Eine lasziv-romantische Mundharmonikamelodie erhebt sich, grundiert von schmiegsamen E-Piano-Pattern. Als das Schlagzeug die Rhythmik zu einem Jazzwaltz festlegt und Streicher langsam das volle Panorama aufziehen, fängt die Kamera Bilder vom sonnengebadeten San Francisco ein.
Es könnte alles so schön sein. Doch Frisco ist die Welt der La Cosa Nostra, der mächtigen Mafiafamilie um den Paten Don Antonio (Martin Balsam). Es ist eine Stadt, in der Mafia und Polizei gegenseitig durchsetzt sind von Korruption und Machtanspruch – in der Familie lebt und stirbt man; nur aussteigen, das ist nicht drin. Sehr zum Leidwesen von Thomas Accardo (Tomás Milián), dem Patensohn des Don. Thomas hat zwei Jahre gesiebte Luft geatmet und genug von der Familie. Er wird natürlich schweigen, will sich aber mit seiner Freundin (Dagmar Lassander) zur Ruhe setzen. Der Don ist einverstanden. Doch beide haben die Rechnung ohne Kapo Garofalo (Francisco Rabal) gemacht, der Thomas’ Treuebruch zum Anlass nimmt um einen blutigen Krieg anzuzetteln. Während sich die Familie unaufhörlich dezimiert, packt Thomas die Ehre – und gemeinsam mit seinem ‘Vater’ Don Antonio geht er in einer Vendetta zum Gegenangriff über. Denn in der Hölle ist für mehr als ein Dutzend reserviert.
Balsam, Milián, De Martino – ein Triumvirat mit Mission: einen Mafiafilm drehen, der nicht die politische Dimension in den Blick nimmt, sich gleichzeitig jeder Verzierung eines DER PATE (1972) enthält, sondern roh und kantig zeigt, wie ein Bandenkrieg in der Familie abläuft. Diese Mission geht mit IM DUTZEND ZUR HÖLLE vollends auf. De Martino war selten der große Visionär, wusste jedoch stets seine Techniken perfekt für exzellente Genreware einzusetzen – so auch hier. Wie er den Spannungsbogen langsam aufzieht, die Charaktere zeichnet, eine lange Exposition voranstellt; wenn er dann ein Feuerwerk an Action abbrennt, im letzten Drittel den Schauplatz wechselt und in Sizilien noch mal den atmosphärischen Nachbrenner zündet, dann weiß man einen großartigen Handwerker auf dem Regiestuhl. Auch vor der Kamera wird es hochdramatisch, denn Martin Balsam ist wie geschaffen für die Rolle des alternden, etwas gutmütigen Don Antonio. Faszinierend zu betrachten, wenn er dieselbe Ruhe und Abgeklärtheit an den Tag legt, als er reihenweise seine Feinde mit einem Maschinengewehr niedermäht. Tomás Milián, sonst eher für das exaltierte Aufdrehen bekannt, schaltet bewusst einen Gang herunter und zeigt sich von großer Eindringlichkeit; sein nachdenklicher Charakter sitzt ihm wie eine zweite Haut und beweist erneut Miliáns schauspielerische Meisterschaft. Das sich bei diesem Duo die übrigen Darsteller jeden Meter Filmpräsenz erarbeiten müssen, dürfte klar sein. Dass es Heroen wie Rabal, Fajardo oder Tamberlini dennoch gelingt, spricht für die Verve, mit der sie sich ins Bild setzen – lediglich Dagmar Lassander kann aus einer leider sehr eindimensionalen Rolle wenig machen.
Lob muss man wieder einmal dem Kameramann Aristide Massaccesi zollen. Mag man über ihn und seine späteren Werke als Joe D’Amato denken was man will, aber als Bildgestalter kann man ihm IM DUTZEND ZUR HÖLLE posthum als Orden an die Brust heften. Denn wie er den brodelnden Moloch Frisco, den metastasierten Kleinstadtcharakter Siziliens einfängt, hat große Klasse. Oft aus der Hand gefilmt, den Akteuren ganz dich auf den Fersen. Viril und naturalistisch, ohne Schnörkel und völlig ohne Hochglanz. Realismus mit starker Betonung der Brauntöne zu generieren gelingt Massaccesi prächtig – manchmal lässt seine verwaschene Optik an zeitgleich entstandene Blaxploitation-Meisterwerke wie STRASSE ZUM JENSEITS (1972) denken.
Für den überdimensionalen Klangkosmos des Filmes zeichnet Riz Ortolani verantwortlich, der schon DER CLAN, DER SEINE FEINDE LEBENDIG EINMAUERT (1971) mit einem anbetungswürdigen Score versehen hatte. ‘Tomas Theme’ atmet besten ‘More’-Charme und schmeichelt sich in die Gehörgänge der Zuschauer. Für die diversen Actioncues lässt Ortolani dann seine jahrelange Hollywood-Erfahrung auf die Notenblätter wandern, denn so viel Funk und treibende Proto-Disco hat nicht mal Deodato auf die Beine gestellt. Noch dazu klingt die Bläsersektion speziell in den Trompeten bei keinem anderen Italofilmkomponisten so ekstatisch und spitz wie bei Riz. Zum Glück kann man sich das ganze Panorama auf der bei Chris’ Soundtrack Corner erschienenen Soundtrack-CD nach Hause holen.
Innerhalb der in stilechten, roten Amarays verpackten „Polizieschi Edition” erschien vor kurzer Zeit IM DUTZEND ZUR HÖLLE als #007. Beim Bild – das sich erstmals seit der deutschen Kinoaufführung wieder im originalen Breitbildformat präsentiert – muss man in Bezug auf Verunreinigungen und Schärfegrad ein paar kleine Abstriche machen. Allerdings ist die weltweite Materiallage dieses Filmes derart desaströs, dass man es hier mit dem besten derzeit Möglichen zu tun hat. Der deutsche Ton, dem zusätzlich noch der englische Dub beigestellt ist, klingt trotz eines Grundrauschens sauber und verständlich. Innerhalb der überschaubaren, jedoch lobenswerten Bonussektion findet sich der komplette deutsche Aushangfotosatz als Bildergalerie sowie ein Booklet mit zwei Texten: Ulrich Köhler geht auf den Film direkt, Gerald Kuklinski auf die abwechslungsreiche und spannende Karriere des Regisseurs ein. Abgerundet wird mit einer Trailergalerie zu weiteren Filmen aus dem Programm des Anbieters.
Wenn nach dem Finale – das einen die Luft anhalten lässt – der Film ‘zur Ruhe kommt’, ‘ausatmet’ und sich ein letzten Mal die wehmütige Titelmelodie zu ganzer Pracht aufschwingt, dann weiß man wieder einmal, was man sich am italienischen Genrekino vergangener Zeiten für einen Narren fressen kann. Denn IM DUTZEND ZUR HÖLLE ist ein Werk, von dem man weitererzählen sollte und es sich ruhig trauen kann, den alten Grundsatz zu missachten: es bleibt in der Familie!
___________________________________________________________
Il consigliori, I/ES 1973, R: Alberto De Martino, D: Martin Balsam, Tomás Milián, Francisco Rabal, Dagmar Lassander, Nello Pazzafini, Carlo Tamberlani
Anbieter: filmArt