Sie lieben die Abgeschiedenheit und die Natur? Sie planen gerade heute Abend einen Spaziergang im Wald? Nur zu. Aber sehen Sie sich den Film, von dem ich Ihnen berichten möchte, erst an, nachdem Sie im Wald waren!
Der US-amerikanische Bundesstaat Maine scheint sich im Besonderen als Horrorkulisse zu eignen, inszeniert dort doch regelmäßig Stephen King seine Schauergeschichten. Auch Jack Ketchum verortet sein Opus BEUTEGIER (OFFSPRING) an der Ostküste der USA: In Dead River ist nicht nur der Fluss tot, sondern, so ahnt der Zuschauer bereits nach wenigen Filmsequenzen, auch eine ansehnliche Zahl der dort siedelnden Bevölkerung. Den Opfern fehlt nicht nur der eine oder andere Körperteil – auch die kleinen Kinder der Ermordeten sind spurlos verschwunden.
Das weckt bei den älteren Überlebenden Erinnerungen: Bereits vor einigen Jahren hatte eine Horde Menschenfresser die Ansässigen aus purem Eigennutz dezimiert. Seinerzeit konnte Sheriff George Chandler der kannibalischen Fresssucht Einhalt gebieten, und da alte Besen bekanntlich gut kehren, wird Chandler, mittlerweile honoriger Pensionär, um tatkräftige Mithilfe gebeten, um das neuerliche große Fressen zu beenden.
Es scheint, als sei die Kannibalenmeute seinerzeit nicht ausgerottet worden, sondern im Gegenteil fleißig der Arterhaltung nachgekommen – wobei der entführte Nachwuchs der Verspeisten eine wichtige Funktion zur Auffrischung des Genpools der nimmersatten Waldschrate erfüllte. Und getreu der Regel „Mehr Kannibalen fressen mehr“ ist folgerichtig die Nachfrage an Einwohnern und Urlaubern nun exponentiell angestiegen. Kurz gesagt: Leichen pflastern den Weg der verfressenen Bande, was dem Tourismus des idyllischen Städtchens abträglich ist. Und so entschließt sich Sheriff Chandler, die Sache erneut in die Hand zu nehmen. Der Kampf fordert bis zum blutigen Ende Opfer auf beiden Seiten. Aber auch der Nachwuchs hat schon Blut geleckt.
Regisseur Andrew van den Houten ist nicht nur Filmemacher, sondern auch Fan. Das merkt man der Produktion, die 2009 in der Filmreihe „Offspring Film Series“ erschienen ist, durchaus an. So kann man den Streifen auch als Hommage an das Genre und an die literarische Schaffenskraft von Jack Ketchum verstehen. Ketchums Schreibe, die der Regisseur anschaulich auf Zelluloid transponiert, ist hart und brutal. So hat man mitunter das Gefühl, van den Houten hätte nicht mit der Kamera, sondern mit einem Fleischwolf gefilmt. Zwischentöne sind des Regisseurs Sache nicht; aber wer will die schon hören, wenn man sich ein Metzgerspecial wie BEUTEGIER in den DVD-Player schiebt. Ich wage in diesem Zusammenhang mal eine steile These: Das ganze Splattergenre ist ein Entweder-oder; Nuancen im Plot, in der Tiefenschärfe der Darstellung und der Anlage der Protagonisten sind oftmals ein Makel. Und so ist die Story schlicht gestrickt, die Vorgeschichte der bissfreudigen Bande kurz gehalten und die Logik der Storyline nicht heilig. Von wem oder was etwa haben sich die Kannibalen ernährt, als sie ihren Stamm wieder aufgeforstet hatten? Nun, die Frage stellt man sich nicht. Und den Splatterfan interessiert sie vermutlich auch nicht, denn der kommt mit dem altbekannten Strickmuster „Kannibalen kommen, Kannibalen fressen, potentielle Beute schlägt zurück, Flucht, Verfolgung und Happy Ending (zumindest für einige)“ zur Genüge auf seine Kosten.
Die großen wie die kleinen Darsteller, allen voran Art Hindle als Sheriff Chandler sowie Ahna Tessler als Claire, Amy Hargreaves als Amy und Pollyanna McIntosh als „The Woman“ überzeugen trotz oder wegen geringer Tiefenschärfe ihrer Rollen. Die Story steuert zielsicher auf das Finale zu, um dort die alles entscheidende Frage zu beantworten: Who wins? Der Regisseur gibt dem Zuschauer alle relevanten Informationen, um sich in den binären Codes gut und böse, richtig und falsch, sympathisch und unsympathisch bewegen zu können, und am Ende, im großen Finale, voller Befriedigung sagen zu können: Gut so! Recht so!! Mehr!!!
Van den Houten erzählt die Geschichte ruhig, was die Intensität einiger Szenen verstärkt. Das Stimmungsbarometer schwankt zwischen verstört und neugierig, fiebrig und kühl, irritiert und aufgeklärt. Und der Film ist humorlos – ein weiterer Pluspunkt. Zudem veranstalten hier nicht nur erwachsene andersbegabte eine schöne Sauerei; nein, hier tun auch Kinder anderen Kindern schlimmste Dinge an. Wie im richtigen Leben.
Von anderen Portalen erhält der Film eher mittelprächtige Bewertungen, aber das muss ja nicht unbedingt etwas heißen. Menschenfressern bei der Arbeit zuzusehen ist ohnehin, nun ja, Geschmackssache.
Fazit: „Beutegier“ ist ein Low-budget Indie-Backwood-Horrorstreifen, in dem die Charakteristika des Genres routiniert und effektvoll zur Geltung kommen. Plot und Figuren sind eindimensional, was hier durchaus positiv zu verstehen ist, denn auch und gerade im Horrorgenre kann weniger mehr sein.
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Offspring, USA 2009, Regie: Andrew van den Houten, Mit: Jessica Butler, Kelly Carey, Holter Graham, T.J. Graye, Stephen Grey, Amy Hargreaves, Art Hindle, Erick Kastel u.a.
Anbieter: NSM Records