TETSUO-Regisseur Shinya Tsukamoto ließ auf dem Filmfestival von Rotterdam vor Aufführung seines neuesten Films eine persönliche Notiz verlesen, in der er seine Bewunderung für die berühmte Buchvorlage zum Ausdruck brachte. Shohei Ookas 1951 erschienener Antikriegsroman über die letzten Wochen des Pazifikkrieges gehört längst zur Pflichtlektüre an japanischen Schulen und gilt auch weltweit als Meilenstein japanischer Literatur. Für Tsukamoto ist seine Interpretation von FEUER IM GRASLAND – so der deutsche Titel des Buches – ein Film für die jungen Generationen, eine Mahnung wider den Wahnsinn und die Gräuel des Krieges. Sein Wunsch, den Film bald auch an Schulen zur Abschreckung vorführen zu lassen, wird sich zumindest in hiesigen Landen kaum erfüllen – zu drastisch und explizit ist die Darstellung des Kriegsgrauens ausgefallen. An die brachiale Intensität der Gewaltexzesse in der ersten halben Stunde von SAVING PRIVATE RYAN reicht FIRES ON THE PLAIN trotz drastischer Tötungsszenen indes nie heran, verstört eher durch eine Atmosphäre des allgegenwärtigen Todes. Ohne die im Brief erwähnte historische Einordnung lässt der Film den Zuschauer über die geschichtlichen Details jedoch im Dunkeln, verallgemeinert damit den Wahnsinn auf alle Kampfhandlungen dieser Welt und wird damit zu einem Prototyp kriegerischen Irrsinns.
Tsukamoto selbst ist der an Tuberkulose erkrankte Soldat Tamura, der halb verhungert zwischen Lazarett und Kompanie durch das Dickicht des Regenwaldes hin und her torkelt, jedoch von beiden Seiten abgewiesen wird. Immer wieder gerät er in kurze Kampfhandlungen, doch neben der sich ständig reduzierenden Zahl seiner Kameraden ist es vor allem der Hunger, der den Verzweifelten in den Wahnsinn treibt. Doch totes, essbares Fleisch liegt schließlich zur genüge herum.
Der Film folgt wie schon Kon Ichikawas gleichnamige Adaption von 1959 weitestgehend der Handlung des Buchs. Während Ichikawa jedoch noch eine gewisse Distanz zum absurden Geschehen auf der Leinwand zuließ, funktioniert Tsukamotos Version viel mehr durch ihre surreale Subjektivierung. Sie versetzt den Zuschauer unvermittelt in den Protagonisten hinein, macht ihn zum Zeugen einer verzerrten, hypersensibilisierten Wahrnehmung. Ein Hauch von APOCALYPSE NOW weht durch das übersättigte Grün des Regenwalds – und wie schon in allen vorherigen Werken Tsukamotos setzt der Regisseur die Charaktere unmittelbar in Beziehung zu ihrer Umgebung. Dabei leistet die dynamische Kamera Erstaunliches und macht die Erlebnisse des Protagonisten geradezu körperlich erfahrbar – besonders in Erinnerung bleibt die Sequenz, in der die Soldaten über ein Feld robben müssen, um sich an den gegnerischen Maschinengewehrnestern vorbei in Sicherheit zu bringen: Durch die kriechende Kamera erhält die Weite der Schilfgrasfläche eine einschnürende Enge – selten war Agoraphobie so klaustrophobisch.
Tsukamotos Version von FIRES ON THE PLAIN ist ein Angriff auf alle Sinne – der in satte Grüntöne getauchte Verlust der Menschlichkeit am Beispiel des Martyriums eines Einzelnen. Dabei sind die geschilderten Situationen an Absurdität kaum zu überbieten. Fast möchte man ob der satirischen Untertöne verzweifelt loslachen, wenn nicht immer wieder menschliche Körper zerstört würden. Tsukamoto erspart dem Zuschauer nichts. Fliegen surren, Maden winden sich durch zerfetzte Körper. Die Narration bleibt dabei vage, passt sich der geographischen wie ideologischen Desorientierung der Soldaten an.
Ichikawas Version mag sich ihrer Botschaft bewusster sein. Tsukamotos Film hingegen ist bildgewordenes Delirium – eine physische Erfahrung, die den Zuschauer erschöpft zurücklässt.
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Nobi (Fires on the Plain), Japan 2014 | Regie/Buch: Shinya Tsukamoto | Mit: Shinya Tsukamoto, Lily Franky, Tatsuya Nakamura, Yusaku Mori, u.a. | Laufzeit: 87 Min, noch ohne deutschen Verleih