Von Matthias Ehrlicher
Wie so oft bei Filmen von Christian Petzold ist der Plot schnell erzählt und wie immer bei ihm versteckt sich hinter einer schlanken Geschichte die ganze Welt.
Nelly (Nina Hoss) hat Auschwitz mit schweren Gesichtsverletzungen überlebt. Zurück in Berlin, macht sie sich auf die Suche nach ihrem Mann. Als sie ihn findet, erkennt er sie nicht wieder. Zum einen, weil er sie für tot hält, zum anderen, weil die plastische Operation ihr Gesicht nicht authentisch wiederhergestellt hat. Doch eine gewisse Ähnlichkeit hat Johnny (Roland Zehrfeld) doch entdeckt. Also schlägt er Nelly vor, sich als seine Frau auszugeben, um so an ihr Erbe zu kommen. Nelly soll Nelly spielen. Wie, das bringt er ihr bei. An einem alten „unveränderlichen Kennzeichen“ und einem neuen wird er sie dann in der grandiosen Schlussszene dieses herausragenden Filmes doch erkennen.
Petzold und der leider verstorbene Dokumentarfilmer Harun Farocki haben sich für ihr Drehbuch des Romans von Hubert Monteilhet „Der Asche entstiegen“ als Vorlage bedient. Der „Phönix“ aus der griechischen Mythologie ist ein Vogel, der am Ende seines Lebens aus seinem Kadaver oder aus Asche wieder neu entsteht. Für die Christen ist er ein Sinnbild für die Wiederauferstehung nach dem Tod. Das ist auch eines der Kernthemen, um die sich Christian Petzolds wohl bisher bester Film dreht. Die anderen Großthemen sind die Frage nach Identität und dem Leben in Deutschland „davor“, „danach“ und „dazwischen“.
Nellys Wiederauferstehung beginnt im Krankenhaus. Hier bietet ihr der Arzt mehrere Möglichkeiten ihres späteren Aussehens an. Doch sie will wieder so aussehen wie vorher. Das sei medizinisch schwierig, wird sie gewarnt, und psychologisch wäre eine neue Identität vielleicht auch hilfreich. So könne sie ein neues Leben anfangen. Doch Nelly will ihr altes Gesicht zurück. Das, was ihr geraubt wurde. Sie will nicht „neu“ sein. Keine plastische „Stunde Null“.
An dieser Stelle sei einmal ausdrücklich die tolle Leistung der Maskenbildner Barbara Kreuzer und Alexandra Lebedynski gewürdigt, Frau Hoss´ Aussehen neu und zugleich gemacht erscheinen zu lassen. Auch Michael Mertens spielt diesen Arzt endlich einmal wunderbar schlank und nicht wie üblich mahlend manieriert. Er scherzt, dass da draußen jetzt wohl viele rumlaufen, die sich ein neues Gesicht wünschen.
Wir bekommen Nellys zerstörtes Gesicht nicht zu sehen, erst als sie fast ganz wiederhergestellt ist und in den Trümmern ihres alten Hauses steht, bekommen wir sie „zu Gesicht“. Das heißt aber auch, dass wir dem Opfer, erst als es für uns zumutbar ist, ins Gesicht sehen. Das Opfer versteckt sich vor uns. Erst unter Bandagen, dann hinter einem Schleier. Doch auch für Nelly ist das neue Gesicht eine Zumutung. Für sie ist es nicht ihr altes. „Das bin nicht ich“ wird sie zu ihrer Freundin Lene (Nina Kunzendorf) sagen. Für Nelly passt ihr Aussehen noch nicht zum Rest von ihr. Ein Sinnbild für Nellys „Wiederaufbau“ nach den Qualen im KZ, wie auch für das ganze Land nach dem entfesselten Terror. Die Frage nach der Identität durchdringt dieser Film in allen nur erdenklichen Facetten.
Nelly sucht ihren Mann Johnny. An ihn und ihre Liebe zu denken hat sie das KZ überleben lassen. Der Zuschauer sieht ihn erstmals als er bei den Besatzungsbehörden versucht, Dokumente über sich verschwinden zu lassen. Nach einiger Zeit spürt die ehemalige Sängerin Nelly ihren Mann in einer amerikanischen Tanzbar auf. Er erkennt sie nicht. Es ist bombastisch, wie Nina Hoss diesen Moment des Entsetzens und der Verzweiflung spielt. Ihre Figur steht in diesem Lokal, wo gesungen, musiziert, getanzt wird. Das war einmal ihre gemeinsame Welt, damals und jetzt ist da die Liebe ihres Lebens und erkennt sie nicht. Die Gestaltung dieser Figur ist wohl das beste, was Nina Hoss (ihre Theaterarbeit mal ausgeklammert) bisher gezeigt hat. Zu ihren Fähigkeiten, innere Vorgänge glaubhaft zu zeigen, kommt hier hoch ein grandioses Maskenspiel hinzu. Das ist große Schauspielkunst.
