British Psycho

Wir schreiben das Jahr 1997. Die einst so stolze englische Musikwelt wird dominiert von stampfendem kontinentaleuropäischem Techno, stupiden Spice-Girls-Verschnitten, Gangsta Rap und einer geschmacklosen Sorte Indiemusik, die sich’s in ihrem Wehklang zufrieden eingerichtet hat. Doch das Business brummt – und noch klagt niemand über Verluste wegen illegaler Downloads. Der Yuppieismus hat das Geschäft definitiv erreicht: Der junge A&R-Manager Steven Stelfox (Nicholas Hoult) scoutet Bands und Musiker und sucht den finanziellen Erfolg. Und nur den. Mit welchem Musikstil oder welchem Interpreten ist ihm dabei gleichgültig – denn Musik interessiert ihn nicht. Nur die Verkaufszahlen zählen.

KILL-YOUR-FRIENDS-INTL-POST Was in John Nivens Roman von 2005 nur wenige Jährchen zurück lag, damals aber schon einen amüsanten Nineties-Touch aufwies, eröffnet heute den Blick auf ein durch und durch bescheuertes Jahrzehnt. Das macht die Verfilmung von Owen Harris umso amüsanter. Wie da eine vulgäre, Tic-Tac-Toe-mässige Frauenband ohne jegliches Talent zusammengesetzt und in die Charts katapultiert wird, zeigt geradezu symbolisch das Herunterwirtschaften der populären Musik. In seiner Perversion aber aus heutiger Sicht ebenso nachvollziehbar. Die Welt ist seither nicht kulturbeflissener geworden.

Doch die Musik liefert nur das grelle Hintergrundrauschen für Stelfox. Stelfox geht es um die Karriere. Die verfolgt er skrupellos. Er schaltet seine größten Widersacher auf den bald frei werdenden Posten des A&R-Chefs seiner Company beim gemeinsamen Absturz zu Hause aus: sie saufen, schlucken Drogen. Dann lässt er den zugedröhnten „Freund“ CDs fressen und irgendwann pisst er ihm einfach über den Kopf. Wer einen andern so markiert, wird die Oberhand haben. Stelfox’ Skrupellosigkeit entspricht der Direktheit und Vulgarität der Zeit, feingeistigere Gemüter scheinen nicht mehr gefragt. Darum kotzen ihn die Lazies an, eine Band, die voller Ehrlichkeit an ihre Musik glaubt und ein Management sucht, das sie aus idealistischen Absichten unter Vertrag nimmt.

Doch bevor der große Kampf um die Nachfolge des A&R-Bosses wirklich losgeht, landet Stelfox erst mal im Flugzeug nach Nizza. Das Ziel: die MIDEM in Cannes, die internationale Musikmesse, die jeden Januar stattfindet. Stelfox klatscht jeden der Irren im Flugzeug ab, denn das ganze Businessvolk sitzt im gleichen Flieger. „Ein Absturz der Maschine hätte verheerende Auswirkungen auf Londons Kokain-, Prostitutions- und Privatclubgewerbe“, steht in Nivens Buch. Dort in Cannes geht es auch ab: Essen mit dem vollgekoksten Drum & Bass Star, der sein Aufnahmebudget bereits um mehrere Millionen überzogen hat, aber noch keinen graden Song auf die Reihe gekriegt hat. Dazu Drogen, Alkohol und Empfänge. Und natürlich will Stelfox sich den erfolgversprechendsten Song der ganzen MIDEM unter den Nagel reißen.

KILL-YOUR-FRIENDS-3 Ausgerechnet aus Deutschland soll der heißeste Scheiß kommen. Was amüsant ist, denn tatsächlich wurde die Überlegenheit und Dominanz britischer Popproduktion in den 90ern durch Kontinentaleuropäer gebrochen, insbesondere auch durch Deutsche. Plötzlich dominierten Bands wie 2 Unlimited, Snap, Scooter auch die britischen Charts. Stelfox entdeckt einen „Kraut“ der Mischung Supermax/Scooter. Rudi ist unglaublich durchgeknallt deutsch-gruslig und stupide – kongenial dargestellt von Moritz Bleibtreu. Rudi hat nicht nur extrem leichtbekleidete Tussen im Hotelzimmer, die ihn anhimmeln und umschmeicheln, er hat auch den Song, der von mehreren A&R’s als das Ding des Jahres angesehen wird.

