Von Alexander Karpisek
Wie es aussieht, gab und gibt es eine Band namens Sumé, die sich im studentischen Umfeld in Kopenhagen formierte und im Jahr 1973 ihr erstes Rockalbum namens Sumut in grönländischer Sprache veröffentlichte. Mit dem Film SUMÉ versucht der grönländische Künstler Inuk Silis Høegh unter Verwendung und gleichzeitiger Verwerfung aktueller und alter Talking-Bodies von Bandmitgliedern und Zeitzeugen, Musikaufnahmen, Textproben sowie Auftritten eine herkömmliche Geschichte zu erzählen. Das ist gelungen. Allerdings fehlt das Eingeständnis einer gewissen Undarstellbarkeit marginalisierter Historien.
Das Cover von Sumut wird zu Beginn des Dokumentarfilms präsent inszeniert. Es zeigt einen Holzschnitt, auf dem eine schwarze, gebückte Gestalt (ein Repräsentant der indigenen Bevölkerung?) mit auffallender Geste den abgetrennten Arm eines weiß gewandeten und mit Pfeil und Bogen niedergestreckten Mannes (ein ´Nordmann´ bzw. ´Wikinger´?) emporhält. Der sich anbietende Kontrast kann verwirren: Während die monströse Gestalt sich vor dem Hintergrund abhebt, bleibt der weiße Tote als sogenannter Mensch erkennbar und verwächst mit dem hellen Hintergrund bzw. dem Land um das es geht. Nun ist die Frage, ob es sich hier überhaupt um die Reproduktion eines Originals handelt – das irgendwann, von irgendwem für irgendwen, irgendwo und unter irgendwelchen Voraussetzungen angefertigt wurde – selbst schon eine ziemlich komplizierte Frage, die hier nicht beantwortet werden kann. Auch der Film lässt das aus. Durch das Hereinholen von Nichtwissen entsteht der schwer kontrollierbare Eindruck einer immer schon im Ansatz mehrfach verdrehten Rezeptionsweise. Zumindest anfänglich steht also das Angebot, verschiedene Perspektiven einfach durchzuspielen.
Sowohl Album-Cover als auch grönländische Sprache werden von den in die HD-Kamera sprechenden Zeitzeugen als radikal und verwirrend hereinbrechende Vermittlungsinstanzen erinnert. Mit dieser Vorstellung und der anfänglichen Anti-Perspektivierung im Kopf bleibt man als Betrachter der danach als streng ineinandergreifend präsentierten Ereignisse, zumal in Anbetracht der in der transmedialen Auflösung des Films verworfenen und stattdessen angebotenen Emotionen, allzu umsorgt zurück. Alles verwächst sich mit und in den Zentren Nuuk und Kopenhagen, von wo aus sich die radikaleren und schwerer vermittelbaren Emotionen lokaler Geister zügeln lassen und mühelos in einem global-digital-prozessual behaupteten Gemütszustand abgelegt werden können. Zerkratzte 8-mm-Privataufnahmen!? Glasklare HD-Landschaften!? Documentary!? Mockumentary!? Es macht keinen Unterschied.
Natürlich ist es nicht so, dass dieser Film alles vergisst oder vergessen kann. Es geht ja um das Zusammentreffen der damals noch jungen grönländischen Bandprotagonisten und Studenten Malik Høegh und Per Berthelsen und deren Rolle innerhalb einer Entkolonialisierungsgeschichte. Die hier vorgeschlagene Erzählung kommt freilich um vieles nicht herum: Allerdings bleibt es bei den üblichen professionell ausgebremsten Eindrücken des andauernden (Sich)-fremd-(gemacht)-werdens, von Zwangsindustrialisierung und Geisterorten, dem Verlust von Tradition (usw.). All das und noch mehr wird produktiv gemacht für diese Geschichte einer Band und ihren zwei wichtigen Männern, der eine lakonisch verschlossen, der andere offen redselig. Schließlich noch der herausgearbeitete Konflikt und die Erlösung: Man erlebt eine von allen Seiten bezeugte Beinahe-Trennung zweier Beinahe-Buddys und ihre Beinahe-Wiedervereinigung, eine Wiedervereinigung die – so der Film – mit der entscheidenden Entwicklung hin zur teilweisen Selbstverwaltung Grönlands im Jahr 1979 unbedingt einiges gemeinsam haben muss.
SUMÉ liegt seit kurzem in einer sorgfältig gestalteten DVD-Version des Labels mindjazz vor. Interessierte sowie Fans der Band finden dort ein paar zusätzliche Auftritte als Extras.
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Sumé: Mumisitsinerup nipaa, Grönland/Dänemark/Norwegen 2014, Regie: Inuk Silis Høegh, Mit: Malik Høegh , Per Berthelsen, Erno Aronsen, Hjalmar Dahl
Anbieter: mindjazz pictures