Filme, die in Venedig spielen, sind schon mal prinzipiell eine Schau. Wenige Schauplätze üben eine derartig natürliche Faszination aus, derer sich der Zuschauer zwangsläufig nicht entziehen kann. Die Liste ist lang; da muss nicht immer eine Gondel Trauer tragen. ALLA RICERCA DEL PIACERE hat denselben Bonus und offenbart darüber hinaus noch die klassischen Ingredienzen, bei denen der geneigte Fan sich beruhigt in den Sessel schmeißt und mit Genießerblick in die Röhre guckt.
Gedreht im braungetönten Chromoscope zeigt die Kamera von Aldo Giordani neben dem offensichtlichen das versteckte an den Rändern der Ereignisse. Fast beiläufig fängt sie kleine, beschreibende Begebenheiten ein, für die im heutigen Kino kein Platz mehr ist, aber so viel über die Menschen erzählen. Die Geschichte, für die Regisseur Amadio im Grunde den Hitchcock‘schen COCKTAIL FÜR EINE LEICHE (1948) aus einer anderen Perspektive noch mal neu erzählt – und mit Farley Granger auch gleich noch eine direkte Verbindung aufmacht – dient als ‚Vorwand‘ für eine Abfolge an Exzentrik und leiser Gesellschaftskritik an der `upper class´. Die geifernden Oberen leben Ihre Triebe zu Lasten der Unterprivilegierten aus und suchen als satte Wohlstandsmenschen nach neuen Kicks in Form von Herrschaft und Macht. Da wir es aber mit Publikumskino zu tun haben, ist alles eingebettet in leichte Formalismen des Giallokinos, versetzt mit Topoi des Inselthrillers, es riecht nach Suspense – und chic bebildert ist das Ganze außerdem. Nicht mit Oberflächenreizen geizen; diese Maxime hatte wohl auch Silvio Amadio im Kopf, als er ALLE RICERCA DEL PIACERE drehte. Seine Darsteller, allesamt keine unbeschriebenen Blätter und nie um eine Genreplotte verlegen, geben sich ein fröhliches Stelldichein und zeigen, was sie können. Mit bunten Kostümen und immer einer Kippe im Anschlag spielt es sich auch gleich ganz anders.
Teo Usuelli, einige Jahre der gesetzte Tonkünstler für Regieexzentriker Marco Ferreri, wurde die Aufgabe zuteil, dieses Arrangement von Ideen und Plotlinien musikalisch in Form zu bringen. Neben einem für Italokenner obligaten Liebesthema, dass sich in Gestalt eines majestätischen Loungepops durch den Film zieht, setzt es sperrig-dissonante Spannungsmomente, jazzige Sourcecues und einen repetierenden Rockbeat, der mit den simplen Lyrics „Sexually … sexually“ mehr als einmal auf dem Plattenteller rotiert. Vielleicht wird dem ein oder anderen Zuschauer dieser als ‚Piacere Sequence‘ bezeichnete Track bekannt vorkommen: die Coen-Brüder verwendeten ihn – gemeinsam mit dem großorchestralen ‚Traffic Boom‘ aus der Feder Piero Piccionis – in ihrem Kulthit THE BIG LEBOWSKI (1998).
Wieder einmal miterleben wir die Auferstehung einer kleinen, feinen Filmperle aus der Blütezeit des italienischen Genrefilmes. In bester Aufmachung erschienen werden wir Zeuge einer Gradwanderung zwischen den Genres, kunstvoll ausgearbeitet und nonchalant in Bilder gegossen. Ein alter Hitchcock-Recke, ein Zwei-Meter-Hüne und zwei Damen mit Blankziehzwang – was kann da noch schiefgehen?
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Alla Ricerca Del Piacere, Italien 1972, R: Silvio Amadio, D: Farley Granger, Barbara Bouchet, Rosalba Neri, Umberto Raho, Patrizia Viotti, Nino Segurini
Anbieter: Camera Obscura