„Denk an was Schönes!“

Als Peter Pan und Hook noch Freunde waren! Das Märchen-Prequel von ABBITTE-Regisseur Joe Wright ist ohne Frage hübsch besetzt (mit „Wolverine“ Hugh Jackman, Rooney „Lisbeth Salander“ Mara, TRON-Star Garrett Hedlund und Newcomer Levi Miller); die eigentliche Attraktion ist jedoch, wie das wilde – und nebenbei bemerkt sehr gut in 3D konvertierte – Abenteuer loszischt, alle Grenzen überwindet und nicht mehr zu stoppen ist – und dabei den Geist großer Klassiker atmet…

pan-poster Als Baby wird Peter von seiner Mutter vor die Tür eines Londoner Waisenhauses gelegt, auch 12 Jahre später hofft er immer noch, dass sie ihn einmal heimholt – stattdessen nehmen ihn die Piraten mit: Inmitten deutscher Bomber des Zweiten Weltkriegs kurvt ihr Segelschiff durch Geschützsalven hindurch, mit Kurs ins Reich der Phantasie – wo ihn ein bitteres Schicksal als Minenarbeiter im Nimmerland erwartet. Denn der grausame Blackbeard braucht den Feenstaub aus dem Gestein, um sich seine Jugend zu erhalten – Peter dagegen will erst gar nicht erwachsen werden. Vor allem will er keinesfalls der Auserwählte sein, vor dem sich Blackbeard so fürchtet. Denn dann würde Peter mit den letzten Feen, die Blackbeard einst im Krieg besiegte, den Kampf gegen ihn aufnehmen…

Das nächste Opfer des Anti-Hypes – des systematischen Runterschreiben eines Films durch erboste Kritiker. Der letzte große Fall war mit LONE RANGER (2013) ein ähnlich extravaganter Film, der die Genres sprengte. Nun hat es also ein Märchen für Kinder und Jugendliche erwischt, was für Erwachsene ja oft nicht einfach ist – wobei hier erschwerend hinzukommt, dass praktisch jeder mit einer der inzwischen zahlreichen Peter-Pan-Verfilmungen aufgewachsen ist (bzw. mit einer Weihnachts- oder Schultheater-Aufführung) und eine spezielle Meinung dazu hat.

pan-1 Wer die unschuldige Verzauberung sucht, hält sich nach wie vor am besten an Walt Disneys legendären Zeichentrickfilm von 1953. Wer die Magie aber auch im ingeniösen, lustvoll-exzessiven Gebrauch neuer Tricktechniken entdecken kann – gepaart mit einigen Crossover-Ideen, der kann mit PAN tatsächlich abheben. Zugegeben, PAN ist prallvoll mit Action, aber es ist nicht die übliche Action, die die Zerstörung zelebriert, sondern die, die Dimensionen überwindet, in andere Welten vordringt und Bekanntes auf den Kopf stellt.

Würde man Burt Lancaster als DER ROTE KORSAR (THE CRIMSON PIRATE) reanimieren, würde er vielleicht nicht nur senkrecht durch die Segel ratschen wie 1952, sondern kopfüber (!) durch den Himmel segeln wie jetzt hier im Jahre 2015. Der gefürchtete Blackbeard, der z.B. in DIE PIRATENKÖNIGIN (ANNE OF THE INDIES) von 1951 so herrlich breitbeinig und mit breitem Grinsen vor sein Publikum latschte, wird hier zum maliziösen Punkrockstar überhöht, der ebenso breitbeinig aufs Geländer grätscht und seine Sklaven mit „Smells Like Teen Spirit“ (von Kurt Cobain) begrüßt. Und wenn über London der Luftkrieg tobt, ertönt der „Blitzkrieg Bop“ (von den Ramones).

pan-3 PAN steckt voller Zitate – und baut dennoch seine ganz eigene, phantastische Welt auf. Man muss nur das Auge dafür haben, man muss gewillt sein, sich mitreißen zu lassen, und vor allem sollte man auch möglichst schwindelfrei sein. Denn wie hier das Geschehen in seinen drei Dimensionen ausgebreitet wird, wie der Spielraum tiefste Tiefen, höchste Höhen und die schräge Diagonale dazwischen zugleich umfasst, und wie überhaupt der menschliche Traum vom Fliegen und die Angst vor dem tödlichen Absturz fast den ganzen Film lang in einfallsreichen Varianten durchdekliniert wird, hat das eine Dynamik und Perfektion, wie man sie nur selten antrifft – zuletzt vielleicht in James Camerons 2009er-Hit AVATAR (auch der diesjährige MAD MAX: FURY ROAD mag einem in den Sinn kommen, allerdings als ebenerdiges Beispiel).

Würde man PAN im Himmel vorführen, würden Fred Astaire und Gene Kelly hier und Burt Lancaster und Douglas Fairbanks sen. dort sicherlich ihren Einfluss erkennen – und sich einen Ast freuen. Genau so wie Buster Keaton seine kreative DNA im LONE RANGER wiedergefunden hätte. Auch wenn es die lebenden Kritiker auf Erden nicht kapieren: PAN ist totale Bewegung, pure Energie, ein Live-Action-Cartoon und ein heimliches Musical zugleich. Nicht einfach ein Film, sondern Kino in seiner reinsten Form.

Erschienen im TV Spielfilm Blog

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Pan, USA / GB / AUS 2015, Regie: Joe Wright | Drehbuch: Jason Fuchs, nach J.M. Barrie | Kamera: John Mathieson, Seamus McGarvey | Musik: John Powell | Mit: Levi Miller, Hugh Jackman, Garrett Hedlund, Rooney Mara, Amanda Seyfried, Nonso Anozie, Adeel Akhtar, Kathy Burke, Lewis MacDougall, Cara Delevingne, Tae-joo Na, Jack Charles | Laufzeit: 111 Min. Verleih: Warner