„Sie sprang aus dem Bett, mit der Kraft eines wilden Tieres, direkt auf meine Wunde, und saugte das Leben aus meinem Körper, mit einer unbeschreiblichen Wollust.“
Mit diesem vorangestellten Zitat von Théophile Gautier, entnommen seinem Roman `Le Morte amoureuse‘, beginnt eines der interessanten Remakes der jüngeren Vergangenheit: VAMPYRES. Kaum ein Fabelwesen übt eine derart langanhaltende Faszination auf die Menschen aus wie der Vampir – wenn, wie hier, auch noch zwei Schwestern mit dem Durst nach menschlichem Lebenssaft auftauchen, dann weiß man: das könnte blutig werden.
Touren durch das Unterholz bergen ihre Tücken. Eine kleine Treckingtour wird für Harriet (Veronica Polo), John (Anthony Rotsa) und Nolan (Victor Vidal) zum Tanz mit dem Tod. Denn in einem englischen Landstrich voller Geheimnisse leben Fran (Marta Flich) und Miriam (Almudena León); zwei Schwestern, die darüber hinaus auch noch Vampire sind. Vorbeikommende Männer werden mit Lust geködert und anschließend zur Ader gelassen. Doch was weiß die geheimnisvolle Hotelbesitzerin (Caroline Munro) aus der Gegend von den düsteren Schatten des Todes, die sich über die Menschen legen? Für Harriet und ihre Freunde beginnt der Kampf ums nackte Leben.
Zuwenig neue Einfälle, zu viel bloßes Kopieren; schon oft musste man über Remakes solche Tatsachen beanstanden. Doch im Gegensatz zu den unglückseligen Opfern der beiden Vampirschwestern tappt Regisseur Víctor Matellano bei seiner neuen Lesart des gleichnamigen britischen Horrorklassikers nicht in diese Falle. Hatte sein Kollege José Ramón Larraz sich 1974 an den Hammer- und Amicus-Produktionen orientiert und in England einen mit viel Atmosphäre und doch Schmuddelimage gesegneten Film gedreht, der sich über die Jahrzehnte eine Schar von Fans erwarb, nimmt Matellano Grundgeschichte und ideellen Background, um neue Wege im Hier und Jetzt zu gehen.
In der Bildsprache steriler und kühler als das Original, manchmal fast geradlinig kalt, lösen sich für den Zuschauer die anfänglichen Bedenken schnell auf. Dankenswerterweise gelingt es Matellano seinen VAMPYRES stilistisch und in der Führung der Schauspieler völlig von amerikanischen Produktionen heutiger Prägung freizuhalten. Denn hier hauchen Geister eines Jess Franco oder Jean Rollin allem Gezeigten ihren Odem ein – für heutige Augen ein wunderbar abseitiges Vergnügen. Dass des Rätsels Lösung sich am Schluss noch genauso überraschend entfaltet wie vor Jahrzehnten, zeugt von der Qualität, mit der alle hier am Werk sind.
Großartige Mitstreiter stellen sich dem Regisseur zur Seite, seien es nun die Schauspieler – hier können alte Helden der goldenen Zeit des europäischen Genrefilms wie Caroline Munro oder Antonio Mayans für kleine, feine Gastauftritte sorgen – oder der weltbekannte Effektemeister Colin Arthur, der schon Jürgen Goslar bei dessen genialen Arbeiten DER FLÜSTERNDE TOD (1976) und DIE SKLAVENJÄGER (1978) zu Diensten stand. Dass er auch bereits Larraz‘ VAMPYRES mit bluttriefenden Effekten versorgte, sorgt für zusätzliches ‚Herzblut‘ im Projekt und kann als nostalgische Querverbindung gesehen werden.
Vergleicht man die Musik der beiden Filme zeigen sich auch hier deutliche Unterschiede auf: verfasste der britische Librarymusiker James Clark einst einen Score, der zeittypisch Rock- und Klassiksound miteinander verquirlte und bei allem Horror auch den Tanzfaktor nicht zu kurz kommen ließ, wählt José Ignacio Arrufat, ein Youngster im Filmgeschäft, einen anderen Ansatz. Grundsätzlich sphärisch, orchestral und dissonant gestaltet er seine Musik; die überraschenden Schockeffekte auf der Leinwand geht er gekonnt und durch schneidende Pizzicati mit. Harmonisch eingefügt sind als thematische Klammer mehrere Songs des Spaniers Javier de la Morena. So gegensätzlich die Scoringconcepts sind, so passend sind sie für sich genommen – alles zu seiner Zeit, am richtigen Ort.
Vor kurzem als limitiertes Mediabook erschienen, präsentiert Wicked-Vision den Film in ungekürzter und blitzsauberer Breitwandfassung sowie mit deutscher Synchronbearbeitung und englischer Sprachfassung in raumfüllendem 5.1-Surround. Als kleinere, manchmal etwas stark als reine Werbemaßnahmen konnotierte Featurettes gestalten sich das Making Of, dessen Kommentar allerdings durch die sonore Stimme Jack Taylors vorgetragen wird und dadurch schon akustisch ein Leckerbissen ist, sowie ein Interview mit der ewig junggebliebenen Caroline Munro. Inhaltlich fundiert und fachlich tiefgehend gestaltet sich der Essay „Zwischen Leben und Tod: Queeres Begehren in VAMPYRES“, den die Filmwissenschaftlerin Dr. Susanne Kappesser für das vierundzwanzigseitige Booklet beigesteuert hat und sich den Hintergründen des Vampirismus in Literatur und Film widmet; eine speziell Aufarbeitung der gleichgeschlechtlichen Ebene in VAMPYRES sorgt für Klarheit und neue Erkenntnisse. Abrundend ist neben Trailern und Teaser außerdem eine Bildergalerie enthalten.
Gemeinhin haben Remakes oft einen schweren Stand. Doch im Falle von VAMPYRES sollte man dieses Vorurteil im Folterkeller der Schwestern belassen und es vor dem Licht der Sonne schützen. Denn diese zeitgemäße Neuinterpretation eines vielgeliebten Klassikers kann durchweg überzeugen und beweist was ein Remake leisten kann. Als Zuschauer sollte man sich in die Arme dieses Films begeben, denn nicht nur Fran und Miriam sind auf frisches Blut immer gut zu sprechen.
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Vampyres, ES 2015, R: Víctor Matellano, D: Marta Flich, Almudena León, Veronica Polo, Caroline Munro, Antonio Mayans, Fele Martínez u.a.
Anbieter: Wicked-Vision Media