Von Bodo Traber
Der Name des britischen Schriftstellers John Le Carré ist seit Jahrzehnten unmittelbar verbunden mit einer klassischen Spielart des Politthrillers, dem Spionageroman. Seine berühmtesten Romane „Der Spion, der aus der Kälte kam“ und „Dame, König, As, Spion“ wurden internationale Bestseller; die meisten seiner Bücher wurden schon bald nach Erscheinen für Film und Fernsehen adaptiert: 1965 entstand Martin Ritts THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD, 1966 Sidney Lumets THE DEADLY AFFAIR, 1968 Frank Piersons THE LOOKING-GLASS WAR. Vor allem Martin Ritts Film gilt bis heute als Meilenstein des Genres und kongeniale Adaption des bahnbrechenden Romans: Richard Burton spielt darin den desillusionierten Agenten Alec Leamas, der sich auf ein Himmelfahrtskommando einlässt, dessen Ziel die Demontage des DDR-Geheimdienstchefs Mundt ist, und dabei zum Spielball der Mächtigen wird. Nebenfiguren sind bereits George Smiley (damals Rupert Davies) und Circus-Chef Control, die in Le Carrés 1974 vorgelegtem Mammutwerk „Dame, König, As, Spion“ zu Protagonisten werden und in Gestalt von Alec Guinness und Alexander Knox ihre zeitlose Verkörperung finden sollten, als das Buch 1978/79 von der BBC als siebenteilige Miniserie verfilmt wurde, in Deutschland gekürzt und neu zusammengeschnitten zu vier abendfüllenden Teilen 1980 im ZDF ausgestrahlt.
Erst 2011 fand TINKER, TAYLOR, SOLDIER, SPY (der Titel verweist auf ein Kinderlied; die Spielkarten-Idee entstammt der deutschen Roman-Übersetzung) unter der Regie Tomas Alfredsons den Weg auf die Kinoleinwand. Die Hauptrollen spielten Gary Oldman, John Hurt, Colin Firth und Toby Jones; der Film traf auf die gewogene Rezeption einer Kritik und eines Publikums, die jene alte Version und insbesondere die subtile Darstellung des George Smiley durch Alec Guinness oftmals nicht mehr kannten. Dabei lässt die vielgelobte Leinwand-Adaption doch einiges an Handlungsdetails und Nuancen in den Figurenbeziehungen vermissen, das bei der Eindampfung des Romans auf zwei Kinostunden auf der Strecke blieb. Zudem blieb sie trotz angestrebter Retro-Atmosphäre steril und schien sich in irgendeinem Limbo abzuspielen. Hingegen setzt schon die kuriose Anfangssequenz der Mini-Serie (die mir über Jahrzehnte in Erinnerung blieb) einen Tonfall der Authentizität, die fest mit ihrer Entstehungszeit verhaftet ist: In einem kleinen Besprechungszimmer findet sich der neue Führungsstab des Circus zu einer Routinekonferenz zusammen; gockelhaft zunächst Toby Esterhase, dann hustend und kettenrauchend der bullige Roy Bland, der als Fremdkörper unter den arroganten Oxford-Gentlemen betrachtet wird, so generalisch wie kleinkariert der neue Chef Percy Alleline, dem man die ignorante Inkompetenz schon anmerkt, zuletzt klappernd eine Teetasse balancierend, Bill Haydon. Langsam, rituell nehmen alle ihre Plätze ein, ordnen ihre Akten und Stifte, bis Alleline endlich das erste Wort spricht: „Also, fangen wir an.“ – Eine Szene, die ein Register zieht, in langsamer Dramaturgie in eine labyrinthische Geschichte führt und ebenso die leise britische Ironie aufscheinen lässt wie sie die wahre Atmosphäre des Circus vermittelt; eines muffig wirkenden Londoner Altbaus mit verwinkelten Gängen, klapperndem Gitterfahrstuhl und winzigen Büros, in denen sich die Aktenordner bis unter die Decke stapeln.
1979 ist James Bond bereits in Atlantis und im Weltraum unterwegs – der klassische Spionagefilm findet inzwischen im Fernsehen statt, und hier finden sich keine smarten Topagenten und keine „Miss Monnypenny“, sondern lebende Karikaturen biederster bürgerlicher Bürokratie. Einer dieser vier Männer ist ein Verräter, ist „Gerald“, der Maulwurf, den KGB-Chef „Karla“ schon vor Jahrzehnten, während des Kriegs, installiert hat und der nun in der Chefetage des britischen Geheimdienstes sitzt.
