Von Thorsten Krüger
Der frisch ausgebildete britische Rekrut Gary wird 1971 in die nordirische Bürgerkriegsstadt Belfast versetzt, bei Ausschreitungen von seiner Einheit getrennt und von IRA-Terroristen durch die Straßen gejagt. Ohne genaue Ortskenntnis muss er die nächste Nacht überstehen, weiß nicht, wer Helfer, wer Verräter ist.
Aus der Perspektive eines Jungsoldaten stürzt sich die Handkamera ins Chaos brennender Barrikaden und von eskalierendem Hass, verliert optisch nie die Übersicht, während die zerstrittenen Konfliktparteien undurchschaubar agieren. Waisenjunge Gary, ohne weitere Erklärung abkommandiert, wird Zeuge von Misshandlungen in einem Belfast, das an Beirut oder den Gazastreifen erinnert, wo Briten wie Israelis als Besatzer auftreten.
Den martialischen Menschenrechtsverletzern und ihrem Staatsterror steht die im Zivilen versteckte Untergrundarmee IRA gegenüber, rücksichtslos brutal wie die Terrororganisation Hamas. Sie richten Garys Kameraden auf offener Straße hin und jagen ihn etappenweise. Ein Junge im gleichen Alter wie sein Bruder, den er im Waisenhaus zurücklassen musste, rettet ihn und stirbt in einem Pub, weil eine Bombe nebenan zu früh detoniert.
Manche Motive sind schwach, die Dramatik nicht immer packend, dunkle Suspense-Bässe und die Poesie nächtlicher Verlorenheit aber lassen Gary nie außer Gefahr, weil die Mörderbande nur einen Telefonat entfernt lauert und die Vorgesetzten ihn im Stich lassen. Auch als er einen Gleichaltrigen in Notwehr unabsichtlich ersticht, vertieft sich ein Trauma, das sich aller Heroik versagt und damit die Anti-Armee-Haltung bestärkt.
Erschienen auf Komm & Sieh
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’71 (’71 – Hinter feindlichen Linien), Großbritannien 2014 | Regie: Yann Demange, Buch: Gregory Burke | Mit: Jack O’Connell, Sam Reid, Sean Harris, u.a. | Laufzeit: 99 Minuten, Verleih: Ascot Elite (noch kein Starttermin).