Die Blüte des Giallo-Genres zeigte bereits verwelkte Ansätze, der Zenit war überschritten – Kannibalen, Zombies und andere putzige Zeitgenossen verdrängten sukzessive die großteils schlicht schwarzbehandschuhten Mantelträger von den Leinwänden. Ging es naturgemäß vom Gipfel nur noch talwärts, so stemmte sich Regisseur Antonio Bido doch noch einmal gegen den allgemeinen Trend – und schuf mit SOLAMENTE NERO (1978) nicht weniger als sein persönliches Meisterstück und eine der letzten filmischen Hochwassermarken im Sujet.
Immer Ärger für Hochwürden. Don Paolo (Craig Hill), in dessen Pfarrei auf der Venedig vorgelagerten Insel Murano sonst wenig passiert, hat es unversehens nicht nur mit einem spiritistischen Zirkel und der allgemeinen Niedertracht seiner Gemeinde zu tun. Seit der Ankunft seines studierenden Bruders Stefano D’Archangelo (Lino Capolicchio) geht der Beelzebub um: er wird Zeuge eines Mordes und erhält mysteriöse Drohbriefe eines Unbekannten. Als die Zahl der Beerdigungen sprunghaft ansteigt, Stefano von düsteren Visionen und seiner Reisebekanntschaft Sandra (Stefania Casini) heimgesucht wird und der ‚Sanctus Spiritismus‘ durch die Gemäuer weht, werden die SCHATTEN DES TODES immer länger – die Kirchturmglocke läutet zur letzten Ölung.
Zum wiederholten Male in der Filmgeschichte ist es ein Diener des Herrn, dem Ungemach ins Gotteshaus steht. Im katholisch geprägten Italien eine Instanz, steht Pfarrer Don Paolo im Zentrum des Geschehens. Drohbriefe in der Sakristei, Innereien hinter der Kredenz, okkulte Umtriebe in der Gemeinde. Craig Hill, bekannt aus diversen Italowestern, liefert als leidgeprüfter Würdenträger eine der besten Performances seiner Karriere ab. Lino Capolicchio als gleichzeitiger Jäger und Gejagter seiner unheilschwangeren Visionen weiß zu gefallen, ebenso auch Stefania Casini, deren kühle Kunsthistorikerin sich in die Liga einer Dario Nicolodi spielt.
Ständig pendelnd zwischen performativen Sequenzen und dialoglastiger Reflektion, entwirft Bido eine beeindruckende Wellenförmigkeit der Spannungsdramaturgie. Dass die explosiv eingesetzten Mordsequenzen von Bido bewusst zurückgenommen inszeniert werden und großteils auf blutige Körperzerstörungen verzichten, mag die Gorehounds etwas enttäuschen. Es zeigt aber, dass der Film umso mehr auf inhaltlicher Ebene funktioniert, nicht einer Nummernrevue an Gewalttaten gleicht und sich tatsächlich rühmen kann, eine logische und abschließend erklärte Geschichte vorweisen zu können. Weit entfernt von selbstzweckhaften Schmaddereien zeigt der Regisseur, dass eruptive Gewalt im Thriller für ihn lediglich Entladung einer erzählten Storyline ist und sich daraus ergibt. Ein durchaus kühnes Unterfangen, wenn man bedenkt, wie zeitgleich einige seiner Kollegen die Stellschrauben des Zeigbaren immer weiter anzogen.
Bido gestaltet zusammen mit dem Kameramann Mario Vulpiani effektvolle Bilder, die Spannungssequenzen arbeiten neben Reißschwenks und Achsenschnitten sowohl mit Slow Motion-Einschüben als auch mit effektiven Freeze Frames. Die venezianischen Handlungsorte zeigen sich in der Nachsaison oft menschenleer und überaus naturalistisch; eine immer leicht diesige Optik wird kaum aufgebrochen, die nasskalte Atmosphäre kriecht förmlich aus dem Bild heraus. Pittoresk geht es zu, alles wirkt vermodernd und verfaulend.
Bidos Film, dessen nach IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA (STIMME DES TODES, 1977) erst zweite Regiearbeit dies darstellt, ist gespickt mit Allegorien, negativen Konnotationen und Verbindungen zu anderen Klassikern des Giallogenres. Fast wäre man geneigt, SOLAMENTE NERO zu einem gut arrangierten Potpourri der Genreversatzstücke abzuqualifizieren – doch nichts dergleichen: Antonio Bido ist ein Könner mit viel eigener Inspiration. Seine Inszenierung hat Stil, Hitchcock und Roeg wären stolz gewesen! Nicht zuletzt die famose Schlusssequenz – eine doppelgesichtige Absolution, bei der auf jeden die letzte Hostie wartet – gehört zu den magischen Momenten des römischen Spannungskinos jener Jahre.
Für die wunderbare Musik kollaborierten Stelvio Cipriani und die ungenannt bleibende, legendäre Gruppe Goblin. Beider Stile sind deutlich verifizierbar, geben jedoch ein sehr rundes Gesamtbild ab: Ciprianis Melodien und für ihn typische Discoshuffles vermengen sich dem fetten, an PROFONDO ROSSO (ROSSO – DIE FARBE DES TODES, 1975) gemahnendem Rock der Proto-Funker, deren fiepend-hochtönende Moog-Synthesizerlinien sich keck auf das Gezeigte legen. Der Soundtrack-Release, als CD bei Digitmovies erschienen, ist lange ausverkauft und entsprechend selten zu ergattern. Die in München entstandene Synchronisation offenbart mit Mannen wie Reinhard Glemnitz, Franz Rudnick, Rainer Basedow, Niels Clausnitzer und Herbert Weicker zudem echte Legenden, ist stimmungsvoll gemacht und äußerst passend.
Bereits vor Jahren als BLUTIGER SCHATTEN auf DVD veröffentlicht, präsentiert X-Rated nun unter dem Titel SCHATTEN DES TODES eine Neuauflage, die es in sich hat: Kernstück ist ein frischer HD-Transfer, der den Film in bester Qualität abbildet und prächtig anzuschauen ist – Schärfe, Detailreichtum und Kontrastierung zeigen sich in sehr guter Verfassung. Innerhalb des mit zwei Covervarianten lieferbaren Mediabooks erlebt der Film gar auf Blu-ray seine weltweite Erstveröffentlichung, neben der deutschen Vertonung ist auch der italienische Originalton enthalten. Das umfangreiche Bonusmaterial umfasst, neben den üblichen Dreingaben wie Trailern, oder Bildergalerien, einen erhellenden und kenntnisreichen Audiokommentar von Marcus Stiglegger – das opulente „Tenebrarum“-Booklet offenbart zusätzlich eine detaillierte und Querverbindungen aufzeigende Filmanalyse von Martin Beine. Tipp für die Erstsichter: sowohl Audiokommentar als auch Booklet sollte man aufgrund der Spoiler erst nach dem Filmgenuss goutieren.
Mag man von Oliver Nödings These, dass ein in Venedig spielender Film nie wirklich schlecht sein kann, halten was man will – in diesem Fall trifft es voll und ganz zu. SOLAMENTE NERO ist elegantes, italienisches Thrillerkino, abgeschmeckt mit allen Ingredienzen des Genres, verpackt in stilvolle Bilder, garniert mit stimmungsbepackter Musik. Alles einsteigen zur Abendmesse: der Gondoliere bringt Sie hin!
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Solamente Nero, Italien 1978, R: Antonio Bido, D: Lino Capolicchio, Stefania Casini, Craig Hill, Massimo Serato, Juliette Mayniel, Laura Nucci
Anbieter: X-Rated