Ein Jahr zuvor: Control, der alte Chef des Circus, ist von der Existenz eines Maulwurfs in der Spitze seiner Organisation überzeugt. In einer Nacht- und Nebelaktion schickt er seinen besten Mann Jim Prideaux in die Tschechoslowakei, wo ein tschechischer General, der die gewünschte Information besitzt, angeblich bereit ist überzulaufen. Doch „Operation Testify“ ist eine Falle und wird zum Desaster; Prideaux wird niedergeschossen und gefangen genommen und kann erst Monate später ausgetauscht werden. Control bricht die Aktion das Genick; der alte Mann wird entmachtet, auch seinen Stellvertreter George Smiley schickt man in den Ruhestand. Ein Jahr vergeht, bis Smiley, inzwischen das ruhige Leben eines Pensionärs führend, zu einem geheimen Treffen mit Sir Oliver Lacon, dem Vertrauten des Ministers, geholt wird. Heimlich nach London zurückgekehrt ist ein kleiner „Skalpjäger“ namens Ricky Tarr, der sich Lacon anvertraut hat. Tarr sollte in Lissabon Agenten anwerben, hat sich aber in die russische Agentin Irina verliebt, die ihm eine unglaubliche Geschichte erzählt hat… Smiley erhält den Auftrag, den Stall auszumisten. Und langsam wird klar, dass es nicht nur Controls Gespenst wirklich zu geben scheint, sondern dass auch Allelines großer Trumpf, die Quelle „Merlin“, in Wahrheit von Moskau gesteuert wird.
Der Krieg der Geheimdienste ist, wie in allen Geschichten Le Carrés, eine schmutzige und gnadenlose Sache. Hinter biederer Fassade entsteht eine obskure Parallelwelt der Täuschung und Gaukelei, der Rituale, Codes und Mehrfach-Identitäten, in der nichts und niemand ist, was es oder er zu sein scheint. Der geheime Krieg der Manipulation und Instrumentalisierung von Menschen, der vorgetäuschten Freundschaften und der gezielten Tötung (lange vor dem Drohnen-Zeitalter) ist von ungeheurer Kälte und Brutalität, führt die Figuren in eine eigene Hölle der Verzweiflung oder des Fatalismus, die hinter dem britischen Understatement aufscheinen. Hier wirken alle wie Verlorene in einem paranoiden Spiel, und doch ist dieser Krieg auch ein persönlicher Krieg: Nicht der Maulwurf ist Smileys eigentlicher Feind, sondern der geheimnisvolle sowjetische Agentenchef „Karla“ (damals noch völlig unbekannt: Patrick Stewart), mit dem ihn eine seltsame Beziehung verbindet. Erst in Le Carrés Fortsetzung „Agent in eigener Sache“ wird Smiley ihm auf die Spur kommen.
Pidax hat den Mehrteiler in seiner ambitionierten Agentenfilm-Reihe vorgelegt, die vor allem in extenso einen empfehlenswerten Aufriss des sicher exemplarischsten Genres des Kalten Krieges bietet. Hier ist allen Interessierten auch ein näherer Blick auf die anderen Titel der Reihe angeraten, zumal die Auflagen sehr klein sind und manches schon vergriffen ist. TINKER, TAYLOR, SOLDIER, SPY liegt in den integralen Fassungen der ursprünglich 7teiligen Miniserie vor; Szenen, die in der deutschen Fassung fehlen, sind deutsch untertitelt. Die Synchronisation lässt einen ebenso lange nicht gehörten Stimmen wieder begegnen (u.a. Uwe Friedrichsen und Alf Marholm) wie die Serie selbst bis in die Nebenrollen mit klassischen Darstellern des britischen Genrefilms besetzt ist. Die Nachfolgeserie SMILEYS LEUTE – AGENT IN EIGENER SACHE ist ebenfalls bei Pidax erschienen.
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Tinker Tailor Soldier Spy, GB 1979, R: John Irvin, D: Alec Guinness, Michael Jayston, George Sewell, Alexander Knox, Ian Bannen, Ian Richardson, Bernard Hepton, Hywel Bennett, u.a.
Anbieter: Pidax