Das Kino lebt durch seine Mythen, sie tragen wesentlich dazu bei, Filmgeschichte zu vergegenwärtigen. Neben heroischen Mythen des Erfolgs erregen insbesondere sagenhafte Überhöhungen des Scheiterns immer wieder die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. So rankt sich auch um den zeitgenössischen Misserfolg von STRASSE DER VERDAMMNIS die Legende, dass damals niemand den Film sehen wollte, weil er 1977 erst ein knappes halbes Jahr nach George Lucas’ KRIEG DER STERNE in die amerikanischen Kinos gekommen war. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der vermeintliche Mythos eher als faule Ausrede, in die Welt gesetzt, um die eklatanten Schwächen der Produktion zu kaschieren.
Roger Zelaznys Vorlage „Straße der Verdammnis“ aus dem Jahre 1969 hätte eigentlich einen hochwertigen Rohstoff abgegeben, um daraus einen packenden Endzeitfilm machen zu können. Jack Smights Filmversion versagt hier nahezu vollständig, wie die Lektüre des gleichnamigen Science-Fiction-Romans offenbart: Eine Gruppe von Desperados aus der Umgebung von Los Angeles versucht in einem Transporter-Konvoi ein postnuklear verstrahltes Amerika zu durchqueren, damit die von Seuchen heimgesuchte Zivilbevölkerung in Boston eine Chance hat, dauerhaft zu überleben. Der Roman konzentriert sich auf den einzigen Überlebenden des Konvois Hell Tanner, dessen Vorname programmatisch zu seinem bisherigen Lebenswandel passt: Er ist ein vielfach vorbestrafter Gewohnheitsverbrecher mit Drogenproblemen, Kopf einer Bande von halbfaschistischen Rockern, die auf ihren Motorrädern die von Atomwaffen verwüstete amerikanische Westküste durchstreifen und ungehemmt ihre niedrigen Instinkte in Plünderungen, Vergewaltigungen und Morden ausleben. Tanner entgeht der Hinrichtung in der Gaskammer nur, weil man ihn für ein Himmelfahrtskommando braucht, nämlich den besagten Medikamententransport auf der „Damnation Alley“, einer waghalsigen Autoroute, die die West- mit der Ostküste verbindet. Alle bisherigen Fahrer, die den Vorstoß nach Boston gewagt haben, bezahlten dieses Abenteuer mit ihrem Leben, denn die Gefahren auf der „Straße der Verdammnis“ sind sehr vielfältiger Natur: radioaktive Verseuchungen, zerstörte Kommunikationsnetze und Massenmedien, vernichtende Wirbelstürme aus Geröll, Schutt und Asche, Vulkanaktivitäten, beeinträchtigte Lichtverhältnisse, zudem mutierte Riesenspinnen, Fledermäuse und Krustenechsen. Aber am gefährlichsten sind die marodierenden Rockerbanden, die unter den postapokalyptischen Verhältnissen zu Briganten geworden sind und jedes Fahrzeug überfallen, das sich ihnen nähert. Auch Hell Tanner wird sich später mit ihnen einen Kampf auf Leben und Tod liefern müssen. Darüber hinaus interessiert sich Zelazny auch sehr für das Innenleben seines anfänglichen Antihelden, der sich während seiner sinnstiftenden Mission vom asozialen Einzelgänger zum staatenbildenden Gemeinschaftswesen wandelt. Folglich liest sich der Erzähltext über weite Passagen, die sich mit Impressionen aus dem Leben der auf Medizin wartenden und dahinsiechenden Menschen an der Ostküste abwechseln, wie ein Entwicklungsroman. Am Ende wird Tanner seinen Auftrag mit letzter Lebenskraft erfüllen und dafür den Heldentod sterben.
Ein moderner Regisseur aus dem Umfeld des New Hollywood wie zum Beispiel Dennis Hopper, Jim McBride oder Monte Hellman hätte aus diesem Roman wahrscheinlich ein innovatives, bildgewaltiges und verstörendes Meisterwerk schaffen können. Aber leider setzte man mit Jack Smight auf einen Regisseur der alten Schule, der seinen kreativen Zenit schon überschritten hatte. Seine wenigen, wirklich guten Kinofilme stammen allesamt aus den Sechzigern: der Paul-Newman-Klassiker EIN FALL FÜR HARPER (HARPER – THE MOVING TARGET, 1966, nach einem Roman von Ross Macdonald), der originelle Serienkiller-Reißer BIZARRE MORDE (NO WAY TO TREAT A LADY, 1968) oder die solide Ray-Bradbury-Adaption DER TÄTOWIERTE (THE ILLUSTRATED MAN, 1969). Im Kriegsepos SCHLACHT UM MIDWAY (MIDWAY, 1976) zeigte sich noch eine gewisse inszenatorische Restintelligenz, STRASSE DER VERDAMMNIS ist für den Regisseur hingegen der künstlerische Offenbarungseid. Smights Film wirkt trotz eines geschätzten Budgets von 17 Millionen Dollar wie eine Trashproduktion und man fragt sich heute, warum man im fertigen Lichtspiel von diesem vielen Geld eigentlich nichts sieht – es kommt beim Ganzen nur eine lieblos abgewickelte Routineleistung ohne gute Einfälle und richtige Attraktionen heraus.
