Von Matthias Ehrlicher
Das gleich vorab: Es ist gut und richtig, dass filmArt diesen Abel-Ferrara-Film nun auf DVD herausbringt. Es kann nicht sein, dass selbst anspruchsvolle Videotheken von diesem Regisseur nur seinen Kultfilm BAD LIEUTENANT (1992) oder MARY – THIS IS MY BLOOD (2005) – letztgenannten aber wohl eher wegen Oscarpreisträgerin Juliette Binoche – im Programm haben. Ein erweiterter Zugang zu seinem Werk ist dringend vonnöten. Dennoch bleibt THE BLACKOUT mehr ein Nebenwerk des bedeutenden Regisseurs, das man retrospektiv eher als „interessant missglückt“ einstufen muss.
Ständig läuft Mickey mit der Videokamera in der Hand am „Set“ seines Clubs auf und ab, um Sexszenen, wildes Gerekel und Gebrabbel seiner „Gäste“ zu filmen und gibt stumpfsinnige Anweisungen. Wunderbar, wie Ferrara immer wieder richtige Filmmenschen durch das Bild laufen lässt (Kamera, Requisite etc.), die so fremd in diesem Surrogat wirken, dass es so nur um so „echter“ wird. Hier und da erscheint auf Mickeys Bildschirmen eine Sequenz aus einer alten „Nana“-Verfilmung.
Zur großen Freude des Spielmachers Mickey tauchen dann auch der gefeierte Hollywoodstar Matty (Matthew Modine) und seine Freundin Annie (Beatrice Dalle) in Mickeys Spielzimmer auf. Sie passen in ihrem Zustand gut hier rein. Matty erfährt, das Annie in Mickeys Film die Hauptrolle spielen wird, und zum Beweis legt diese sofort vor aller Augen und Kameras einen grandiosen Lap-Dance auf. Etwas, das Matty gar nicht behagt, denn er hatte beschlossen, Annie heute einen Heiratsantrag zu machen. Später im Hotelzimmer wird Annie diesen ablehnen. Mit der Begründung, keinen Junkie zum Mann zu wollen. Auch das gemeinsame Kind hat sie inzwischen abgetrieben. Matty ist außer sich und realisiert nicht, dass er dieses in einem früheren Gespräch von Annie gefordert hat. Nun beginnen die Handlungsebenen zu verschwimmen. Derselbe Raum, dieselben Protagonisten, zwei Tonspuren wechseln in dieser Sequenz von jetzt zu früher und wieder zurück. In der einen spielt Annie ein Tonband ab, auf dem Matty die Abtreibung von ihr fordert, er kann jetzt kein Kind gebrauchen. Matty kann nicht glauben, was er da hört. In der anderen wird eben diese Szene gespielt. Schlussendlich liegt Matty, von Annie verlassen, heulend auf dem Boden. Zu welcher Sequenz gehört das? Was ist Rausch, was Realität? Harte Schnitte, Zeitenwechsel. Ferrara lässt den Zuschauer damit allein und schickt Matty immer weiter in die Tiefe. Die Trennung von Annie versucht Matty mit einer jungen Kellnerin zu „verarbeiten“, die seinem Scheinleben erlegen ist. Zurück in Mickeys Laden und vollgedröhnt, wird Matty von seinem Freund in ein perverses, teuflisches Spiel gezogen. Mickey verkleidet die junge, naive Kellnerin als Annie und filmt Mattys Reaktion auf das Surrogat. Die Realität schlägt auf brutalste Weise zu. Blackout.
Der Film lässt den Zuschauer auch heute noch mit einigen Fragen zurück, und vielleicht nicht denen, die Ferrara beabsichtigt hat. Ein Problem ist sicher die Besetzung. Dennis Hoppers Mickey soll vermutlich Ferraras Bindeglied zwischen Traum und Realität sein. Einer, der weiß, wie man in beiden Welten zurechtkommt und aus der Verbindung Kapital schlagen kann. Doch mehr als sein zu oft gesehenes diabolisches Grinsen bringt Hopper nicht zu Wege. Auch Beatrice Dalles Annie bleibt am Ende nur das, was sie ist und weshalb sie gecastet wurde: Schön. Ihre Figur gibt zwar den Anstoß zum Konflikt, bleibt aber zu schwach, um mehr zu erzählen.
Technisch ist der Film im wahrsten Sinne des Wortes mitreißend, doch das reicht nicht ganz aus, um ihn auch inhaltlich packend zu gestalten. Zu hohl bleiben die Figuren, zu sehr hat die Form über die Substanz triumphiert. Zudem sind die dekadenten Scheinwelten, die uns Ferrara vorstellt, so sehr mit Klischees überfrachtet, dass man sich nüchtern wie betrunken fragen muss: Warum, zum Teufel, sollte man darin leben wollen?
Die DVD-Edition bietet ein gutes Bild, was vor allem hinsichtlich der schwierigen Materiallage des Films hervorzuheben ist. An Extras werden eine 4:3-Fassung sowie ein Booklet mit einem Essay von Marcus Stiglegger geboten.
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The Blackout, USA/Frankreich 1997, Regie: Abel Ferrara, Mit: Matthew Modine, Claudia Schiffer, Béatrice Dalle, Sarah Lassez, Dennis Hopper u.a.
Anbieter: filmArt