Aus dem stupid-stampfenden Tanzbeat lässt sich das Hitpotenzial allerdings nicht zwingend erschließen – bis der Gesang einsetzt. Die eine Zeile Gesang, die den Track zum Juwel macht: „WHY DON’T YOU SUCK MY FUCKING DICK!“ Stelfox ist perplex, sein Junior-A&R Darren (Craig Roberts) angewidert. Überzeugt sind sie beide erst, als die ganze A&R-Meute samt Tross in den Nightclubs von Cannes dazu ausflippt – und als Stelfox am nächsten Tag erfährt, dass auch Konkurrent Parker-Hall an Rudi dran sein soll. Ein verzweifelter Anruf, und er erwirbt die Rechte am Song völlig überteuert.

Zurück in London entwickeln sich die Dinge zum Schlechten. Rudis Dancetrack verfängt überhaupt nicht in England. Die von Darren und Stelfox’ Sekretärin Rebecca (Georgia King) ständig empfohlenen Lazies vergrault er mit seiner unsensiblen Art bei einem Nachtessen – Konkurrent Parker-Hall (Tom Riley), der bereits mit seinem Zögling Ellie Crush die Brit Awards dominierte, signt die kometenhaft aufsteigenden Lazies. Und schließlich recherchiert ein unangenehmer Detektiv den Mord an Stelfox’ A&R-Kumpel – der in einer weiteren drogengetränkten Nacht von Stelfox emotionslos massakriert wurde. Und das Morden geht weiter, kombiniert mit Drogen und Sex.

KILL-YOUR-FRIENDS-1 So gebärden sich Buch wie Film vordergründig als schräge, witzige Neuauflage von AMERICAN PSYCHO. Das stimmt jedoch nur bedingt: Zwar scheint Stelfox genau so dekadent durch die Welt zu irren, zu ficken und zu morden, aber im Gegensatz zu Patrick Bateman aus Brett Easton Ellis’ Roman wird hier nicht aus einem warenverbrauchsfetischistischen Gebahren gemordet, sondern lediglich als Abkürzung der Karriereleiter. Konkurrenten ausschalten, (Karriere-) Probleme aus der Welt schaffen. Oder einfach gesagt: Stelfox geht für den Erfolg über Leichen.

Viele der überaus witzigen Pointen der Buchvorlage bleiben auch im Film erhalten. KILL YOUR FRIENDS ist dabei ein typisch britischer Film, so, wie üblicherweise Irvine Welsh-Romane verfilmt werden. Denn die sind ja längst ein (britisches) Filmgenre, begründet von Danny Boyles TRAINSPOTTING und Filmen wie LOCK, STOCK AND A SMOKING BARREL, deren Stil auch ein Guy Ritchie in seinen besten Zeiten gefrönt hat. Definiert durch Übertreibungen der Realität, leichte Verschachtelungen der Chronologie und vor allem eine Hauptperson, die als Ich-Erzähler fungiert und dabei die Erzählung auch mal rasch „verlässt“, um direkt zu uns Zuschauern zu sprechen. Damit lassen sich Brechtsche Effekte erzielen und der Film erhält seine Adelung als „Arthouse“-Film, obwohl er seinen Witz aus dem unglaublich drastischen Lebensstil der agierenden Personen bezieht. Anyway: wie Jon S. Bairds Film FILTH (DRECKSAU) aus dem Jahr 2013 gebärdet sich auch KILL YOUR FRIENDS wie eine Very Long Version des drastischen Prodigy-Musikvideos SMACK MY BITCH UP. Aber eine überaus gut beobachtete und wirklich witzige Version.

Ein Fast Must-See.

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Kill your friends, England 2015, Regie: Owen Harris. | Produktion: Gregor Cameron, Will Clarke, Len Blavatnik. | Drehbuch: John Niven. | Kamera: Gustav Danielsson. | Musik: Junkie XL. | Mit: Nicholas Hoult, James Corden, Georgia King, Craig Roberts, Jim Piddock, Joseph Mawle, Ed Skrein, Tom Riley, Rosanna Arquette, Moritz Bliebtreu. Laufzeit: 103 Min.