Mario Bavas DANGER DIABOLIK (1968) ist klassisches Comic-Pop-Art-Kino der Sechziger. So knallbunt, künstlich und over the top wie nur wenige andere Filme. Allerdings konventioneller als CASINO ROYALE (1967) und BARBARELLA (1968), weniger intellektuell als Elio Petris DAS ZEHNTE OPFER (1965), aber ähnlich schräg wie Joseph Loseys MODESTY BLAISE (1965), knalliger als FANTOMAS (1964). Die meisten dieser Filme haben das Problem, dass vor lauter Pop-Ästhetik ihre Handlung zu wenig packend ist – mit Ausnahme vielleicht von FANTOMAS. Doch während BARBARELLA’s und CASINO ROYALE’s kontrastreich sexualisierte Welten die Filme reizvoll halten, wirkt Mario Bavas Film seltsam spannungslos. Während alle Kritiken immer von der unglaublichen Ausstattung des Films sprechen und den Film dadurch als wundervolle Comicverfilmung loben, geht kaum jemand der Frage nach, weshalb der Film trotz allem kaum richtig Fahrt aufnimmt.
Als naheliegende Erklärung mögen die problematischen Produktionsbedingungen dienen, die den Film in seiner ursprünglichen Grösse beschnitten haben. Produzent Dino de Laurentiis stoppte nach rund zwei Drehmonaten die Produktion rund um Regisseur Seth Holt (u.a. mit Jean Sorel, Elsa Martinelli) und verlor dabei seine anderen Produktionsfirmen. Erst dank Paramount Pictures konnte De Laurentiis DANGER DIABOLIK als neues Projekt mit halbiertem Budget wieder aufnehmen. Dieses Mal mit Regisseur Mario Bava und einem völlig anderen, doch immer noch vorzeigbaren Cast. Doch weder der Besetzung noch der bunten Ausstattung ist ein Mangel an Geld anzusehen – lediglich für das Drehbuch mögen die Produktionsbedingungen Schwächen bewirkt haben (vor allem der Zeitmangel).
Der Hauptgrund ist allerdings woanders zu suchen: in der Ideologie des Films, insbesondere der Liebesdieologie. Mario Bava wagt es in diesem Film, eine Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen darzustellen, die sich nicht aus Kennenlernen, Konflikten oder Katastrophen speist, sondern von Anfang an in perfekter Harmonie ihr Dasein fristet. Die geradezu perfekte Beziehung zwischen Diabolik (John Phillip Law) und Eva Kant (Marisa Mell) gemahnt in diesem Sinn an eine Jugendliebe, an eine symbiotische Beziehung ohne Anfang und Ende, an das Paradies. Das „Paradies“ ist in diesem Fall eine riesige unterirdische, mit High-Tech-Architektur und –Funktionen ausgebaute Höhle, in der die beiden auch ihre erbeuteten Schätze horten. Denn Diabolik ist der äusserst attraktive Superkriminelle, der die ganz grossen Coups durchzieht, Eva seine sexy blonde Partnerin, die dabei schon mal Hilfestellung leistet.
Ihre Höhle ist nicht nur ein fabulöses, technologisches Meisterwerk, es ist auch ein Rückzugsort, der die beiden von der Welt trennt. Im Gegensatz zu BATMAN’s Höhle, die als Hub dafür dient, Gutes zu tun, oder FANTOMAS’ Höhle, in welcher der megalomane Meisterdieb seinen perfekten Menschen erschaffen will, ist Diaboliks Höhle nicht viel mehr als ein futuristischer Vergnügungswohnraum, eine überdimensionale SciFi-Gebärmutter, deren (zwei) Bewohner nicht erwachsen werden wollen.
Während in den Sechzigern sich die Great Society eine grosse, brüderliche Gemeinschaft aller Menschen zum gesellschaftlichen Ziel setzt, polyamouröse Lifestyles Einzug ins Leben halten, soziale Ideen einer fairen Geldverteilung den Diskurs dominieren, ziehen es Diabolik und Eva vor, all das erbeutete Gold und die Juwelen für sich zu behalten und sich auf ihre eigene, persönliche Sexyness zu besinnen. Daraus entsteht – und das macht den Film eigentlich so lahm – eine Liebesbeziehung, die nicht vom inspirierten Witz und Geist der Sechziger durchdrungen ist (man sehe sich als Gegensatz zu DIABOLIK nur mal die Dialoge in Godards PIERROT LE FOU an), sondern sich in tiefen, romantischen Blicken in die Augen und einer sprachlosen Verständigung äussert. (In gewisser Weise erschafft Bava damit eine Metapher, die den Rückzug der – verbrecherischen – Kapitalisten in jener Zeit der Bedrängnis aufzeigt. D.h. die Raubzüge des Kapitalismus sind intakt, doch die Moral „draussen“ hat sich geändert.)
Trotz fehlender verbaler Kommunikation und sozialem Leben geht von der Beziehung der beiden eine gewisse Faszination aus. Zum einen ist es die ständige Gefahr, der sich die beiden aussetzen, die ihrem Leben und ihrer Liebe einen Thrill vermittelt. Und wie wir ja aus Lebensberatern (wie z.B. dem empfehlenswerten von Bas Kast) wissen, ist nichts so liebesfördernd wie gemeinsam Abenteuer zu erleben.
Zum andern sind es natürlich die unglaubliche Jugend, Schönheit und Sexyness der beiden, die uns Zuschauer überwältigt. Sie leben geradezu als Übermenschen in hautengen Catsuits, eleganten Anzügen, Overknee-Boots und Kürzest-Minikleidchen in einer futuristischen Welt, zu der die aktuelle Gesellschaft noch keinen Zutritt hat. Diabolik und Eva sind bereits Science (Non-)Fiction, während die Welt um sie herum sich immer noch mit Problemen von Verbrechen und Moral aufhält, mit aufdringlicher Laszivität und alten Rollenmustern. Dass sich Eva in den Momenten, in denen sie in der profanen Welt Diabolik bei einem Coup unterstützt, als Hure auftreten muss, demonstriert deutlich, dass die Welt für ihre Art der Sexyness nicht bereit ist.
Diabolik
Italien / Frankreich 1968
Regie: Mario Bava
Drehbuch: Angela und Luciana Giussani, Dino Maiuri, Adriano Baracco
Darsteller: John Philip Law, Marisa Mell, Michel Piccoli, Adolfo Celi, Terry Thomas
Laufzeit: 105 min.