Bereits das Drehbuch von Alan Sharp und Lukas Heller vermeidet alles, was an Zelaznys Roman interessant sein könnte: Der ambivalente Protagonist Hell Tanner wird zum unreifen halbstarken Bürschchen Jake Tanner, der immer zu pubertären Streichen aufgelegt ist und gern mal einen scheinbar coolen Spruch raushaut – völlig talentfrei verkörpert vom späteren AIRWOLF-Star Jan-Michael Vincent. Zwei weitere wichtige Filmfiguren in Hellers und Sharps Buchadaption, Major Eugene Denton (George Peppard) und eine verwirrte junge Frau namens Janice (Dominique Sanda), existieren in dieser Form in der Vorlage nicht und unterstreichen den reaktionären Touch des Films. Zelazny hingegen entwirft ein existenzialistisches Weltuntergangsszenario, in dem mutige Einzelgänger vielleicht noch einen letzten Fitzel der Zivilisation retten können, engstirnige Kommiss-Köpfe wie der von Peppard dargestellte Charakter wären dabei nur im Wege und repräsentieren den alten Militarismus, der eigentlich schuld daran ist, dass Amerika nach dem 3. Weltkrieg in Schutt und Asche liegt. Der Denton in der Romanvorlage bleibt folglich eine belanglose Nebenfigur, es ist der konservative kalifornische Verkehrsminister, der Hell Tanner seinen Auftrag erteilt. Im Film flüchtet Dentons Militärkonvoi mit den letzten Überlebenden seiner Basis nach Albany im Bundesstaat New York, weil von dort Funksignale ausgehen sollen. Sie fahren dann am verwüsteten Spielerparadies Las Vegas vorbei und treffen dort auf die desorientierte und etwas burschikose Janice, die einsam in einem Kasinohotel vor sich hin vegetiert. Zweifellos ist dieser Auftritt in STRASSE DER VERDAMMNIS für die in Europa gefeierte Schauspielerin Dominique Sanda, die zuvor in mehreren ausgezeichneten Produktionen unter der Regie von Robert Bresson (DIE SANFTE, 1969), Vittorio de Sica (DER GARTEN DER FINZI CONTINI, 1970) und Bernardo Bertolucci (DER KONFORMIST, 1970) zu sehen war, der künstlerische Tiefpunkt ihrer Karriere. Dentons Truppe nimmt das Mädchen mit und muss es wenig später vor einer Gruppe von degenerierten und geistig zurückgebliebenen Hinterwäldlern beschützen, die mit Schrotflinten bewaffnet sind und unter Triebstau leidend Janice um jeden Preis schänden wollen. Bei Zelazny trifft Hell Tanner auf die sexuell offenherzige Streunerin Corny, eine toughe Rockerbraut ganz nach Hells Geschmack. Sie kann gut mit Waffen umgehen, wird aber trotzdem im Gefecht mit einer bewaffneten Motorradbande erschossen und Tanner muss den Transport in völliger Einsamkeit zu Ende bringen.
Der Regisseur Smight und seine Drehbuchautoren haben in vorauseilender Selbstzensur alle Anteile der Vorlage, die verstörend und kontrovers ausfallen könnten, zugunsten einer jugendfreien und harmlosen Umsetzung eliminiert. Selten wurde ein Kriegsausbruch in einem Film so nichtssagend inszeniert wie in STRASSE DER VERDAMMNIS: Gelangweilte Militärchargen (u. a. Murray Hamilton als alkoholisierter General) sitzen vor Monitoren, Displays und Landkartenscreenings und sondern irgendwelche Planspiel-Banalitäten ab, dazwischen wird Found-Footage-Material aus anderen Kriegs- und Katastrophenfilmen eingeschnitten, das den Abschuss und den Einschlag diverser Raketen zeigt, die alles andere als futuristisch aussehen. In Zelaznys Roman wird trotz so mancher Stilschwäche die infernalische Dimension des Atomkriegs für den Leser spürbar, weil er immer wieder den Fokus auf die verzweifelte Situation von Durchschnittsmenschen lenkt, die an den Folgeschäden der atomaren Verseuchung zugrunde gehen. Das Leid der Zivilbevölkerung in den USA und anderswo kommt bei Jack Smight überhaupt nicht vor, Regie und Drehbuch lassen jegliches Gespür für ethische, soziale und politische Zusammenhänge vermissen, die bei einem atomaren Ernstfall eine Rolle spielen müssten. Ein abruptes und unglaubwürdiges Happyend bei der Ankunft in Albany gibt der ganzen Geschichte den Rest. Gerade das amerikanische Kino der siebziger Jahre lebte von vielen dystopischen Endzeitentwürfen, deren Ikonographie für Künstler mehrerer Generationen stilprägend war, wie beispielsweise in der PLANET DER AFFEN-Reihe (1968-1973), in Boris Sagals DER OMEGA-MANN (THE OMEGA MAN, 1971) oder auch in …JAHR 2022… DIE ÜBERLEBEN WOLLEN (SOYLENT GREEN, 1973) von Richard Fleischer. Die Filmmusik des genreerprobten Komponisten Jerry Goldsmith dürfte damals bei den Kinobesuchern ebenfalls keine glaubwürdige Atmosphäre für das Filmgeschehen auf der Leinwand verbreitet haben. Er komponierte lediglich einen akzeptablen Score und bleibt leider hinter den Erwartungen zurück, falls man beispielsweise Vergleiche mit seinen Arbeiten für PLANET DER AFFEN (1968) oder auch CHINATOWN (1974) anstellen möchte.
