Action mit einem Schuss Suspense.

Das ins Belangslose und Langweilige abgedriftete Genre des Actionfilms erfährt in Jaume Collet-Serras dritter Zusammenarbeit mit Liam Neeson eine angenehme Belebung. Statt, dass die Welt durch eine superpotente Terrorbande an den Rand des Abgrunds gebracht wird, beginnt der Film hier mit einem Schuss Hitchcockschem Suspense. Mit einem Spiel zwischen Spass und Ernst wie in STRANGERS ON A TRAIN (1951).
Commuter_Poster Der gerade von seinem Versicherungsjob wegrationalisierte Michael MacCauley (Liam Neeson), ein ehrbarer Ex-Cop, wird auf dem Heimweg im Zug von einer fremden, ätherisch-eleganten Frau (Vera Farmiga) angesprochen. Als COMMUTER (englisch für Pendler) weiss er, wer regelmässig den Pendlerzug nach Cold Springs nimmt und wer nicht. Legt er einer Person, die nicht zu den regelmässigen gehört und sich „Prynne“ nennt, einen GPS-Sender in die Tasche, erhält er 100’000 Dollar. Ein Viertel davon befindet sich bereits in einem Versteck auf der Zugtoilette.
Michael, der mit seiner Familie seit der Finanzkrise 2008 ungerechterweise nicht auf den besten Beinen steht, ist hin und hergerissen, checkt aber natürlich das Geld auf der Toilette, nimmt es an sich – und hat sich damit natürlich dem Ernst des Spiels verpflichtet. Er merkt bei Fuss, dass es kein Zurück mehr gibt. Er wird bedroht, seine Familie wird bedroht, und das moralische Dilemma verliert seine Relevanz schnell einmal ob der Zwänge, welche die immer irrer werdende Zugfahrt mit sich bringt. Es gibt eine Reihe von gegen 10 Menschen, die analysiert und beurteilt werden müssen. Ein buntes Sammelsurium der New Yorker Bevölkerung: die puertoricanische Krankenschwester, der arrogante Investementbanker, der aggressive Rocker, der biedere Angestellte, usw..
Commuter_2 Was sich immer noch wie ein Suspensefilm anhört, paart sich schnell mal mit Action. Der (im Film) 60-jährige Michael prügelt sich mit durchtrainierten Burschen, die halb so alt sind wie er, hält sich unter einem Wagen des fahrenden Zuges fest, springt von fahrenden auf abgehängte Wagen und benimmt sich auch sonst wie ein 25-jähriger Stuntman. So wohnen wir einen Grossteil des Films einem Actionfilm bei, der atemlos von Herausforderung zu Herausforderung springt. Das ist nice to see, aber nichts grundsätzlich Neues.
Wer bereits Collet-Serras und Neesons gemeinsamen NON STOP (2014) gesehen hat, sieht natürlich die unzähligen Parallelen zwischen dem Flugzeug- und dem Pendlerzugfilm. Der allwissende Verbrecher am Smartphone, das beschränkte Set an möglichen Tätern, die zweistufige Eskalationsstrategie des Bösewichts (erst einzelne Menschen ermorden, dann das ganze Flugzeug bzw. Zug zerstören). Trotzdem ist THE COMMUTER eher eine sanfte Weiterentwicklung: Mit dem verführerischen Charakter des „Ich schlage ihnen ein Spiel vor“ spielt MacCauleys moralisches Dilemma plötzlich eine präsentere Rolle. Er ist nicht mehr nur Opfer. Und indem Collet-Serra die möglichen Verdächtigen viel präziser porträtiert, fühlen wir uns in der Darstellung der Pendlergruppe beinahe ein wenig wie in die Hitchcocksche Präsentation der Nachbarn in REAR WINDOW (1954) versetzt. Gleichzeitig wird mit diesem Querschnitt der New Yorker Bevölkerung das „politische“ Hintergrundthema (Gewinner und Verlierer der Finanzkrise) verdeutlicht. Die psychologische Tiefe tut dem Actionfilm gut, würde Actionfilmen im Allgemeinen beim Spannungsaufbau helfen.
Commuter_1 Auf ein anderes, gesellschaftliches Thema weist der Cast von Liam Neeson hin. Der 66-jährige Schauspieler, der hier als 60-jähriger durchgeht, ist längst nicht der einzige Actionheld, der in den grossen Hollywood-Produktionen agiert. Inzwischen sind die Bösen immer die Jungen und die Alten diejenigen, die noch was wissen, was Moral ist. Leute wie Bruce Willis (63, demnächst als Held in FIRST KILL) oder Arnold Schwarzenegger (70, KILLING GUNTHER) retten sich selbst, ihre Familie und die Welt, all in. In den zukunftsorientierten Sechzigern war es oft umgekehrt: der junge James Bond Sean Connery hatte es immer mit alten Bösewichtern zu tun. Das hat seinen Grund: In unserer Zeit der grossen Umwälzungen manifestiert sich in den alternden Helden die Unsicherheit, dass gesellschaftliche Veränderungen wie Digitalisierung (Smartphone-Terror im Film) oder Casinokapitalismus wirklich zu unserem Guten sind.

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The Commuter, USA / UK / Frankreich 2018 | Regie: Jaume Collet-Serra | Drehbuch: Byron Willinger, Philip de Blasi, Ryan Eagle | Darsteller: Liam Neeson, Vera Farmiga, Patrick Wilson, Johathan Banks, Sam Neill, Elizabeth McGovern u.a. | Laufzeit: 104 min.