Die Figur Nelly wird später zu ihrer Freundin Lene sagen, in dem Moment, als Johnny sie nicht erkannte, sei sie ein weiteres Mal gestorben. Aber sie will leben. Deshalb nimmt sie Johnnys unmögliches Angebot an, der doch gewisse Ähnlichkeiten zu seiner Frau an seiner Frau entdeckt hat, diese zu spielen, damit sie sich deren Erbe teilen können. Ihre ganze Familie wurde ausgelöscht. Daher das Erbe, auf das Johnny glaubt Anspruch zu haben. Bisher hält außer Lene alle Welt Nelly ebenfalls für tot. Er probt mit Nelly, Nelly zu sein. Wie sie zu gehen, zu schreiben, sich zu schminken hat. Und sie macht das mit. Auch als sich der Verdacht erhärtet, dass es Johnny war, der sie an die Nazis verraten hat, kann sie nicht von ihm lassen. Sie will selbst entscheiden, wer, warum und wie schuldig ist.
Für ihre Freundin Lene, herausragend gespielt von Nina Kunzendorf, gibt es nur noch Tote und Nazis. Die Möglichkeit zu differenzieren, hat sie verloren. Ihr einziger Traum, ihre Art der „Auferstehung“ ist es, mit Nelly nach Palästina zu gehen und einen jüdischen Staat aufzubauen. Sie denkt in den Kategorien Schuld, Schande, Verrat. Nelly in der „kleinen“ persönlichen Liebe. Dazu ist Lene nicht mehr in der Lage. Sie wollte Nelly retten, auch für sich selbst. Nun macht genau das der Verräter Johnny. Aus den gleichen Motiven. Beiden geht es nur bedingt um Nelly. Deshalb übergibt Lene Nelly Unterlagen über ihren Mann, die ganz am Schluss des Films Johnnys Traum zerplatzen lassen. Nach ihrem Freitod wird in Lenes Abschiedsbrief stehen, dass ihr inzwischen die Toten näher standen als die Lebenden. Sie will ihr Leben nicht mehr von den Nazis bestimmen lassen.
Auch Nelly will nicht mehr das sein, was andere aus ihr machen wollen. Sie will keine Jüdin sein, nur weil die Nazis sie so gesehen haben, und sie will nicht für Lene nach Palästina. Sie will wieder sie selbst werden und das lernt sie durch den perfiden Plan ihres Manns. Er hilft ihr ungewollt, zu ihrer eigenen Identität zu finden. Sie stellt sich ihren Erinnerungen, den guten und den schlechten. Dafür nimmt sie diese ganze Tortur der Inszenierung auf sich. In Johnnys Plan soll sie – die KZ- Überlebende! – im schicken Sommerkleidchen, geföhnt, geschminkt und in Pariser Nobelschuhen aus dem Zug vor ihre Freunde von damals treten. Sie versucht noch zu intervenieren, dass ihr das doch keiner glaubt, schließlich kommt sie aus dem Lager. Doch Johnny lässt das nicht gelten. Die Freunde wollen nicht das Opfer sehen, sondern die Wiederauferstandene, den Phoenix. Und nach dem Lager fragt sowieso keiner. Das Opfer soll erneut geopfert werden, für die Überlebenden. Keine Zeit der Reflektion, sondern des Vergessens. Nur Nelly stellt Fragen und keine wird wirklich beantwortet. Sie geht nach vorne, die anderen zurück.
Petzold und seine Kammermann Hans Fromm inszenieren einen der faszinierendsten und bedrückendsten Filme über diese Zeit. Auch, weil sie auf Bildopulenz der Zerstörung verzichten. Sie schicken keine Hundertschaften von Statisten durch die Ruinen oder verwenden Originalaufnahmen zur Förderung der „Authentizität“. Sie bleiben hautnah an den Figuren und erzählen uns über deren Geschichte die Zeit. Der Umgang mit den großen Themen gelingt allen Beteiligten herausragend. Petzolds Johnny-Figur beinhaltet all das, was uns Nachgeborenen an dem Verhalten der Nachkriegs-Deutschen so gleichermaßen abstößt wie ratlos macht. Und Roland Zehrfeld verkörpert das souverän. Die Schuld ist allgegenwärtig. Als Nelly Johnny gegenüber den falschen Namen „Rachel“ angibt, erwidert dieser nur, dass es nicht mehr viele mit diesem Namen gibt. Johnny will für sich ein neues Leben und tilgt über die Nelly-Rekonstruktion die Nazizeit und damit seine Schuld. Er braucht das Leben „vorher“, um eines „nachher“ zu bekommen. Dafür wird das „dazwischen“, das eigene und das der anderen ausgeblendet. Mit den Trümmern weggeräumt. Der Mörtel wird von den alten Steinen geklopft, um neu aufzubauen. Wie die Erinnerungen.
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Phoenix, BRD 2014, R: Christian Petzold, D: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf, Uwe Preuss, Michael Maertens, Valerie Koch, Nikola Kastner, Imogen Kogge, Eva Bay, Daniela Holtz, Sofia Exss, Kirsten Block, Jeff Burrell, Megan Gay, Max Hopp
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