Von Bodo Traber
„Im Orbit, tausende von Kilometern von der Erde entfernt, markiert GAMMA EINS, die äußerste der Raumstationen, die unsichtbare Grenze des menschlichen Vorstoßes in den Weltraum.“ (Prolog zu I CRIMINALI DELLA GALASSIA)
Zeitgleich entstanden 1960 in zwei kleinen, benachbarten Studios Mario Bavas klassischer Horrorfilm LA MASCHERA DEL DEMONIO und Antonio Margheritis erste Weltraumoper SPACE MEN und läuteten die eigentliche Blütezeit des italienischen Genrekinos ein. Der Science-Fiction-Film aus Cinecitta konnte es mit durchschnittlichen amerikanischen Produktionen durchaus aufnehmen. Das europäische Hollywood war zum Standort einer der umsatzstärksten Filmproduktionsstätten der Welt geworden, und hatte insbesondere in der Entwicklung der Special Effects eigene, internationale Standards geschaffen, was der billigeren Produktionsbedingungen wegen auch amerikanische Auftraggeber anzog. Wie sein Kollege Bava war auch Antonio Margheriti (1930-2002) ein gefragter Experte in der Gestaltung visueller Effekte und wie Bava seinen PLANET DER VAMPIRE schuf Margheriti 1965 in amerikanischem Auftrag – und unter seinem legendären Pseudonym „Anthony (M.) Dawson“ – einen lange fast vergessenen Zyklus von vier miteinander verbundenen Weltraumfilmen, die fürs US-Fernsehen gedacht waren, dann aber doch von MGM international ins Kino gebracht wurden.
Eine eindeutige Reihenfolge des Quartetts wird durch einige Unvereinbarkeiten in der Besetzung gestört, die umso mehr verwundern, da nach klassischer Einschätzung alle vier Filme parallel gedreht wurden. (Außerdem war es vermutlich DIAFANOIDI, der als erster herauskam. Durchaus denkbar ist zudem, dass LA MORTE VIENE DAL PIANETA AYTIN, der mit einigen Monaten Verspätung erschien, auch etwas später entstand. Das sichtlich geringere Budget des Films schränkte die Verwendung von Weltraum-Sets- und Effekten ein – der größte Teil spielt in der Schneelandschaft der Berge – und führte zudem zu einer verminderten Distribution. Laut italienischen Quellen lief der Film als einziger der vier nur in italienischen Kinos, in den USA – als THE SNOW DEVILS – und Deutschland etwa erlebte er seine Premiere nur im Fernsehen.) Ombretta Colli, die in PIANETA ERRANTE noch die Lt. Terri Sanchez spielte, tritt in PIANETA AYTIN als Lisa Nielson auf, während Terry Sanchez nun von Halina Zalewska verkörpert wird, die in PIANETA ERRANTE noch als General Nortons Tochter Janet zu sehen war. Goffredo Unger stirbt als Perkinson in PIANETA ERRANTE einen tragischen Tod, tritt aber in PIANETA AYTIN lebendig wieder auf. Nun heißt die Figur zwar Pulaski, hat aber denselben kleinen Sohn, der in PIANETA ERRANTE noch an seinem Grab weinte.
Die „Gamma-Uno“-Reihe gilt heute als eines der schönsten Genre-Beispiele des angebrochenen Weltraumzeitalters in der Geschichte der italienischen „Fantascienza“, in dem sich der technische Stil der ‚Hardware-SF’ – eines Zweigs der Science Fiction, die sich um seriöse und plausible Schilderung zukünftig denkbarer technischer Entwicklungen bemühte und als deren Höhepunkt 2001: A SPACE ODYSSEY gilt – mit der Pulp-Tradition der klassischen amerikanischen Monster- und Invasionsfilme der 50er Jahre mischten. Erstaunlich sind die zweifellos zufälligen Analogien des Zyklus zur deutschen TV-Serie RAUMPATROUILLE (1966), auf die deutlich auch der deutsche Titel von IL PIANETA ERRANTE anspielt (auch die Parallelen zur zeitgleich entstandenen klassischen STAR-TREK-Serie sind frappant) – nicht nur finden sich in „Gamma-Eins“- und „Raumschiff Orion“-Universum verwandte Plots um von Aliens übernommene Offiziere, ein die Erde bedrohendes Terraforming-Projekt anderer Kosmosbewohner und einen Himmelskörper auf Kollisionskurs mit der Erde, auch ähneln sich die Konzepte um eine technisierte Gesellschaft der Zukunft und ihren Vorstoß ins All ebenso wie die Grundidee, die Stories rund um die Besatzung eines Raumfahrzeugs anzusiedeln, das selbst nur einen Bestandteil eines großen militärischen Gefüges darstellt. 