Von Matthias Ehrlicher
Das gleich vorab: Es ist gut und richtig, dass filmArt diesen Abel-Ferrara-Film nun auf DVD herausbringt. Es kann nicht sein, dass selbst anspruchsvolle Videotheken von diesem Regisseur nur seinen Kultfilm BAD LIEUTENANT (1992) oder MARY – THIS IS MY BLOOD (2005) – letztgenannten aber wohl eher wegen Oscarpreisträgerin Juliette Binoche – im Programm haben. Ein erweiterter Zugang zu seinem Werk ist dringend vonnöten. Dennoch bleibt THE BLACKOUT mehr ein Nebenwerk des bedeutenden Regisseurs, das man retrospektiv eher als „interessant missglückt“ einstufen muss.
THE BLACKOUT (1997) spielt in der Scheinwelt der richtig Reichen und Superschönen in Miami. Es ist eine eigene Welt, ein Paralleluniversum, das nur im Drogen- und/oder Alkoholrausch existiert. Ein Surrogat der Exzesse. Der Drehpunkt der Handlung ist ein Nachtclub, in dem diese Fabelwesen ihr Unwesen treiben. Nur wer im Rausch ist, scheint hier rein zu kommen. Der Besitzer Mickey (Dennis Hopper) wird von Ferrara als mephistophelischer Spielmacher des Schicksahls inszeniert. Im „normalen“ Clubbetrieb dreht Mickey einen Film (angeblich soll es „Nana“ nach dem Roman von Émile Zola werden). Die Finanzierung funktioniert so: Wer bei den Dreharbeiten zusehen will, zahlt. Wer mitmachen will, zahlt viel. Und so ist das Ganze auch nichts weiter als ein Softporno mit Akteuren und Voyeuren. Showgirls tanzen, Gogo-Girls ziehen sich aus, Pornodarstellerinnen tun, was sie eben tun.
Ständig läuft Mickey mit der Videokamera in der Hand am „Set“ seines Clubs auf und ab, um Sexszenen, wildes Gerekel und Gebrabbel seiner „Gäste“ zu filmen und gibt stumpfsinnige Anweisungen. Wunderbar, wie Ferrara immer wieder richtige Filmmenschen durch das Bild laufen lässt (Kamera, Requisite etc.), die so fremd in diesem Surrogat wirken, dass es so nur um so „echter“ wird. Hier und da erscheint auf Mickeys Bildschirmen eine Sequenz aus einer alten „Nana“-Verfilmung.
Filmtechnisch ist Ferrara in Höchstform. Immer wieder überblendet und verschneidet er die Vidoaufnahmen Mickeys und anderer mit seiner Film-Kamera, die Tonspuren überlappen und verselbständigen sich. Die Bilder zeigen nicht nur den Rausch, sie scheinen ihm selbst förmlich zu erliegen und ihn somit zu befeuern. Ein Perpetuum Mobile der Dekadenz.
Zur großen Freude des Spielmachers Mickey tauchen dann auch der gefeierte Hollywoodstar Matty (Matthew Modine) und seine Freundin Annie (Beatrice Dalle) in Mickeys Spielzimmer auf. Sie passen in ihrem Zustand gut hier rein. Matty erfährt, das Annie in Mickeys Film die Hauptrolle spielen wird, und zum Beweis legt diese sofort vor aller Augen und Kameras einen grandiosen Lap-Dance auf. Etwas, das Matty gar nicht behagt, denn er hatte beschlossen, Annie heute einen Heiratsantrag zu machen. Später im Hotelzimmer wird Annie diesen ablehnen. Mit der Begründung, keinen Junkie zum Mann zu wollen. Auch das gemeinsame Kind hat sie inzwischen abgetrieben. Matty ist außer sich und realisiert nicht, dass er dieses in einem früheren Gespräch von Annie gefordert hat. Nun beginnen die Handlungsebenen zu verschwimmen. Derselbe Raum, dieselben Protagonisten, zwei Tonspuren wechseln in dieser Sequenz von jetzt zu früher und wieder zurück. In der einen spielt Annie ein Tonband ab, auf dem Matty die Abtreibung von ihr fordert, er kann jetzt kein Kind gebrauchen. Matty kann nicht glauben, was er da hört. In der anderen wird eben diese Szene gespielt. Schlussendlich liegt Matty, von Annie verlassen, heulend auf dem Boden. Zu welcher Sequenz gehört das? Was ist Rausch, was Realität? Harte Schnitte, Zeitenwechsel. Ferrara lässt den Zuschauer damit allein und schickt Matty immer weiter in die Tiefe. Die Trennung von Annie versucht Matty mit einer jungen Kellnerin zu „verarbeiten“, die seinem Scheinleben erlegen ist. Zurück in Mickeys Laden und vollgedröhnt, wird Matty von seinem Freund in ein perverses, teuflisches Spiel gezogen. Mickey verkleidet die junge, naive Kellnerin als Annie und filmt Mattys Reaktion auf das Surrogat. Die Realität schlägt auf brutalste Weise zu. Blackout.
