Das letzte Biest am Himmel. Von Heinz-Jürgen Köhler

Von Heinz-Jürgen Köhler

Traumziel: Erlangen! Gemeinsam Lehramt studieren!!! Die Vision seiner Freundin gibt Robert (Tom Schilling) den Rest. Er muss hier weg, raus aus der Provinz, ab nach Berlin. In seinem Internat irgendwo in Westdeutschland in den 80ern war Robert stets ein Außenseiter. Alle andere haben lange Haare, demonstrieren, sind Sanjassins. Robert hasst diese Hippies, darin ist er sich mit dem schwulen Nazi Grieß (Frederick Lau) einig. Berlin, das ist ein großes Versprechen. Berlin, das beginnt schon, als er zur Haarschneidemaschine greift und sich einen Iro rasiert.

In Berlin angekommen, landet er erst einmal in einer Peepshow. Dort trifft er gleich seinen alten Kumpel Schwarz (Wilson Gonzalez Ochsenknecht) und findet einen Job – als Putzmann. Und Schwarz nimmt ihn auch mit in die Berliner Subkultur, die ihn so unwiderstehlich angezogen hat, ins „Risiko“.

tod.den.hippies.es.lebe.der.punk.2015.cover Berlin. Die Stadt in den 80ern, das sind die legendäre Punkkneipe „Risiko“ und die Disco „Dschungel“, die beide eine Sogwirkung über Berlin hinaus entfalteten. David Bowie und Iggy Pop waren einige Jahre vorher in der Stadt und haben hier Platten aufgenommen. Blixa Bargeld spielte in Nick Caves Band „Birthday Party“ und erfand mit den „Einstürzenden Neubauten“ die deutsche Industrial Music. Während die Mauer Ostberlin Unfreiheit brachte, blühte im westlichen Schatten der Mauer eine schillernde Subkultur. Die westdeutschen Subventionen für die „Frontstadt“, die billigen Mieten und die Bundeswehrfreistellung zogen wilde, junge, kreative Menschen an.

TOD DEN HIPPIES!! von Autor und Regisseur Oskar Roehler ist eine furiose Hommage an diese stürmische und bisweilen selbstzerstörerische Zeit. Blixa Bargeld – den Alexander Scheer als köstliche Parodie gibt – und Nick Cave lässt Roehler auftreten, daneben als weitere kulturelle Ikone Rainer Werner Fassbinder. Neben diesen zeitgeschichtlichen hat der Film vor allem autobiografische Bezüge. Mit einem ganzen System aus Romanen und Filmen vermisst Roehler seit längerem die eigene Lebensgeschichte. DIE UNBERÜHRBARE (1999) war der erste Film, QUELLEN DES LEBENS (2012) folgte. „Herkunft“ und jetzt „Mein Leben als Affenarsch“ sind die Romane. Bezugspunkte, die auch in TOD DEN HIPPIES!! aufscheinen, sind seine Mutter, die Schriftstellerin Gisela Elsner, und der Vater Klaus Roehler, Schriftsteller, Lektor und einst Kassenwart der RAF.

tod.den.hippies.es.lebe.der.punk.2015.still2 War DIE UNBERÜHRBARE noch artifiziell bis hin ins Posenhafte, hat Roehler hier einen viel lebhafteren, ungleich kraftvolleren Stil entwickelt. Er zeigt diese Berliner Subkultur in schriller Überzeichnung und spielt lustvoll mit Klischees. Nightlife, Currywurst und Rotlicht machen die Stadt aus. Robert muss dort gleich ganze Spermafontänen aufwischen. Überhaupt spart der Film nicht mit Körperflüssigkeiten, und das Salz für den Tequila wird manchmal direkt aus der Achselhöhle geschleckt. Das ist wild und fragmentarisch, dabei manchmal derb bis geschmacklos und immer mitreißend.

Roehler, der seine Filmlaufbahn als Drehbuchautor bei einem anderen genialen Wilden des deutschen Kinos begann – bei Christoph Schlingensief –, beeindruckt durch die Kraft und Wut, mit der er seine ungestüme Farce erzählt. „Ich bin einfach nicht mehr bereit, was anderes als Unterhaltungsfilme zu machen“, sagte er im Interview mit der SZ. Und unterhaltsam ist sein Film: eine wüste Coming-of-Age-Geschichte, in der der Protagonist gegen seine fast schon bedrohlichen Eltern aufbegehrt, und zugleich das fulminante Porträt einer untergegangenen Zeit – beides wild und zugleich wahrhaftig erzählt.

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Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!, Deutschland 2015 | Regie/Buch: Oskar Roehler | Mit: Tom Schilling, Wilson Gonzalez Ochsenknecht, Hannelore Hoger, Frederick Lau, Alexander Scheer | Laufzeit: 105 Min., Verleih: X Filme (Kinostart: 26.3.2015)