Marias heiliges Unterhöschen.

Das enfant terrible des japanischen Kinos Sono Sion schuf mit dem im Jahre 2008 entstandenen Epos LOVE EXPOSURE (Ai no mukidashi) sein Opus magnum. Auf Grundlager einer eher einfachen Liebesgeschichte entfacht er einen vierstündigen Bilderrausch als Streifzug durch die japanische Popkultur. Dabei schreckt er auch nicht davor zurück, sich europäischer Kulturelemente zu bedienen und sie nassforsch, durch die japanische Sichtweise gebrochen zu servieren. Das Ergebnis ist eine völlig durchgeknallte Mischung scheinbar gegensätzlicher Elemente, die mal kitschig, mal tragisch, manchmal blutig und meist überraschend daherkommt und dabei eines nie ist: langweilig. LOVE EXPOSURE ist damit einer der kurzweiligsten langen Filme, die man sich zu Gemüte führen kann.

Cover-LOVE Für den streng katholisch erzogenen Yu (dargestellt von Takahiro Nishijima, Sänger in der japanischen J-Pop Formation AAA) stellt die Mutter Gottes die ideale Frau dar. Sein Wunsch, einmal eine Frau zu heiraten, die diesem Ideal schon äußerlich nahe kommt, rückt in greifbare Nähe, als er Yoko begegnet. Zum ersten Mal bekommt er eine Erektion; ein gutes Zeichen. Dumm ist nur, dass Yoko Männer hasst und auf Mädchen steht. Doch das ist noch das geringste Problem für den jungen Mann, der in seinem Freundeskreis Berühmtheit erlangt hat als bester Mädchenschlüpferfotograf (natürlich am „tragenden“ Objekt). LOVE EXPOSURE ist ein Film, der die Augen reiben lässt ob all der Unglaublichkeiten, die visuell überaus virtuos in hoher Schlagzahl präsentiert werden. Wie schon bei SUICIDE CLUB und STRANGE CIRCUS scheut sich Sono nicht, Tabus anzutasten – ob Inzest, Missbrauch, religiöser Wahn, sexuelle Verstümmelung , nichts ist ihm heilig – und das im wahrsten Sinn des Wortes, ist LOVE EXPOSURE bei allem Wahnsinn doch auch ein Werk der Religionskritik, über Sektenwahn und die damit einhergehende Deformation des Individuums. Vor allem aber ist es eine Ode an die Freiheit und ein Loblied auf die Liebe, die jedes Hindernis und jeden Gegensatz zu überwinden vermag. Das Überwinden der Gegensätze gelingt auch dem Film selbst, der all die Antagonismen zu einem homogenen, stimmigen Ganzen verschmilzt. Die Form ist die Botschaft.

LOVE-03 Rapid Eye Movies hat Sonos Meisterwerk nun auf Blu Ray in einer brandneuen HD-Abtastung veröffentlicht. Bild und japanischer Ton sind exzellent, die deutschen Untertitel gut lesbar. Wie die zweiteilige DVD-Special Edition aus gleichem Hause enthält die Blu-ray eine halbstündige Dokumentation über die Entstehung des Films und die Bezüge zu realen Ereignissen, die das Drehbuch entscheidend beeinflusst haben. Das ist schon deshalb nicht uninteressant, da die Momente im Film, die man eher dem Drogenkonsum des Regisseurs zuschreiben würde, in Wirklichkeit auf damals aktuellen Ereignissen und Skandalen in Tokio basieren. Der geneigte Zuschauer wird auch an drei längeren entfallenen Szenen seine Freude habe, die den Charakteren weitere Tiefe verleihen. Neu ist das Booklet in dem sich Filmkritiker Tom Mes dem Filmgeschehen in Form von erfundenen Zeitungsartikeln widmet. Einen wirklichen Erkenntnisgewinn bekommt man dadurch nicht, unterhaltsam ist es jedoch allemal. Ein paar zusätzliche Extras – es gab zum Beispiel einmal einen Bericht über Sono in der Arte-Sendereihe „Tracks“ – hätte man sich schon gewünscht. Alles in allem ist REM dennoch eine würdige, bildqualitativ verbesserte Veröffentlichung dieses modernen, richtungsweisenden Klassikers gelungen.

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Ai no mukidashi, Japan 2008, Regie: Sono Sion, Mit: Hikari Mitsushima, Sakura Ando, Yutaka Shimizu u.a.

Anbieter: Rapid Eye Movies