Wenn Flipper durch das WorldWideWeb surft.

Auch wenn die Massivität der dystopischen Zukunftsvisionen William Gibsons bisher noch nicht in Summe eingetreten ist, so kann man doch zumindest feststellen, dass viele Einzelteile des Cyberpunks punktuell bereits Realität geworden sind – seien es nun Hackerangriffe auf Internettransfers, die Macht globaler Konzerncluster oder das RLS der dauervernetzten Jugend. Wir haben zwar noch ein paar Jahre bis 2021, aber was nützt uns die Uhr, wenn andere die Zeit haben?

VERNETZT---Cover Im Jahr 2021 ist die Welt aus den Fugen: multinationale Firmen beherrschen die Weltwirtschaft und nutzen mit Monopolen die Bevölkerung aus. Die tödliche Nervenkrankheit NAS, ausgelöst durch dauerhafte Reizüberflutung, kann nur behandelt, jedoch nicht geheilt werden. Die Datenautobahnen sind unsicher geworden und so benutzt man Menschen als Kuriere, deren Gehirne mit implantierten Speichern zu wandelnden Festplatten umgearbeitet wurden. Einer dieser Kuriere für Ralfi (Udo Kier) ist Johnny Smith (Keanu Reeves), der mit seiner riesigen Datenladung von Todespredigern (Dolph Lundgren), Rebellen, Yakuza-Killern und dem Chef eines Pharmakonzerns (Takeshi Kitano) gejagt wird – trägt er doch nicht weniger als die Formel für das Heilmittel gegen NAS in seinem Kopf. Doch seine Synapsen sind überlastet und er hat nur noch wenige Stunden bis zum zerebralen Exitus. Mit Hilfe der schlagfertigen Jane (Dina Meyer) und dem Guerillaführer J-Bone (Ice-T) muss sich Johnny zu einem kybernetischen Delphin durchschlagen, der als einziger die Daten transferieren kann – wenn nicht vorher Johnnys Kopf mutwillig vom Rest des Systems getrennt wird.

Als 1995 der New Yorker Installationskünstler Robert Longo mit JOHNNY MNEMONIC seinen einzigen Kinofilm drehte, konnte er nur scheitern. Basierend auf einer Romanvorlage Williams Gibsons, der mit seinem Buch `Neuromancer‘ 1984 mal nebenbei den Cyberspace erfand und das Genre des Cyberpunks begründete, waren sich Fans und Kritiker schnell einig, dass der prosaische Stil Gibsons nicht in filmische Bilder übersetzbar sei. Dass Longo, der auch seine frisch angetraute Gattin Barbara Sukowa im Film unterbrachte, trotz aller Budgetquerelen und endloser Schleifen im Storydampfgarer Hollywoods, den Film zu einem guten Ende brachte, lag nicht zuletzt an seinen visuellen Vorstellungen. Einerseits mit den inszenatorischen Mitteln eines B-Pictures arbeitend, andererseits die Sets und Stories derart rauschhaft mit den damaligen State-of-the-Art-Techniken der Computeranimation bebildernd, dass es dem Zuschauer die Sprache verschlug.

VERNETZT-04 Weitgehend unterschätzt und doch sehr wirksam in seiner Erzählweise, noch dazu vielseitig besetzt und mit leicht ironischer Brechung realisiert, wurde Keanu Reeves mit JOHNNY MNEMONIC einem breiten Publikum bekannt. Komponist Brad Fiedel, der einst TERMINATOR (1984) mit bahnbrechenden Sounds versehen hatte, schrieb einen seiner letzten Soundtracks für die große Leinwand, während der deutsche Hollywoodexport Udo Kier eine wunderbare Performance liefern durfte. Zwar wurden die Darstellerleistungen allgemein honoriert, dem Film liefen jedoch Werke wie BLADE RUNNER (1982) stets den Rang ab. Als Romanverfilmung konnte man JOHNNY MNEMONIC als gescheitert werten, als technisch optimalen und inhaltlich rasanten Actionfilm mit grundierender Botschaft leistete er hingegen Pionierarbeit, von der später noch ganz andere Filmemacher zehrten.

Turbine Medien spendierte dem verkannten Werk eine opulent ausgestattete Blu-ray-Premiere im Mediabook, die sich sehen lassen kann. Auf der der ersten Disc ist die ungeschnittene und remasterte US-Kinofassung mit Dolby Atmos-Ton enthalten, der wahlweise in Deutsch oder Englisch die heimische Soundanalage im 7.1-Verfahren ansteuert. Weltweit exklusiv verfügt diese Edition über einen spannenden Audiokommentar des Regisseurs, dem sich für die deutschen Fans außerdem noch ein weiterer Kommentar von Filmwissenschaftler Dr. Rolf Giesen hinzugesellt. Neben Featurettes, Behind-the-Scenes-Berichten, Interviews und einem Musikvideo des Songs „Nothing (I Don’t Want It)“ von Stabbing Westward ist außerdem die speziell erstellte, japanische Schnittfassung enthalten. Ein Booklet mit Texten von Christoph N. Kellerbach zum Genre des Cyberpunk und Kevin Zindler zu Produktion und der japanischen Schnittfassung lädt außerdem zum Schmökern ein. Auf der zweiten Scheibe ist wiederum die US-Kinofassung abgelegt, diesmal jedoch im zweisprachig verfügbaren Auro-3D-Sound mit breitgefächerter 9.1-Auflösung. Weiterhin ist der M&E-Track mit der begeisternden Filmmusik anwählbar; die Nostalgiefassung – also die 4:3-Version mit Open Matte – ist für die Sammler und Komplettisten sicher ebenfalls eine lohnende Dreingabe. Ein besonderes Extra im Stile großer Editionen ist die FrameCard, wobei die laminierte Karte einen originalen 35mm-Frame der Kinokopie des Films zeigt. Die dieses Extra enthaltende Version ist bereits beim Label vergriffen, kann jedoch gebraucht erjagt werden – muss man mal ein bisschen durchs Internet schauen, damit sollte man sich nach Genuss dieses Films ja bestens auskennen.

VERNETZT-03 Schon verrückt, welche Kapriolen die Filmgeschichte schlug: während JOHNNY MNEMONIC ungnädig aufgenommen und eher klanglos archiviert wurde, reüssierte die MATRIX-Trilogie (1999 – 2003), die sich in Setting und Struktur eindeutig auf die versandete Verfilmung um den Datenkurier Johnny bezog, weltweit erfolgreich an den Kinokassen und machte Reeves damit zum Superstar. In der nun vorliegenden Veröffentlichung kann man diesem ‚Irrtum‘ um JOHNNY MNEMONIC nun den Garaus machen … und vielleicht sprechen wir in vier Jahren noch mal, was aus der gar nicht so fernen Zukunft geworden ist. Hauptsache, wir haben dann immer noch einen Delphin zur Hand.

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Johnny Mnemonic, CAN/US 1995, R: Robert Longo, D: Keanu Reeves, Dina Meyer, Ice-T, Takeshi Kitano, Dolph Lundgren, Udo Kier u.a.

Anbieter: Turbine Medien

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