Aber auch die technische Seite des Films überzeugt nicht: häufige Anschlussfehler, schlampig ausgeführte Kopiertricks, nachlässige Rückprojektionen und miserable Monsterattrappen. Deshalb verpuffen die Sequenzen mit mutierten Riesenskorpionen und Killer-Kakerlaken, die wahrscheinlich zu den Hauptattraktionen des Films gehören sollten, in totaler Wirkungslosigkeit. Einzig der von der Tunerlegende Dean Jeffries für 350 000 Dollar konstruierte und erbaute „Landmaster“, eine Mischung aus Panzerwagen und Amphibienfahrzeug, konnte Science-Fiction-Fans bis heute begeistern und hat dann noch in leicht modifizierter Form Eingang in einige spätere Actionfilme gefunden.
Für STRASSE DER VERDAMMNIS ließ 20th Century Fox sogar ein ausgefeiltes neues Tonsystem mit dem großspurigen Namen „Sound 360“ entwickeln: Es war eine Weiterentwicklung bisheriger Mehrkanal-Magnetton-Beschallungen und sollte beim Publikum ein „Mittendrin-Gefühl“ erzeugen und Universals „Sensurround“ vom Markt fegen. Dass man trotzdem damit keinen Blockbuster landen konnte, fiel dann wohl auch den Verantwortlichen bei der Fox auf und sie brachte zuerst STAR WARS ins Kino, von dem man sich ursprünglich nicht viel versprochen hatte. Es war eine weise Entscheidung, wie man heute weiß. Denn die frische Dynamik der beeindruckenden Spezialeffekte und die Verve aller an dieser Produktion Beteiligten begründete den unsterblichen Ruhm von Lucas’ Sternen-Saga. Und die Macher von STRASSE DER VERDAMMNIS mussten nicht zugeben, dass sie einen schlechten Film abgeliefert hatten. Man konnte einfach so tun, als habe man gegen den immensen Erfolg von KRIEG DER STERNE keine Chance gehabt und man sei deswegen unverschuldet im Box-Ofice-Ranking abgehängt worden.
Es ist eine tolle Sache, dass nun Subkultur Entertainment und Koch Media STRASSE DER VERDAMMNIS in einer mit mehreren aussagekräftigen Features ausgestatteten BD- und DVD-Edition herausgebracht haben, die es auch deutschsprachigen Cineasten endlich ermöglicht, sich über diesen vermeintlichen Science-Fiction-Klassiker eine eigene Meinung zu bilden: Der berühmte Fahrzeugkonstrukteur und Experte für Autostunts Dean Jeffries, der einst die Rennwagen von James Dean und Steve McQueen aufpimpte, spricht in einer Kurzdokumentation der DVD/BD über die Entwicklung seines Landmasters und die Probleme am Set. Alan Sharp erzählt in Interviews, wie er damals sein Skript nach den Wünschen der Produzenten gestaltete, obwohl er selbst wusste, dass es dem ganzen Konzept an Substanz mangelte. Die Producer Paul Maslansky (Audiokommentar) und Jerome M. Zeitman (Interviews in einer Kurzdokumentation) gewähren nachträglich einen Einblick in ihr Herstellungschaos und geben zu, wie sehr ihnen die Arbeit an STRASSE DER VERDAMMNIS über den Kopf gewachsen ist. Hätten die Verantwortlichen bei 20th Century Fox das Potenzial von Zelaznys Romanvorlage erkannt und auf ein weniger verpeiltes Produktionsteam gesetzt, dann hätte dieser Film ein cineastischer Meilenstein des Endzeitkinos werden und den Erfolg von George Millers „MAD-MAX-Trilogie“ (1979-1985) vorwegnehmen können: Am Ende bleibt nur die Erinnerung an verpasste Chancen und ein schräger Genrefilm, der nicht wirklich das Zeug zu einem Klassiker hat.
Damnation Alley, USA 1977, R: Jack Smight, D: Jan-Michael Vincent, George Peppard, Dominique Sanda, Paul Winfield, Murray Hamilton, u.a.
Anbieter: Subkultur Entertainment / Koch Media