Lyrischer Realismus. Von Caroline Lin

Von Caroline Lin

Wer ATLANTIC. ein Surferabenteuer oder Immigrationsdrama zum afrikanischen Exodus nach Europa nennt, hat nichts verstanden. Das kraftvolle und bildmächtige Zweitwerk des Niederländers Jan-Willem van Ewijk (NU.) entzieht sich Kategorien von Action, Thesen und Arthaus, sondern steht weit über ihnen. Genau genommen schwebt er so zeitlos und introvertiert wie seine stille Hauptfigur: kontemplativ, tiefgehend, überwältigend.

atlantic.2014.cover2 Mit seinem alten Vater lebt der 32-jährige Fettah in einem marokkanischen Küstendorf in bescheidenen Verhältnissen von Fischfang und Surftouristen. Als er sich unglücklich in die Holländerin Alexandra verliebt, fasst er den Entschluss, alles zurückzulassen und ihr allein auf dem Surfbrett über den Atlantik nach Europa zu folgen.

Das Meer glänzt wie ein Spiegel. Kannst du dich und mich darin erkennen? In Voice Over und Rückblenden geben Fettahs Gedanken Besinnlichkeit, Abschiedsmelancholie und Sehnsuchtsversunkenheit wieder. Er surft die Küste nach Norden entlang, übernachtet an einsamen Stränden, geht barfuß durch Casablanca und Seebäder. Van Ewijk kostet die Stimmung aus, Ozean, Brandung und Wind sind ganz sinnlich zu spüren.

atlantic.2014.still4 Die naturbelassene, pure, große Schönheit, aber auch die allgegenwärtige Gefährlichkeit des Meeres findet die grandiose Kamera durch Nah- und Fernstudien, die fein-tragische Musik und die Geräusche des Wassers runden die Liaison aus Lyrik und Realismus ab. Fettahs Sprünge als Windsurfer sind solche in die Freiheit, Ausdruck eines individuellen Verlangens, das weder Allgemeinplätze noch politische Botschaften enthält.

atlantic.2014.cover Seine Cousine Rahma begehrt ihn, Fettah begehrt Alexandra (Thekla Reuten, THE AMERICAN), ein unglückliche Konstellation unerfüllter Liebe, die nur mit subtilen Gesten und Blicken auskommt, dafür um so schmerzvoller wirkt, sowie poetisch und meditativ: Was er alles aufgibt (die kleine Wisal, der er wie ein Vater ist), was er an Lebensgefahr auf sich nimmt, wie er moribund auf dem Meer treibt. So verträumt und erhaben, ganz anders als ALL IS LOST.

atlantic.2014.still3 Erschienen auf Komm & Sieh

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Atlantic., Deutschland/Belgien/Niederlande/Marokko/Frankreich 2014 | Regie: Jan-Willem van Ewijk, Buch: Abdelhadi Samih, Jan-Willem van Ewijk | Mit: Fettah Lamara, Thekla Reuten, Mohamed Majd, u.a. | Laufzeit: 94 Minuten, Verleih: Neue Visionen (Kinostart: 25.06.2015).