regie: Nikolai Müllerschön, Mit: Heiner Lauterbach, Friedrich von Thun, Axel Prahl, Martin Brambach, Blerim Destani, André Hennicke, Benedikt Blaskovic, Valentina Sauca, Helmut Lohner u.a.

Anbieter: Kinostar

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