Der Serienmord hat längst die Serie erreicht. Welches Format wäre denn auch besser geeignet? Während DEXTER eine überraschende Variante des Serienmörderplots liefert, indem uns Zuschauern der Killer bekannt ist und wir dessen spannendes, verstecktes Leben mitverfolgen (das SOPRANOS-Prinzip), sind Formate wie TRUE DETECTIVE oder DIE BRÜCKE – TRANSIT IN DEN TOD Weiterschreibungen der bekannten Serial-Killer-Filme, die, angefangen mit HENRY – PORTRAIT OF A SERIAL KILLER (1986), zu einem eigentlichen Genre herangewachsen sind.
Natürlich gab es auch in den siebziger Jahren Serienmörderfilme, allerdings noch nicht durchs Studio- und Blockbusterkino geadelt: Der Giallo, das TEXAS CHAINSAW MASSACRE oder HALLOWEEN stellten vor allem den Akt des Tötens in den Vordergrund – das Überraschungsmoment und die Brutalität der Mordaktion.
In der noch andauernden, zweiten Phase des Serienmörderfilms stehen die Psyche des Mörders und die komplizierte Spurensuche der Ermittler im Zentrum. Um den Serienmörderfilm vor diesem Hintergrund spannend zu halten, mussten seit HENRY die Intentionen der Mörder immer bizarrer, rätselhafter und die Ausführung der Morde komplexer und geistreicher werden. Ganz nach dem realen Vorbild des Zodiac-Killers (porträtiert in Finchers ZODIAC, 2007) in Filmen von SILENCE OF THE LAMBS (1991), SEVEN (1995) oder eben in aktuellen Fernsehversionen wie dem Meisterstreich TRUE DETECTIVE. An der Serie DIE BRÜCKE, deren dritte Staffel im letzten Jahr herauskam und die aktuell fortgesetzt wird, lässt sich das exemplarisch betrachten.
Die dritte Staffel funktioniert gleich wie die ersten beiden. Es gibt einen ersten Mord, der sich im Zuständigkeitsbereich sowohl der schwedischen wie der dänischen Kriminalpolizei befindet (Malmö und Kopenhagen): Auf einer Baustelle wird die grausam und kunstvoll zugerichtete Genderaktivistin Helle Anker ermordet aufgefunden. Sie war Begründerin der ersten genderneutralen Krippe in Kopenhagen. Mit dem zweiten Mord an einem liberalen Pfarrer wird Kommissarin Saga Noren wie in den vorherigen Staffeln zunächst auf eine politische Spurensuche geschickt – dieses Mal jedoch scheint der „Wahrheitsterrorismus“ von der politischen Rechten zu kommen. Verdächtigt wird die Bloggerin Lise, besorgte Mutter, die family values hoch hält und Abweichlerinnen wie Helle Anker namentlich anprangert. Doch der Fall liegt nicht so einfach. Denn nun wird Sagas Chef Hans, Leiter der Kriminalpolizei Malmös, entführt.
Plötzlich ändern sich die Zeichen. Wie bereits in den ersten beiden Staffeln scheinen die Serienmorde in DIE BRÜCKE politisch motiviert zu sein, stellen sich aber im Verlauf der Ermittlungen als persönliche Psychosen oder Racheakte heraus. Das zeigt, wie politische Morde in unserer friedlichen westlichen Gesellschaft stets einem Wahnsystem entspringen, das keinen „wahrhaftigen“ politischen Hintergrund hat, sondern im Endeffekt doch immer persönlich motiviert ist. Es gibt keine politischen Morde, scheint uns die Serie zu vermitteln.