1965 lief in den USA bereits das „Apollo“-Programm, die Einrichtung einer festen Orbitalstation in der Erdumlaufbahn wurde als unumgängliche Entwicklung betrachtet, die nur eine Frage von Jahren war und mit „Skylab“ Realität wurde. Dass die NASA als zivile Raumbehörde gegründet worden war, um jenen Vorstoß des Menschen ins Weltall unter friedlichen Vorzeichen durchzuführen, blieb für den abendländischen SF-Film jener Zeit oft wenig greifbar. Während man zeitgleich im Ostblock- (oder auch im japanischen) SF-Film internationale Weltraum-Missionen unter dem Banner der UNO durchführen und etwa im tschechischen Klassiker IKARIE XB 1 (1963) einen friedlichen Kontakt mit einer anderen Zivilisation etablieren konnte, erinnern die militärische Struktur – und der Umgangston der Figuren mit einander – in Margheritis Zyklus eher an alte Kriegsfilme. (Bill Warren verortet den dem Gamma-Uno-Quartett durchaus ähnlichen Vorgängerfilm SPACE MEN gar in einem totalitären Zukunftssystem.) Von dort, aus den (US-)Filmen über den 2. Weltkrieg, dürften die Vorlagen stammen, denen die Charaktere und ihr soziales Umfeld im Wesentlichen nachgeformt sind; was vom Privatleben der Figuren zu sehen ist, wenn sie gerade keine Aliens jagen müssen, beschränkt sich auf die üblichen Klischees von Soldaten auf „Landurlaub“. Heim und Familie findet auf Fotos und Briefen von „zu Hause“ statt. Und der Gedanke einer friedlichen Koexistenz mit anderen Lebensformen, so elementar für die 1966 einbrechende STAR TREK-Epoche, ist dem xenophoben Genre noch fremd. Die Demokratien der Erde mögen es geschafft haben, sich zu vereinen, aber nur, um gegen fremde Gegner zusammenzustehen. Da schwebt noch der Geist des Kalten Krieges durch den Weltraum, was die italienische „Fantascienza“ der 60er Jahre eher als Mimikry amerikanischer Genre-Vorbilder ausweist als, dass es etwas über die politisch zerrissene Gesellschaft im Nachkriegsitalien aussagen würde. Dennoch durchdringt die Science Fiction à la italiana immer wieder düstere europäische Geschichte, etwa wenn sich Professor Nurmi anschickt, eine Rasse von Übermenschen zu züchten, sich hinter der vermeintlichen Heilslehre der „Diafanoiden“ nur faschistischer Eroberungswille verbirgt oder die Bewohner Aytins skrupellos über die Leichen ganzer Völker gehen, um neuen Lebensraum für sich zu schaffen.
Dass der US-Schauspieler Tony Russell (als Mike Halstead) offenbar nur für zwei der vier Filme verpflichtet war und dann von Giacomo Rossi-Stuart (als Rod Jackson) in der Hauptrolle abgelöst wurde, fällt kaum auf. Die Figurenzeichnung – der No-Nonsense-Commander, der nicht nur mit außerirdischen Bedrohungen, sondern auch mit der Bürokratie des Militärapparats kämpfen muss – ist durchweg simpel; zwischenmenschliche Konflikte um Freundschaft, Liebe und Loyalität bleiben ebenso mit groben Strichen gezogen, obwohl sie teilweise großen Raum einnehmen und sich ähnliche Subplots um romantische Verwicklungen und hierarchische Konflikte in jedem Film wiederholen; durchgehende Veränderungen in den Charakteren und ihren Beziehungen zu einander gibt es nicht, sie würden ebenso dem Serien-Charakter des Zyklus widersprechen. Den Charme der Filme macht zweifellos zum einen ihre Optik aus – das elaborate, geradezu liebevolle und meist überaus gelungene Design der Sets und Miniaturen ebenso wie der Kostüme (die fast nur aus militärischen Uniformen bestehen), die zeitgemäß knallige Farbgebung und die meist durchschaubaren, aber bezaubernden visuellen und Modell-Effekte. (Die erotische Zurückhaltung trotz üppiger Darstellerinnen dürfte daran liegen, dass die Filme fürs US-Fernsehen gedacht waren.) Zum anderen bietet die „Gamma-Uno“-Reihe eine reichhaltige Wundertüte voll origineller Science-Fiction-Ideen, die bis in die klassischen Serials und die SF-Literatur und Comics der 40er Jahre zurück reichen. Rolf Giesen vermutet den „Batman“-Autor William Finger als kreativen Kopf hinter der Reihe; man darf sich aber daran erinnern, dass Antonio Margheriti als Special-Effects-Regisseur und „Gamma-Uno“-Drehbuchautor Renato Moretti als Regieassistent auch an der Produktion von PERRY RHODAN – SOS AUS DEM WELTALL beteiligt waren. Der italienische SF-Boom erreichte mit BARBARELLA und DIABOLIK seinen Höhepunkt, zog dann nur noch einige wenig bekannte Werke nach sich, ehe er mit der STAR WARS-Ära wieder aufflammte und der Welt solche Epigonen wie STAR CRASH – STERNE IM DUELL oder KAMPF UM DIE 5. GALAXIS schenkte.
