Lange Jahre war der Giallo, jenes ureigene Genre der italienischen Thriller-Spielart, ein unbestelltes Feld. Spätestens mit dem Kollaps der Cinecittà Ende der 1980er Jahre waren die letzten Messen gesungen. Bis sich im neuen Jahrtausend eine neue Generation von Filmemachern anschickte, das Genre in Form von Reminiszenzen und Hommagen wieder flott zu machen und im Sinne der Stilfrage auf Stand zu bringen. AMER (2009) sollte man nennen, auch TULPA – DÄMONEN DER BEGIERDE (2012) – und der Argentinier Luciano Onetti schickt mit FRANCESCA eine weitere Perle auf seine Reise durch die Welt. Der Giallo lebt!
Eine Serie grauenhafter Morde erregt die Stadt am Tiber: Rom wird zum Schauplatz eines selbsternannten Rächers, der sich den Versen Dante Alighieris bedient. Die Kommissare Moretti (Luis Emilio Rodriguez) und Succo (Gustavo Dalessanro) sind nervös; denn schon viel zu lange kommen sie immer einen Tick zu spät. Die Presse setzt Hiebe gegen die korrupte Polizei. Vielleicht jedoch steht alles im Zusammenhang mit dem Verschwinden eines kleinen Mädchens: Francesca, vermisst seit 15 Jahren und Tochter der wohlhabenden, jedoch vom Schicksal allzu gebeutelten Familie Visconti. Und welche Rolle spielt Dantes “Inferno”, aus dem der geheimnisvolle Mörder ein ums andere Mal zitiert? Als Moretti endlich in die Lage gesetzt wird, die Puzzleteile zu einem erklärlichen Bild zusammen zu fügen, bietet sich ihm eine Vision voller Verwüstung, von Tod und Entsetzen – denn Francesca hat noch ein ganz anderes Geheimnis in der rotbehandschuhten Hinterhand.
FRANCESCA, fast eine Art Familienunternehmensproduktion der Onettis, spielt auf lust- und kunstvolle Weise mit den Versatzstücken des Genres und potenziert sie in Form und Inhalt auf ihre größtmögliche Komplexität. Neben einem in der frühesten Kindheit zu verortenden Familiendrama mit hohen traumatischen Ausschlägen wird die hohe Literatur als Katalysator bemüht, die Art der Montage atmet die Ästhetik alter Martino-Produktionen, der Look könnte satter nicht sein. Das schwarz ist allgegenwärtig, die Dame im leuchtenden Rot wird mit lässiger Nonchalance inszeniert. Auf die Ohren gibt es Spannungsmusiken á la Ennio Morricone, der Prog-Rock der Goblins weht durch die fein ausgestaltetet und höchst stimmungsvollen Settings, die passende Tondichtung “Francesca da Rimini” von Peter Tschaikowski schlängelt sich feinnervig durch den Streifen. Die Schauspieler spielen mit jener leichten Weltentrücktheit, die schon Argento-Filme so artifiziell erscheinen ließ und haben genau jene gramgebeugten Gesichter, die ein solcher Film benötigt um kohärent zu bleiben.
Onetti gelingt es meisterhaft und mit der nötigen Obsession, in Form und Inszenierung den Charme einer längst vergessenen Filmära wiederauferstehen zu lassen. Denn auch wenn vereinzelt die digitale Produktionsgrundlage des Streifens nicht ganz verborgen werden kann und hier weniger die eigene Inspiration sondern mehr das kunstvolle Neuarrangieren bekannter Topoi im Vordergrund steht, so kann der Regisseur aus dem kleinen Ensemble und dem abgesteckten Handlungsort ein Maximum an Effekt herausholen. Die Ruhe, mit der die Erzählung voranschreitet, ist für heutige Filmverhältnisse geradezu ein entspanntes Unterfangen und gewinnt mit jeder Minute.
Wer sich diese Retrorausch an Farben und Optiken in optimaler Präsentation ins heimische Wohnzimmer holen möchte, greife am besten zum prächtig aussehenden Mediabook mit Blu-ray und DVD. Denn erst hochauflösend entfaltet der Transfer seine ganze Strahlkraft und kann mit seinem Cinemascope-Bild vollends überzeugen. Neben der guten deutschen Synchronisation liegt außerdem der italienische Dub in DTS-HD Master Audio 5.1 vor. Als Extras sind neben einem Interview, Behind-the-Scenes-Featurette, Hidden und Deleted Scenes, der Kinotrailer und ein zwanzigseitiger Buchteil mit einem Text von Nando Rohner beigefügt. Alternative Barebone-Auflagen von beiden Trägermedien bietet das Label ebenfalls an, wobei hier natürlich Wendecover enthalten sind.
Bis in den hintersten Winkel seiner Ausgestaltung, bis auf das kleinste Detail seiner Inszenierung fasert Regisseur Onetti seine Liebe zum Giallo-Genre auf: die pittoreske Ausgestaltung der Mordszenen, das fetische Hantieren mit allerlei Utensilien, der ausstaffierte Dress des Killers, eine ständig mäandernde, auch ins klassische point-of-view kippende Kameragestaltung, die sich bei Morricone, Goblin und Tschaikowski bedienende Soundtrackspur – an alles ist gedacht. Alle Ingredienzien für einen unterhaltsamen Retro-Filmabend sind vorhanden – so etwas sollte es heutzutage viel öfter geben!
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Francesca, Argentinien/Italien 2015, R: Luciano Onetti, D: Luis Emilio Rodriguez, Gustavo Dalessanro, Raul Gederlini, Silvina Grippaldi, Evangelina Goitia, Juan Bautista Massolo, Florencia Olle
Anbieter: MAD Dimension