Das vornehmlich britische Horrordrama gilt als Flop, deswegen läuft es kaum irgendwo, selbst die Zahl der Fans von Daniel Radcliffe reicht nicht hin und nicht her. Offiziell kennt man alles, das soll der Grund für die Ablehnung sein. Tatsächlich kann’s auch ein bisschen am Subtext liegen, denn was die Männer hier im Dunkeln treiben, kann man so und so sehen…
Das viktorianische London im 19. Jahrhundert: Ein junger Buckliger ohne Namen spielt im Zirkus den Clown. Bis ihn der angehende Arzt Victor Frankenstein als das medizinische Naturtalent erkennt, das er tatsächlich ist. Frankenstein befreit den vermeintlichen Freak aus seiner Leibeigenschaft, gibt ihm ein neues Zuhause, verleiht ihm einen Namen – Igor Straussman – und nutzt dessen geschickte Hände, um die Organe toter Tiere wieder funktionstüchtig zu machen: Frankenstein will neues Leben schaffen, und nichts in der Welt – oder im Himmel darüber – kann ihn davon abbringen. Nicht die zaghaften Bedenken von „Igor“, und auch nicht die impertinenten Nachstellungen von Scotland-Yard-Inspektor Turpin, der einen Zirkusmord zu klären hat, beide Verdächtigen wiedererkennt und nun wissen will, welche abseitigen Dinge sie wohl im Keller treiben.
Als Frankenstein seine tierische Kreatur Gordon am königlichen Kolleg präsentiert, löst er einen bluttriefenden Skandal aus – erregt aber auch das Interesse des jungen, schwerreichen Schnösels Finnegan Weyland, der Frankensteins Arbeit hinfort finanziert. Während Igor nebenbei seiner Liebe zur höchst lebendigen Ex-Trapezkünstlerin Lorelei frönt, kniet sich Frankenstein immer tiefer in das hinein, was ihn eigentlich treibt: Leben aus dem Tod zu erschaffen, vor allem menschliches Leben…
Die neueste Interpretation des Frankenstein-Mythos ist weder gut noch schlecht, sogar sehr schön gemacht, mit tollen Sets, leider lahm inszeniert, unentschieden erzählt, und der alten Story fügt sie auch nichts wirklich Neues hinzu – der Gimmick, die ganze Chose erstmals aus der Sicht des Assistenten zu erzählen, bringt keine neue Einsichten. Die Filmemacher wissen das auch sehr genau, lassen sie Erzähler Igor doch die Geschichte mit den Worten „Ihr kennt die Geschichte…“ ein- und ausführen.
Igor, der in vormaligen Verfilmungen (z.B. von James Whale oder Mel Brooks) ein Klotzkopf oder Idiot war, wird hier zur klugen, gewissenhaften anderen Hälfte seines Meisters; Frankenstein selbst ist ein hochfliegender Besessener ohne Moral und soziale Kompetenz, er begeistert sich in einer Weise für die Geburt neuen Lebens ohne den weiblichen Schoß und schwadroniert so hemmungslos über Kübel voller Sperma, dass die feinen Damen im Club nervös auf dem Löffel zu kauen beginnen. Abgesehen vom offiziellen, eher lustlos eingeflochtenen, durch kleine Flashbacks illustrierten Bruderdrama enthält der Film eine viel hübschere schwule Suberzählung:
Eigentlich ist Igor die neue, große Liebe in Frankensteins Leben (der Herr ist gänzlich unbeweibt) – wie er ihn vom Buckel befreit und ins Stützkorsett zwingt, ist wie eine schwule Vergewaltigung inszeniert, und im letzten Satz des Films feiert er ihn mit den Worten „Du bist und bleibst meine größte Schöpfung!“ Frankensteins wahre Sehnsucht gilt allerdings seinem toten Bruder Henry, den er neu erschaffen will – und es doch nicht kann. Prometheus ist sein monströser Über-Bruder, sein Dreamboy – und der totale Alptraum. Wie Frankenstein am bösen Ende unter diesem muskulösen Fleischklops liegt und fast zerquetscht wird, tendiert ins Pornografische.
Wer’s noch immer nicht glauben will: Erinnert sich noch jemand an John Hughes Teenieklamotte L.I.S.A. – DER HELLE WAHNSINN (WEIRD SCIENCE) von 1985? Dort, in der Frühzeit der Computerei, entwarfen zwei Knaben am Bildschirm ihre Traumfrau (das Ergebnis in Fleisch und Blut war Kelly LeBrock!). Hier je nun entwerfen zwei Männer einen dritten – einen ganzen Kerl wie aus dem Anatomiebuch! –, und unter heftigen Beigaben von Whiskey geilen sie sich geradezu an ihm auf: Zwei Lungen soll er haben und die Kraft der zwei Herzen – keine Ahnung, was sonst noch doppelt ausfallen könnte… Eine schwule Adoption wäre auf jeden Fall einfacher.
Erschienen im TV Spielfilm Blog.
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Victor Frankenstein GB / USA / Kanada 2015, Regie: Paul McGuigan | Drehbuch: Max Landis, nach Mary W. Shelley | Musik: Craig Armstrong | Kamera: Fabian Wagner | D: Daniel Radcliffe, James McAvoy, Jessica Brown Findlay, Andrew Scott, Charles Dance, Freddie Fox, Callum Turner, Daniel Mays, Guillaume Delaunay, u.a. | Laufzeit: 110 Min., Verleih. 20th Century-Fox