Von Heiko Hanel
Witold (Studium abgebrochen) und Fuchs (Modebranche, ausgestiegen) laufen durch den Wald und hassen ihn (ist ein Zitat, aber mir ist der Autor entfallen). Witold kniet vor einem erhängten Vogel nieder (es wird nicht das letzte erhängte Wesen in diesem Film sein) und trauert. Ein Sturm kommt auf (auch nicht zum letzten Mal). Beide kehren in eine Pension ein, in der Madame Woytis das Zepter führt. Wenn sie sich aufregt, erstarrt sie für mehrere Minuten. Ihr Mann ist zu nichts weiter gut als unverständlich zu philosophieren und alte Zeiten aufleben zu lassen. Das Dienstmädchen Catherette hat eine seltsam entstellte Lippe und ist angespannt, aber auch begeisterungsfähig. Operieren lassen möchte sie sich nicht. Fuchs ist von ihr fasziniert. Madame Woytis’ Tochter Lena ist wunderschön und wild und leider frisch verheiratet. Von ihr ist Witold fasziniert. In Ellipsen kommt man sich näher. Die Pension und die umgebende (portugiesische) Küstenlandschaft lassen die Protagonisten nicht mehr los, bis irgendwann auch ihnen auffällt, dass sich alles zu wiederholen scheint. Dann tauchen Doppelgänger auf.
COSMOS ist ein weiterer Film, den das Tokyo International Film Festival in seiner ziemlich gut ausgesuchten Europäischen Filmreihe zeigte. Nachdem das einstige Enfant terrible Andrzej Zulawski seit 15 Jahren keinen Film mehr gedreht hat und sein letztes Opus LA FIDÉLITÉ schwer, ernsthaft und leidenschaftlich war, erstaunt COSMOS insofern als, dass er leicht, spielerisch und leidenschaftlich ausfällt. Er taugt jedenfalls nicht als Testament, wie Harvey Keitel als alternder Regisseur in Sorrentinos YOUTH sein letztes scheiterndes Filmprojekt nennt, kurz bevor seine einstige Muse ihn durch den fundierten Verriss seiner letzten 5 Filme in den Selbstmord treibt. Nein: Zulawski steigt hier zwar einerseits ganz tief in eine hermetisch repetitive Reflexion über Leidenschaft, Grausamkeit und nutzlose Bildung ein, überflutet den Zuschauer aber gleichzeitig mit unglaublich viel Humor im Dialog und der Choreografie. COSMOS ist ständig in Bewegung. Kamera, Musik und Schnitt verhelfen dem Film zu einer Atemlosigkeit, die durch endlose Gespräche weiter beschleunigt wird. Selten wurde in einem Film so viel geredet. Selbstgespräche, Rededuelle, angefangene Sätze, Zitate und blanker Unsinn fordern die Konzentration des Zuschauers heraus. Zulawskis Drehbuch basiert auf dem gleichnamigen Roman des polnischen Schriftstellers Witold Gombrowicz, der sich bei der ernsthaften Kritik unbeliebt machte, indem er existenzielle Probleme auf eine sehr unernste Weise schilderte. Und genau das passiert auch hier. Während der gescheiterte Student Witold sich mit seiner hoffnungslosen Liebe zu Lena in einem Film von Bresson wähnt, fragt der weniger gebildete Fuchs unbeschwert: „Luc Bresson?“ Hier braucht man auch als Zuschauer keine Angst vor Bildungsdefiziten zu haben. Es wird sowieso immer zu schnell gesprochen. Und doch lauert unter dieser Masse von Worten und Sarkasmus eine berührende Tragödie, die man Zulawski so gar nicht mehr zugetraut hätte. Visuell führt COSMOS in eine seltsam märchenhafte Naturwelt, deren Abgeschiedenheit und Isolation das unterschwellige Drama noch verstärkt. Und ganz am Ende merkt man, dass COSMOS auch ein Film übers Filmemachen ist. Also vielleicht doch ein Testament?
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Cosmos, Portugal 2015 | Regie und Drehbuch: Andrzej Zulawski | Kamera: André Szankowski | Musik: Andrzej Korzynski | Darsteller: Sabine Azéma, Jean-Francois Balmer, Jonathan Genet, u.a | Laufzeit 103 Min., noch kein deutscher Verleih