Von Matthias Ehrlicher
Wie so oft bei Filmen von Christian Petzold ist der Plot schnell erzählt und wie immer bei ihm versteckt sich hinter einer schlanken Geschichte die ganze Welt.
Petzold und der leider verstorbene Dokumentarfilmer Harun Farocki haben sich für ihr Drehbuch des Romans von Hubert Monteilhet „Der Asche entstiegen“ als Vorlage bedient. Der „Phönix“ aus der griechischen Mythologie ist ein Vogel, der am Ende seines Lebens aus seinem Kadaver oder aus Asche wieder neu entsteht. Für die Christen ist er ein Sinnbild für die Wiederauferstehung nach dem Tod. Das ist auch eines der Kernthemen, um die sich Christian Petzolds wohl bisher bester Film dreht. Die anderen Großthemen sind die Frage nach Identität und dem Leben in Deutschland „davor“, „danach“ und „dazwischen“.
Nellys Wiederauferstehung beginnt im Krankenhaus. Hier bietet ihr der Arzt mehrere Möglichkeiten ihres späteren Aussehens an. Doch sie will wieder so aussehen wie vorher. Das sei medizinisch schwierig, wird sie gewarnt, und psychologisch wäre eine neue Identität vielleicht auch hilfreich. So könne sie ein neues Leben anfangen. Doch Nelly will ihr altes Gesicht zurück. Das, was ihr geraubt wurde. Sie will nicht „neu“ sein. Keine plastische „Stunde Null“.
An dieser Stelle sei einmal ausdrücklich die tolle Leistung der Maskenbildner Barbara Kreuzer und Alexandra Lebedynski gewürdigt, Frau Hoss´ Aussehen neu und zugleich gemacht erscheinen zu lassen. Auch Michael Mertens spielt diesen Arzt endlich einmal wunderbar schlank und nicht wie üblich mahlend manieriert. Er scherzt, dass da draußen jetzt wohl viele rumlaufen, die sich ein neues Gesicht wünschen.
Nelly sucht ihren Mann Johnny. An ihn und ihre Liebe zu denken hat sie das KZ überleben lassen. Der Zuschauer sieht ihn erstmals als er bei den Besatzungsbehörden versucht, Dokumente über sich verschwinden zu lassen. Nach einiger Zeit spürt die ehemalige Sängerin Nelly ihren Mann in einer amerikanischen Tanzbar auf. Er erkennt sie nicht. Es ist bombastisch, wie Nina Hoss diesen Moment des Entsetzens und der Verzweiflung spielt. Ihre Figur steht in diesem Lokal, wo gesungen, musiziert, getanzt wird. Das war einmal ihre gemeinsame Welt, damals und jetzt ist da die Liebe ihres Lebens und erkennt sie nicht. Die Gestaltung dieser Figur ist wohl das beste, was Nina Hoss (ihre Theaterarbeit mal ausgeklammert) bisher gezeigt hat. Zu ihren Fähigkeiten, innere Vorgänge glaubhaft zu zeigen, kommt hier hoch ein grandioses Maskenspiel hinzu. Das ist große Schauspielkunst.
Die Figur Nelly wird später zu ihrer Freundin Lene sagen, in dem Moment, als Johnny sie nicht erkannte, sei sie ein weiteres Mal gestorben. Aber sie will leben. Deshalb nimmt sie Johnnys unmögliches Angebot an, der doch gewisse Ähnlichkeiten zu seiner Frau an seiner Frau entdeckt hat, diese zu spielen, damit sie sich deren Erbe teilen können. Ihre ganze Familie wurde ausgelöscht. Daher das Erbe, auf das Johnny glaubt Anspruch zu haben. Bisher hält außer Lene alle Welt Nelly ebenfalls für tot. Er probt mit Nelly, Nelly zu sein. Wie sie zu gehen, zu schreiben, sich zu schminken hat. Und sie macht das mit. Auch als sich der Verdacht erhärtet, dass es Johnny war, der sie an die Nazis verraten hat, kann sie nicht von ihm lassen. Sie will selbst entscheiden, wer, warum und wie schuldig ist.
Auch Nelly will nicht mehr das sein, was andere aus ihr machen wollen. Sie will keine Jüdin sein, nur weil die Nazis sie so gesehen haben, und sie will nicht für Lene nach Palästina. Sie will wieder sie selbst werden und das lernt sie durch den perfiden Plan ihres Manns. Er hilft ihr ungewollt, zu ihrer eigenen Identität zu finden. Sie stellt sich ihren Erinnerungen, den guten und den schlechten. Dafür nimmt sie diese ganze Tortur der Inszenierung auf sich. In Johnnys Plan soll sie – die KZ- Überlebende! – im schicken Sommerkleidchen, geföhnt, geschminkt und in Pariser Nobelschuhen aus dem Zug vor ihre Freunde von damals treten. Sie versucht noch zu intervenieren, dass ihr das doch keiner glaubt, schließlich kommt sie aus dem Lager. Doch Johnny lässt das nicht gelten. Die Freunde wollen nicht das Opfer sehen, sondern die Wiederauferstandene, den Phoenix. Und nach dem Lager fragt sowieso keiner. Das Opfer soll erneut geopfert werden, für die Überlebenden. Keine Zeit der Reflektion, sondern des Vergessens. Nur Nelly stellt Fragen und keine wird wirklich beantwortet. Sie geht nach vorne, die anderen zurück.
Petzold und seine Kammermann Hans Fromm inszenieren einen der faszinierendsten und bedrückendsten Filme über diese Zeit. Auch, weil sie auf Bildopulenz der Zerstörung verzichten. Sie schicken keine Hundertschaften von Statisten durch die Ruinen oder verwenden Originalaufnahmen zur Förderung der „Authentizität“. Sie bleiben hautnah an den Figuren und erzählen uns über deren Geschichte die Zeit. Der Umgang mit den großen Themen gelingt allen Beteiligten herausragend. Petzolds Johnny-Figur beinhaltet all das, was uns Nachgeborenen an dem Verhalten der Nachkriegs-Deutschen so gleichermaßen abstößt wie ratlos macht. Und Roland Zehrfeld verkörpert das souverän. Die Schuld ist allgegenwärtig. Als Nelly Johnny gegenüber den falschen Namen „Rachel“ angibt, erwidert dieser nur, dass es nicht mehr viele mit diesem Namen gibt. Johnny will für sich ein neues Leben und tilgt über die Nelly-Rekonstruktion die Nazizeit und damit seine Schuld. Er braucht das Leben „vorher“, um eines „nachher“ zu bekommen. Dafür wird das „dazwischen“, das eigene und das der anderen ausgeblendet. Mit den Trümmern weggeräumt. Der Mörtel wird von den alten Steinen geklopft, um neu aufzubauen. Wie die Erinnerungen.
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Phoenix, BRD 2014, R: Christian Petzold, D: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf, Uwe Preuss, Michael Maertens, Valerie Koch, Nikola Kastner, Imogen Kogge, Eva Bay, Daniela Holtz, Sofia Exss, Kirsten Block, Jeff Burrell, Megan Gay, Max Hopp
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