Es gibt nur persönliche Probleme, die aber zuhauf. Nicht nur bei den Mördern, auch bei den „Guten“, wie wir es bereits in den Staffeln 1 und 2 bemerkt haben. Nachdem Sagas von Eheproblemen geplagter, sympathischer dänischer Partner Martin Rohde in der dritten Staffel nicht mehr auftaucht, weil er von ihr selbst, der Kommissarin mit dem Asperger-Syndrom, juristisch korrekt ins Gefängnis gesteckt wurde, zerfällt die klassische Ländercharakterisierung mit den Dänen als gemütliche, „hyggelige“ Menschen und den Schweden als den „Preußen des Nordens“ in der dritten Staffel. Mit ihrer neuen Partnerin Hanne versteht sich die kalte Saga gar nicht – doch nachdem Hanne angeschossen wurde, stösst Henrik Sabroe als Partner zu Saga. Zur bindungsunfähigen Heldin der Serie, deren Mutter ihr einen Mord anhängen will, gesellt sich nun ein nicht minder beziehungsgestörter Held hinzu, der unter Tabletteneinfluss seit Jahren auf seine verschwundene Frau und Kinder wartet, der sie in der Wohnung als Realpersonen sieht. Das Kommissarenpaar Saga und Henrik stößt ständig auf leichter oder schwerer beziehungsgestörte Menschen. Bald einmal weisen zum Beispiel Spuren zu Millionär Freddie Holst, dessen Frau eine Schwangerschaft vortäuscht – während ihr zukünftiges Kind von einer Leihmutter ausgetragen wird. Die junge Leihmutter hat noch vor der Geburt einen Freund, dem sie wegen dessen Spielsucht nicht trauen kann. Die nirgends-perfekten oder gar nicht vorhandenen Familien, die Bloggerin Lise so verzweifelt zusammen hält (forsches Auftreten gegenüber Lehrern, Schützen des Mannes), bergen irgendwo diesen einen derart radikalen Riss, der den Mörder hervorbringt.
Die Spurensuche bekommt durch einen Tipp eine besondere Wendung: Alle Morde wirken wie Kunstinstallationen, die sich an Kunstwerken aus der privaten Sammlung von Freddie Holst orientieren. Diese Spur stellt sich für Saga und Henrik als fruchtbar heraus. Und tatsächlich liefert die Nähe des Serienmordes zur Kunst nicht nur in DIE BRÜCKE eine heiße Spur, sondern stellt sich auch als charakterisierendes Genremerkmal heraus, das auf die meisten neueren Serial-Killer-Filme zutrifft. Für die Morde in TRUE DETECTIVE (die nur vordergründig „rituell“ sind, in Tat und Wahrheit aber durchdachte, mit geheimen Zeichen gesetzte Kunstwerke) genauso wie diejenigen in SILENCE OF THE LAMBS. Kunstwerke übrigens meistens als „feste“ Werke der bildenden Kunst – nicht etwa als Kunsthappenings wie die Morde der Manson Family.
Indem der Killer seine Morde als Kunstwerk ausführt, manifestiert er die Bewusstheit (und damit Grausamkeit), die er auf seine Taten verwendet. Außerdem will der Mörder mit seinen aufwändig inszenierten Werken auch eine „Sinnhaftigkeit“ erzeugen: die Mordinstallation wird zur künstlerischen Verarbeitung seiner kranken Psyche. Seine Inszenierungen bedeuten ihm etwas, sie reflektieren sein Innenleben – was er tut, ähnelt einer klassischen Bearbeitung eines Künstlers. Wird hier Freuds Theorie der Sublimierung damit an die Wand gefahren? Meist agieren die Mörder tatsächlich selbstbewusst und Aufmerksamkeit heischend, stehen aber gleichzeitig unter starkem psychischem Leidensdruck: Die Sumblimationsfunktion der Kunst ist dem Mörder zwar bekannt, schafft es aber nicht, den Mord tatsächlich zu verhindern. Im Gegenteil: der Kunst wird im Serial Killer Film auch immer eine schwächelnde Rolle zugeordnet: Kunst bietet zwar die Möglichkeit, sich intensiv mit den eigenen Problemen auseinander zu setzen, schafft es danach aber nicht, eine wahre Veränderung zum Guten zu erreichen.
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Bron / Broen, BRD / Schweden / Dänemark 2015/16 | Regie: Henrik Georgsson, Rumle Hammerich | Mit: Sofia Helin, Thure Lindhardt, Dag Malmberg, Sarah Boberg, Maria Kulle, u.a. | Laufzeit: 566 Min.