Kiefer Sutherland vom Bauer zum König.

Jack Bauer ist zurück. In der Gestalt von Wohnungsbauminister Thomas Kirkman, der als Präsident aus dem Nichts die völlig aus dem Lot geratenden Vereinigten Staaten von Amerika retten muss. Und das geht so: Das Gebäude des US-Congress wird in die Luft gesprengt zu einem Zeitpunkt, in dem der Präsident seine Ansprache zur Lage der Nation hält und alle seine Minister und alle Kongressabgeordneten zugegen sind. Die ganze US-Führungselite wird mit einem Schlag dahingerafft. Daraus ergibt sich ein radikalerer Führungswechsel als bei Donald Trump (der ohnehin zur Hälfte die rückschrittlichsten Monster der republikanischen Partei in seine Führungsmannschaft beförderte): Weil der am gleichen Morgen (noch nicht rechtskräftig) entlassene Wohnungsbauminister Kirkman als einziger nicht anwesend war, wird er zum „Designated Survivor“, dem (in der Realität) seit 1971 bestimmten Nachfolger im Falle eines Massen-Todesfalls der US-Führung.

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So geht die Story natürlich von Null auf Hundert. Kirkman muss sich in seiner Rolle finden, wird mit Frau und Kindern in no time ins Weiße Haus transferiert und sofort vor Entscheidungen riesiger Tragweite gestellt. Soll er gleich ein Camp in Algerien bombardieren, wie es ihm der Armeeführer nahe legt? Wer wird Vizepräsident? Wie schreibt man die erste Ansprache? Denn es geht nicht nur um die Attentäter, sondern auch um das Chaos, das ein ‚Designated Survivor’ in einer aufgelösten Führung und einer zerstrittenen Gesellschaft zu ordnen hat. Gouverneure widersetzen sich, Rassismus keimt auf, Privates wird von der Presse in schnellen Recherchen an die Oberfläche gezerrt, Wahlurnen werden vergiftet, um das Chaos im Land aufzuheizen, Geheimdienste werden ausgeschaltet, Drittstaaten versuchen das Durcheinander für sich zu nutzen und so weiter. Es herrscht der permanente Ausnahmezustand.

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Tom Kirkman ist ein Demokrat, denn nur ein Demokrat im Weißen Haus kann die amerikanischen Werte glaubwürdig weitervertreten wollen (genauso wie übrigens Frank Underwood in HOUSE OF CARDS als demokratischer Präsident die Machtgier am besten repräsentieren konnte). Seine Frau Alex Kirkman ist – wie Hillary Clinton – Anwältin und denkt idealistischer als ihr Mann. Schließlich muss er ja nun Kompromisse eingehen. Die Szenen zwischen den beiden sind mit das unglaubwürdigste der Serie, Natasha McElhone (auch sie ein „Serienklassiker“: Sie spielte David Duchovnys ständig betrogene Ehefrau in CALIFORNICATION mit derselben Liebenswürdigkeit und sanftem Selbstbestimmungswillen). Dass ihr Spezialgebiet Flüchtlinge sind, wird – wie in heutigen Zeiten üblich – auch noch zur Belastung.

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Aber im Zentrum steht natürlich Jack Bauer … ähem … Tom Kirkman. Kiefer Sutherland wird vom Bauer zum Kirchenmann erhoben. Und das ist kein billiges Wortspiel. Die Serien 24 und DESIGNATED SURVIVOR haben tatsächlich mehr gemein als nur den Hauptdarsteller Kiefer Sutherland. Seine ganze Persona wird quasi von der einen Serie auf die andere übertragen. War er bei 24 der einzig glaubwürdige, integere und lobbyistischen Spielchen unzugängliche Geheimagent, so ist er nun der einzige integere, glaubwürdige und lobbyistische Spielchen von sich weisende Politiker, der durch einen Zufall zum Präsidenten wird. Nur haben sich die Zeiten geändert – inzwischen liegt der Fokus nicht mehr auf einer im Geheimen operierenden Exekutive, sondern auf der Legislative.

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Beide Serien handeln von der Unfähigkeit der Politik, angemessen zu handeln. Schon in der Anlage der Serie 24 war die Glaubenskrise ins Establishment noch nicht so klar erkennbar: Jack Bauer erhielt von der einen oder anderen Seite der Macht immer wieder Befugnisse oder Deckung, die ihn die schlimmsten Gefahren für die USA abwehren ließen. In DESIGNATED SURVIVOR braucht es mehr als einen genialen Einzelkämpfer aus der Secret-Service-Abteilung – denn mit der Snowden- und anderen Affären haben sich die Geheimdienste auch in den USA diskreditiert und werden in Abhängigkeit des Polit-Establishments gesehen. Man weiß auch in der Realität nicht mehr, ob die Geheimdienste für oder gegen Amerika sind, scheint es (zum einen hat das FBI mit Clinton-Enthüllungen kurz vor der Wahl Donald Trump noch mal einen Boost gegeben, zum andern stellt sich Trump mit der CIA grad auf Kriegsfuss, weil er eine russische Intervention in die US-Wahl verneint). Auch wenn DESIGNATED SURVIVOR vor der Präsidentschaftswahl gedreht wurde, zeigt die Serie das ambivalente Verhältnis zu den Geheimdiensten, innerhalb der Geheimdienste und insgesamt die schlechte Vernetzung. Denn die FBI-Agentin Hannah Wells (Maggie Q) deckt bei der Recherche der Anschlags langsam eine Verschwörung ungeahnten Ausmaßes auf, die aber ihren Weg nicht zu vertrauenswürdigen Politikern findet.

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Was die Serie, die wie eine Familienversion von 24 erscheint, aber trägt, ist beinahe dieselbe Dramatik, die nicht auszuhaltenden Cliffhanger, die gehäuften Probleme, die einen Sog des sofortigen Handelns erfordern. Tom Kirkman versucht, das so professionell wie möglich anzugehen, wird aber immer wieder hereingelegt, überrascht, von Machtspielen überrumpelt und an die falschen Freunde vermittelt. Auch seine öffentlichen Auftritte geraten immer wieder zu Debakeln. Und trotzdem scheinen sich seine Aufrichtigkeit und sein Durchsetzungswille auszuzahlen. Hätten wir es anders erwartet?