Dass die vier Werke Margheritis trotz jeweils abgeschlossener Handlung eine Einheit bilden, war schon seit jeher an ihrem seriellen Charakter ablesbar, der den einzelnen Film immer etwas fragmentarisch, nicht ganz der Dramaturgie eines Kinofilms entsprechend wirken ließ. Umso glücklicher und lobenswerter indes, dass sie nun dank eines ‚Joint Venture’ verschiedener DVD-Labels (aufgrund unterschiedlicher Rechtelage) nahezu zeitgleich fürs deutsche Heimkino vorgelegt wurden und dem interessierten Zuschauer endlich einen komplettierten Blick auf eines der aufwendigsten Projekte des italienischen SF-Films seiner Zeit erlauben. Erschienen ist der erste Film des Zyklus RAUMSCHIFF ALPHA u.a. beim Label X-Rated in der internationalen Fassung sowie der Langfassung der italienischen Veröffentlichungen mit angelegtem deutschem Ton. Die am umfangreichsten ausgestattete Edition erhielt TÖDLICHE NEBEL durch das Label MMB TV „Kino Trivial“ (das man nicht mit der „Trivialfilm-Kollektion“ desselben Vertriebs Media Target verwechseln sollte). Eine lange (leider etwas asynchrone) Einführung des renommierten Filmhistorikers Rolf Giesen vermittelt einen tiefgreifenden Einblick in die spannenden Produktionshintergründe des Zyklus, seltene Filmclips des italienischen Fernsehens zeigen u.a. Antonio Margheriti bei der Gestaltung der Modell-Effekte zu PERRY RHODAN – SOS AUS DEM WELTALL; die deutsche Super-8-Fassung rundet das schöne Package ab. ORION 3000 – RAUMFAHRT DES GRAUENS und DÄMONEN AUS DEM ALL wurden von CMV Laservision in exquisiter Bildqualität als DVD und Blu-ray vorgelegt. TÖDLICHE NEBEL und ORION 3000 liegen nur mit deutscher Tonspur vor (auch dies wohl eine Frage der Lizenzlage). Antiquarisch suchen muss man die CD „Gamma I Quadrilogy“ von Abraxas Records von 2005, auf der die wunderbare Musik Angelo Lavagninos digital verewigt ist.
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I Criminali della galassia (Raumschiff Alpha), Italien 1966, R: Anthony Dawson (d.i. Antonio Margheriti), D: Tony Russell, Lisa Gastoni, Massimo Serato, Franco Nero, Enzo Fiermonte, u.a.
Anbieter: X-Rated
I Diafanoidi vengono da Marte (Tödliche Nebel), Italien 1966, R: Anthony Dawson (d.i. Antonio Margheriti), D: Tony Russell, Lisa Gastoni, Franco Nero, Enzo Fiermonte, Carlo Giustini, u.a.
Anbieter: MMB TV „Kino-Trivial“
Il Pianeta errante (Orion 3000 – Raumfahrt des Grauens), Italien 1966, R: Anthony Dawson (d.i. Antonio Margheriti), D: Jack Stuart (d.i. Giacomo Rossi-Stuart), Ombretta Colli, Enzo Fiermonte, Halina Zalewska, Goffredo Unger, u.a.
Anbieter: CMV Laservision (DVD und Blu-ray)
La Morte viene dal pianeta Aytin (Dämonen aus dem All), Italien 1967, R: Anthony Dawson (d.i. Antonio Margheriti), D: Jack Stuart (d.i. Giacomo Rossi-Stuart), Ombretta Colli, Renato Baldini, Halina Zalewska, Goffredo Unger, u.a.
Anbieter: CMV Laservision (DVD und Blu-ray)