Achtzehn Monate später. Matty lebt inzwischen in New York. Scheint clean und gefestigt zu sein. Doch ein Bild aus dieser Nacht in Miami geht ihm nicht aus dem Kopf. Er – wie auch der Zuschauer – können die Flashbacks, die er hat, nicht einordnen in das bisherige Geschehen. Auch kann Matty trotz neuer Freundin Annie nicht vergessen. Diese Flashbacks ziehen ihn wieder hinein in die alte Scheinwelt in Miami. Als löse er eine Eintrittskarte dazu, fängt er an, sich sinnlos zu betrinken. Nur so kann er das damals Erlebte wieder erreichen. In Mickeys Club realisiert er, was in jener Nacht geschehen ist. Doch anders als zuvor ist er bereit, den Preis dafür zu zahlen. In der Schlusssequenz schwimmt er betrunken aufs Meer hinaus. Eine nackte Nymphe (die Kellnerin) erscheint ihm und ruft ihn zu sich. Er wird kommen.
Der Film lässt den Zuschauer auch heute noch mit einigen Fragen zurück, und vielleicht nicht denen, die Ferrara beabsichtigt hat. Ein Problem ist sicher die Besetzung. Dennis Hoppers Mickey soll vermutlich Ferraras Bindeglied zwischen Traum und Realität sein. Einer, der weiß, wie man in beiden Welten zurechtkommt und aus der Verbindung Kapital schlagen kann. Doch mehr als sein zu oft gesehenes diabolisches Grinsen bringt Hopper nicht zu Wege. Auch Beatrice Dalles Annie bleibt am Ende nur das, was sie ist und weshalb sie gecastet wurde: Schön. Ihre Figur gibt zwar den Anstoß zum Konflikt, bleibt aber zu schwach, um mehr zu erzählen.
Matthew Modine als Matty hat in vielen Filmen gezeigt, dass er ein sehr guter Schauspieler sein kann. Doch bleibt er in diesem Film überraschend blass und das hat einen Grund: Ferrara war nie berühmt für seine komplexen Figurenzeichnungen oder seine Liebe zu schauspielerischen Details. Ihn interessieren Metaebenen, die er u.a. durch den Verweis auf Mickeys-Film-Vorlage „Nana“ einzubeziehen versucht. In Zolas Roman geht es – sehr knapp gesagt -, darum, dass es in der Dekadenz keinen Unterschied mehr zwischen Ober- und Unterschicht gibt. Der Text spielt ebenfalls mit Scheinwelten, die mit Geld zu haben sind. Doch auch ohne den Roman zu kennen, versteht man die Intentionen des Regisseurs so mühelos, dass sie fast banal wirken.
Technisch ist der Film im wahrsten Sinne des Wortes mitreißend, doch das reicht nicht ganz aus, um ihn auch inhaltlich packend zu gestalten. Zu hohl bleiben die Figuren, zu sehr hat die Form über die Substanz triumphiert. Zudem sind die dekadenten Scheinwelten, die uns Ferrara vorstellt, so sehr mit Klischees überfrachtet, dass man sich nüchtern wie betrunken fragen muss: Warum, zum Teufel, sollte man darin leben wollen?
Die DVD-Edition bietet ein gutes Bild, was vor allem hinsichtlich der schwierigen Materiallage des Films hervorzuheben ist. An Extras werden eine 4:3-Fassung sowie ein Booklet mit einem Essay von Marcus Stiglegger geboten.
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The Blackout, USA/Frankreich 1997, Regie: Abel Ferrara, Mit: Matthew Modine, Claudia Schiffer, Béatrice Dalle, Sarah Lassez, Dennis Hopper u.a.
Anbieter: filmArt