Von Masken und Dämonen.

„You’re loving it!“ – „Let yourself go!“ – „Make it sexier!“ – „You wanna be possessed!“ – „You’re drunk with desire!“ Und vor allem: „Surrender to pleasure!“ – Am Anfang von LE FOTO DI GIOIA, Lamberto Bavas Abhandlung über die Abgründe der Fashionindustrie, stehen Aufforderungen, fast schon Befehle zum Genuss. Ein Mitarbeiter des schlüpfrigen Erotik/Mode-Magazins „Pussycat“ ruft sie einem Model zu, das sich weitgehend nackt und von sternenartigen lens flares übersät in einem Pool räkelt. Am Beckenrand steht außerdem ein Fotograf, der das Ganze festhält – und alsbald offenbart ein Schnitt, dass es noch einen weiteren Beobachter gibt: In einem Nachbarhaus schiebt sich ein phallisches Fernrohr durchs Fenster, durch das, wie in Hitchcocks REAR WINDOW, ein junger Mann im Rollstuhl freilich nicht das Model beobachtet, sondern eine vorläufig noch businesslike angezogene andere Frau, die am Pool sitzt und das Treiben (ebenfalls) beobachtet.

0444_Das_unheimliche_Auge Ein hypervoyeuristisches Setting, an dem sich natürlich auch Bavas Kamera beteiligt, die sich mal mit diesem, mal mit jenem Beobachter gleichmacht und zumindest in den Zeitlupe-Glamour-Shots der Poolnymphe alle Beobachter überbietet, sozusagen zum Supervoyeur wird. Wobei es dem Film ganz und gar nicht darum geht, irgendetwas zu entbergen, was vorher verborgen war. Alles ist auf den ersten Blick sichtbar, alle Frauen wissen, dass sie ständig angeschaut werden. Und alle Männer begnügen sich mit dem Blick. Der Rollstuhljunge ruft sein Objekt der Begierde, das sich bald als die Gioia des Titels und die Chefin des Magazins herausstellt, zwar auch an und haucht ihr im kinopsychopathenmäßigen Tonfall einen Pornosatz ins Ohr, den man sich bei Hitchcock denn doch nicht so recht vorstellen kann: „You make my member throb with desire. It wants to penetrate your flower and explode inside.“ Sie reagiert aber lediglich milde genervt: „This is getting boring, Mark.“

delirium5 In der Eröffnungsszene steckt schon der ganze Film: In LE FOTO DI GIOIA unternimmt Bava den Versuch, die Klassiker der großen Drei des voyeuristischen Kinos, Dario Argento, Brian De Palma und Alfred Hitchcock, gleichzeitig zu überbieten und zu profanisieren. Sein Film setzt den Blick endgültig absolut und treibt ihm gleichzeitig jegliches Mysterium aus. Auch die Medienreflexion funktioniert rein additiv: „It’s possible to make a photograph of a photograph“, findet ein (übrigens wunderbar schmieriger, vor allem mit einer expressiven Oberlippe gesegneter) Polizist einmal staunend heraus.

delirium2 Okay, gemordet wird trotzdem. Um Gioia herum werden die Models reihenweise abgemurkst, und der Killer lässt recht klar durchblicken, dass sie selbst früher oder später ebenfalls an der Reihe sein wird. Aber die entsprechenden Szenen sind, wie überhaupt alle im Film enthaltenen Überreste des einst so vitalen Giallo-Genres, bloße Pflichtübungen: Alle Mordszenen werden mit generischem 80s-Hardrock angekündigt und in technisch einwandfreien, aber komplett vorhersehbaren Plansequenzen durchexerziert. Dass den Opfern gelegentlich, vermutlich in Identifikation mit dem Killerblick, Insektenköpfe aufgesetzt werden, bleibt ebenso Gimmick wie das fließend zwischen Rot und Blau wechselnde Neonlicht, das ab und an die ansonsten selbst nachts pastellfarbene Welt des Films überschwemmt.

delirium3 Die einzige wirklich tolle Terrorszene spielt in einem Kaufhaus, dessen einzelne Abteilungen Gioia erst lang und breit vorgeführt werden, bevor sich das Grauen einschleicht. Wie dann die Hauptdarstellerin Serena Grandi zwischen Spiegeln, pastellfarbenen Oberteilen und die Einstellung zersägenden Rolltreppen in Panik gerät: Das ist für einmal doch ziemlich große Kunst, weil da das Unheimliche der komplett verdinglichten Welt des Films nicht als generisches Schocknarrativ oder billiger Spezialeffekt hinzuaddiert wird, sondern aus ihrem Innern, tatsächlich aus dem Innern der Warenform entspringt.

delirium4 Was nicht heißen soll, dass der Film keinen Spaß macht. Im Gegenteil. Es gibt, abseits der etwas angestrengt wirkenden Mordszenen, eine Reihe schöner, kleiner Regieideen, die oft mit dem Rollstuhlfahrer oder dem Polizisten (zwei Joker, die im Film eigentlich kaum etwas zu tun haben, aber auf die Bava immer wieder zurückzukommen scheint, wenn ihm nichts mehr einfällt) zu tun haben. Auch die Schauspieler sind, bis auf die ultraprofessionelle Grandi, die das auch nicht nötig hat, wunderbar exaltiert. Besonders zwei blonden, zickigen Nebendarstellerinnen macht es sichtlichen Spaß, Grandi wenigstens ein bisschen auf die Palme und ihren ansonsten selbst in der einzigen Sexszene ganz in sich selbst ruhenden Luxuskörper wenigstens ein bisschen in Erregung zu bringen. Etwas schade nur, dass die vermutliche Zielgruppe sowohl des „Pussycat“-Magazins als auch des Films in LE FOTO DI GIOIA selbst kaum vorkommt. Lediglich eine kurze Szene mit einem Kioskverkäufer, der beim Auslegen der Zeitschrift über eine der Modelleichen stolpert, bringt ein wenig proletarischen Charme in die zwar herausragend geschmacklos designte, aber schon ziemlich yuppiemäßig in Geld getränkte Welt des Films.

Erschienen auf critic.de.