Von Gerd Naumann
Die Leistungen des Regisseurs Gérard Pirès sind außerhalb Frankreichs bislang nicht nennenswert gewürdigt. Hierzulande erreichten vor allem seine leichtfüßigen Actionstoffe, wie etwa TAXI (1998), größere Popularität. Dass er sich aber der Mittel eines Genres bedienen kann, um die Kernaussage desselben aus den Angeln zu heben und ins Gegenteil zu verkehren, das beweist er mit L´AGRESSION (DIE ENTFESSELTEN, 1975). Zur Entstehungszeit war das Genre des so genannten Bikerfilms populär. Diese Filme griffen das Grundmotiv von EASY RIDER (1969), die grenzenlose Freiheit auf den heißen Öfen, auf und reicherten es mit ordentlich Sex und Gewalt an. Aus den nach Unabhängigkeit suchenden Motorradfahrern wurden so mehr und mehr harte Rocker auf heißen Feuerstühlen, die zum sinnbildhaften Bürgerschreck mutierten.
Diese Grundangst greift Pirès mit L´AGRESSION auf. Jean-Louis Trintignant spielt die Hauptrolle des Paul Varlin. Dieser ist mit seiner Frau und der jungen Tochter unterwegs und macht Halt an einer Autobahnraststätte. Dort kommt es zu einer Auseinandersetzung mit jungen Motorradfahrern, die schließlich in einem Autounfall endet. Varlin verliert das Bewusstsein; als er erwacht, findet er Frau und Tochter vergewaltigt und ermordet auf. Die Polizei hat keinen konkreten Anhaltspunkt, die Auseinandersetzung mit den Motorradfahrern lässt sich nicht beweisen. Gemeinsam mit seiner Schwägerin Sarah, gespielt von Catherine Deneuve, macht sich Varlin auf die Suche nach den Angreifern. Er ist sich sicher, dass diese auch für den Tod seiner Familie verantwortlich sind…
L´AGRESSION ist kontroverses Unterhaltungskino. Im Grunde ist der Film eine Studie über die Unberechenbarkeit des Kleinbürgers, bedient sich aber der Motive des Bikergenres. Die Musik von Robert Charlebois zitiert zudem ausgiebig selbiges, sorgt für zusätzliche Konfusion. Die eindringliche Leistung Jean-Louis Trintignants, der den latent aggressiven Bürger spielt, der die innere Unausgeglichenheit auf Randgruppen, hier die Motorradfahrer, projiziert und diese damit unweigerlich herausfordert, ist beispielhaft. Vor einigen Jahren veröffentlichte Subkultur den Film bereits auf DVD, die nun erschienene Blu-ray ist im direkten Vergleich vorzuziehen. Das Bild ist detailreich und filmisch, der zeitgenössische Monoton sowohl in der französischen Originalsprachfassung wie auch der deutschen Synchronfassung dynamisch. Vor allem die exzellente Filmmusik kommt durch den Ton der Blu-ray brillant zur Geltung. Lag der DVD-Edition noch ein Booklet mit einem Essay von Marcus Stiglegger bei, ist dies hier nicht mehr der Fall. Dafür bietet sich die Möglichkeit, auf der Blu-ray eine Tonspur mit der isolierten Filmmusik anzuwählen.
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L´Agression, Frankreich 1975, R: Gérard Pirès, D: Jean-Louis Trintignant, Catherine Deneuve, Claude Brasseur, Philippe Brigaud, Milena Vukotic u.a.
Anbieter: Subkultur